Theresa

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,,Kaffee?"
Ich nicke und folge Theresa willig.
,,Gehen wir in das Französische? In das, in welches du heute morgen wolltest?", frage ich und rolle meine erkalteten Finger zu Fäusten.
Theresa schüttelt ihre langen Haare, bindet sich einen langweiligen Pferdeschwanz und meint: ,,Nein. Das ist zu weit weg. Ich habe jetzt Hunger."
Am Stadtrand liegt ein hübsches, altmodisches Cafe mit gedämmten Licht, lauter Ecken und Kanten, dementsprechenden Essnischen und Samt überzogenen Sitzpolstern. Es sieht aus wie ein zu klein geratenes, teures Restaurant und als ich über die Türschwelle trete, ergreift mich sofort die Gewissheit, schon einmal hier gewesen zu sein.
Ich sehe Patrick neben mir gehen. Seine leicht genervte Mine, die er aufgelegt hat, nachdem mich ein wildfremder Passant mit Komplimenten überhäuft hat und schließlich auf die Knie gefallen ist, finde ich einfach nur entzückend. Jetzt genauso wie damals.
Ich nehme neben Theresa Platz und schlage die Getränkekarte auf.
Sie bestellt einen Schoko-Doubt - was, so viel ich weiß, eine Art Schokoladenkuchen ist - und einen Espresso.
,,Auch für mich." Ich grinse.
Die Bedienung lächelt freundlich, dann macht sie auf dem Absatz kehrt.
,,War ich sehr gemein?", möchte ich von Theresa wissen.
Diese fängt an mit einer ihrer Haarsträhnen zu spielen und erklärt mir währenddessen: ,,Geht so. Du warst meist in deine Arbeit versunken. Sobald dich jemand rausgerissen oder ein besseres Bild vorgeführt hat, bist du ganz rot geworden und hast uns allerlei Beschimpfungen an den Kopf geworfen."
,,Oh." Was soll ich dazu schon sagen? ,,Kennst du meinen Verlobten?"
,,Aber natürlich", lacht sie.
,,Was ist daran so lustig?" Verwirrt ziehe ich die Augenbrauen zusammen.
,,Ach, nichts. Worauf willst du hinaus?"
,,Ist er... Kann es sein, dass ich... dass wir..."
,,... verlobt sind?"
,,Haha", grunze ich. ,,Wie... ist er so?"
,,Wer? Matt? Er hat hart gearbeitet, um so reich zu werden. Ich finde ihn allerdings ein wenig hochnäsig und... nun ja... nicht sehr romantisch. Und er ist recht kleinkariert. Außerdem denke ich, dass er sein Leben mit Scheuklappen lebt. Er hat die Aufmerksamkeitsspanne eines Zweijährigen und das Feingefühl eines Bulldozers."
Ich strecke vorsichtig die Hände in die Luft, um ihren Redeschwall zu stoppen.
,,Warum habe ich ihm dann das Jawort gegeben?"
Theresa zuckt die Schultern, doch in ihren braunen Augen mit dem sanften Goldstich kann ich sehen, dass sie mir etwas verschweigt.
Fragen solltest du nur stellen, wenn du auch wirklich die Antworten hören willst, scheinen sie zu sagen.
Will ich wissen, was sie für sich behält?
Will ich wissen, was Joshua zu so einem Geheimniskrämer macht?
Will ich wissen, was Matt mir alles verschweigt?
Will ich wissen, was zwischen mir und Back vorgefallen ist?
Oder Theresa?
Ich muss sehr gemein gewesen sein.
Will ich mich daran wirklich erinnern?
Ich nicke also und Theresa beginnt von den Dingen zu berichten die wir zuvor im Kunstunterricht durchgekommen haben: Draht, Speckstein, Ton, Tuschezeichnungen; sogar mit Holz haben wir herumhantiert.
Interessiert beuge ich mich vor und bemerke gar nicht wie die Zeit verfliegt.
Sie erzählt, dass das Überthema dieses Jahr TierArt lautet und was sie und ich alles für Tiere gemalt, geformt und gehauen haben. Entweder hat sie ein verdammt gutes Gedächtnis und dazu noch ein großes Auffassungsvermögen oder sie hat sich speziell auf meine Arbeit konzentriert. Theresa kann jedes meiner Werke an den Händen abzählen und dazu einige Details, die das Werk einzigartig machen. Aber sobald ich sie nach genaueren Angaben zu ihrer Arbeit frage, stockt sie und rattert unwichtige und langweilige Informationen herunter.
,,Warum kennst du meine Kunststücke so gut?"
Allein durch Theresas Beschreibungen tauchen neue, jedoch bekannte Bilder in meinem Kopf auf.
Ein steigender Hengst aus Draht, dem Künstler Alexander Calder nach empfunden.
Ein liegendes Nashorn aus Speckstein, an den Künstler Ewald Mataré angelehnt.
Oder die schwarzweiß Zeichnung eines heulenden Wolfs, in Gedenken an Steve.
Plötzlich sind diese Beschreibungen, diese Gedanken greifbar. Ich sehe die Kunstwerke vor mir. Sehe mich mit einem traurigen Lächeln daran arbeiten. Sehe Theresa aus dem Augenwinkel zu mir herüber schielen. Sehe auf einen Schlag Steve.
Seine mausgrauen, müden Augen, seine tiefen, dunklen Brauen und seine wilde, unzähmbare Mähne.
Ich höre sein spöttisches Lachen und das Schlurfen seiner lackschwarzen - Größe 46 - Schuhe über den unebenen Asphalt.
Bis auf mich, sahen ihn alle als einen Löwen. Mit seinem massigen Körper, seinen goldblonden Haaren und seiner stolzen, unantastbaren Art seine Freunde beschützen zu wollen.
Nur ich sah ihn als Wolf. Als einen einsamen Wolf. Nach außen hin, gab Steve sich stolz und unantastbar. In Wiklichkeit aber, war er ein gebrochener Mann. Er wurde in seinem Leben nur mit Füßen getreten und durch die Gegend geschubst. Alles was er zu Ende seiner Zeit hatte, musste er sich hart erkämpfen.
Er wanderte ununterbrochen. Jede Minute. Sein ganzes Leben war eine unglaublich lange Reise. Nie konnte er sein Ziel erreichen. Nie konnte er ein Zuhause finden. Er hatte nur uns. Mich, Joshua und Matt.
Seine Unantastbarkeit wirkte wie eine Schutzschicht, sein Stolz war ein Sicherheitssystem. Nur sein Beschützerinstinkt war echt. Der Wolf der sich stark gibt. Der sich nichts anmerken lässt. Dessen Maske nur selten bröckelt.
Der einsame, gebrochene Wolf.
Das sah ich in ihm. Das sehe ich in ihm.
In seinen mausgrauen, müden Augen. In seinen fließenden Bewegungen. In seinem beschützerischen, mutigen Verhalten. In seinem grenzenlosen Optimismus.
Ein Wolf der lieber allein durch die Wälder streift und trotzdem auf der Suche nach seinem Rudel ist.
Ich bin so in meinen Gedanken versunken, dass ich Theresas Antwort, sowie die winzige Träne die mir über die Wange rollt, nicht bemerke.
Theresa umschließt meinen Arm mit ihren dünnen Fingern und mustert mich besorgt.
,,War Steve gut mit Matt befreundet?" Ich mache mir nicht die Mühe die Träne fortzuwischen.
,,Steve Martin?" Sie nickt langsam. ,,Ja. Du warst für ihn wie eine Schwester, Joshua wie ein Bruder und Matt... wie ein Freund. Sein bester Freund."
,,Glaubst du, dass sein Tod Matt so verändert hat? Dass er deshalb mit Scheuklappen durch die Welt läuft? Dass er deshalb einem zweijährigen Bulldozer ähnelt?"
Theresa lächelt sanft, drückt leicht meinen Arm und zuckt dann wieder mit den Schultern.
Wohl eine ihrer Lieblingsgesten.
,,Oh, schon so spät? Holt Matt dich ab?", fragt sie und lässt dabei ihre Armbanduhr nicht aus den Augen.
,,Ich denke ich laufe lieber."
,,Du läufst!?... Weißt du was? Ich begleite dich!"
Ich schüttel entschlossen den Kopf.
,,Ich will meine Gedanken ordnen."
,,Ich verstehe", sagt Theresa und wickelt eine ihrer blonden Strähnen mehrmals um ihren Zeigefinger. Wohl noch eine ihrer Lieblingsbeschäftigungen. Die Achseln zucken und mit ihren Haaren spielen... gewöhnungsbedürftig.
Wir bezahlen, verlassen das Cafe und trennen uns.

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