Kapitel 09 - langsam bergauf

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Kapitel 09 – langsam bergauf

Am Anfang ist es schwer in die Uni zu gehen. Jeder sieht einen an – mittleidig, traurig, nachdenklich. Von jetzt auf gleich ist man der Mittelpunkt geworden. Zu den Blicken kommen auch Tuscheleien. Sobald man an jemandem vorbeigeht strecken sie den Kopf zu dem Nachbarn, als sagen sie: „Schau mal, das ist der Schwule, der seinen Freund verloren hat". Meine Hände stecken in den Hosentaschen meiner blauen Jeans, wenn ich nicht gerade den Kragen meines schwarzen Kapuzenpullis höher ziehe und mich versuche in dem Stoff zu verstecken. Der Rucksack hängt schwer auf meinen Schultern. Früher waren Kai und ich ein Team in der Schule und auch auf der Uni hat man uns oft zusammen gesehen, denn Kai hatte auf der gleichen Uni wie ich studiert, zwar nicht das gleiche aber trotzdem haben wir unsere freie Zeit gemeinsam verbracht. Egal ob es in der Cafeteria das gemeinsame Essen war oder wir zusammen in der riesigen Bibliothek gelernt haben. Heute stehe ich alleine da. Nach dem Abi haben wir alle begonnen unser eigenes Leben zu leben aber an den Wochenenden haben wir immer wieder zusammen gefunden.

„Hey Ben", ruft auf einmal jemand meinen Namen und ich drehe mich in die Richtung, aus der ich die Stimme vermute.

„Oh, hey Leonard", begrüße ich einen meiner Unifreunde. Leonard hat eine Nerdbrille auf der Nase und trägt heute eine grüne Sweatshirtjacke über einem weißen Shirt und eine schwarze Jeans. Seine knallblauen Nikes sind seine Lieblingsschuhe und er beginnt wie ein Mädchen zu kreischen, sobald auch nur ein ganz kleiner Fleck auf diese Schuhe kommt. Leonard und ich haben uns schon von Anfang an gut verstanden, was nicht nur daran liegt das wir den gleichen Studiengang belegen, sondern er auch schwul ist und wir somit auf einer Wellenlänge sind. Wir konnten uns immer austauschen, wenn wir mal nicht weiterwussten was wir zum Beispiel unseren Partner schenken könnten. Seit fast einem Jahr ist Leonard mit Mirko zusammen. Mirko ist der typische Fall von den Jungs, die sich erst nicht eingestehen wollten, dass sie auf das gleiche Geschlecht stehen. Am Anfang war das ein ganz schönes Theater. Kai und ich haben viele Nächte investiert in denen Leonard weinend vor uns saß, weil Mirko wieder irgendwas getan hat, was Leonard verletzt hat. Zum Glück hat sich das mittlerweile verbessert und die zwei sind auch ein Herz und eine Seele. „Schön, dass du wieder hier bist", sagt Leonard und grinst etwas an.

Die Beerdigung von Kai liegt mittlerweile über zwei Wochen zurück, in denen ich mich nicht in die Uni getraut habe. Heute hatte ich mich zur Verwunderung aller tatsächlich aufgerafft und bin sogar in den Zug eingestiegen, um zur Uni zu kommen. Zwischendurch war es zweimal vorgekommen, dass ich bis zum Bahnhof gefahren war, jedoch es nicht geschafft hatte in den Zug einzusteigen.

„Ja, es wurde auch echt Zeit", erwidere ich und zusammen laufen wir zum Hörsaal.

„Wo ist den Mirko?", frage ich ihn und hoffe dabei, dass Leonard so geschwätzig wie immer ist und ich einfach nur zuhören brauche, ohne dass ich selber auch großartig was sagen muss.

„Ach der, diese Penntüte, er hat es heute Morgen einfach nicht aus dem Bett geschafft. Ich habe den sogar aus dem Bett geschubst und er hat einfach weiter geschlafen, unfassbar oder? Letzen Endes bin ich dann alleine zur Uni und er kommt später nach, vielleicht. Der ist ja mittlerweile auch nicht mehr so wissbegierig wie am Anfang. Wie du siehst bin ich also sehr glücklich darüber, dass du heute da bist... auch wenn es wirklich unfassbar schrecklich ist was passiert ist. Es ist so ungewohnt, dass er nicht dabei ist."

Das hatte ja super geklappt. Jetzt fing er tatsächlich an über Kai zu reden, dabei war es genau das, was ich vermeiden wollte.

„Können wir bitte nicht über Kai reden, das verkrafte ich noch nicht."

„Ja klar, tut mir Leid. Soll ich die Klappe halten?"

„Rede ruhig über Mirko weiter. Sollen wir uns da hinsetzen?", ich deute auf eine der Reihen im Hörsaal und er nickt. „Ja das ist gut, okay also Mirko hat ja in ein paar Tagen Geburtstag und ich möchte eine Überraschungsparty machen. Wärst du dabei?"

In Liebe ... (boyxboy) (PAUSIERT)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt