Kapitel 6

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Kapitel 6:

"George, was willst du?"

"Mit dir reden, was denn sonst?"

Ich überlegte kurz, schloss aber dann doch die Tür auf, damit mein Bruder eintreten konnte.

Er setzte sich auf meinen Bürostuhl, der an meinem Schreibtisch stand und sah mich misstrauisch an.

Da ich immer noch mit dem Rücken zu ihm stand, konnte ich dies natürlich nicht sehen, aber ich spürte förmlich wie seine Blicke mich durchbohrten.

"Was ist los?", sprach er besorgt.

Ich drehte mich um, um ihm in die Augen zu sehen.

Seine wunderschönen meerblauen Augen haben schon viel Bewunderung erhalten.

"Seit wann sorgst du dich um mein Wohl?", sagte ich ironisch.

Er war schon immer ein Beschützer und da er keine anderen Geschwister hat, als mich, muss ich so zu sagen immer als Zielperson dienen.

Glaubt ihr er würde mich auf einer Party wenigstens eine einzige Sekunde aus den Augen lassen? Dann habt ihr leider vollkommen Unrecht. Auch wenn es manchmal nicht schlecht ist einen Aufpasser zu haben, der einem Ärger erspart, ist es dennoch doppelt so nervig.

"Es ist mein ernst Mandy", verteidigte er sich.

Ich ließ mich auf mein Bett nieder.

"Ich weiß es doch auch nicht genau George", gab ich klein bei. "Ich denke dir würde es nicht besser gehen, wenn du in meiner Situation wärst."

"Da könntest du sogar Recht haben, Schwesterlein. Komm her", befahl er mir liebevoll und schloss mich in eine lange Umarmung.

Es tat gut zu wissen, dass man jemanden hat, dem man vertrauen kann.

"Ich hab dich lieb und egal was du jetzt tun wirst, ich werde dir bei deiner Entscheidung behilflich sein."

"Ich hab dich auch lieb, danke", antwortete ich George.

George ist einfach der beste große Bruder überhaupt!

Nachdem ich mich einigermaßen wieder eingekriegt hab, wollte ich einen neuen Anlauf starten. Ich schnappte mir das schnurlose Telefon und den Zettel mit Robert's Nummer und tappte wieder zurück in mein Zimmer.

Nun saß ich da und wusste nicht, wie es weiter gehen soll. Ich kann ja nicht einfach Robert anrufen und sagen: 'Hi, du kennst mich zwar nicht, aber ich bin vielleicht deine Tochter!'

Nein, das geht nicht. Aber wie sollte ich es sonst machen? Wer weiß, vielleicht gibt es die Nummer ja gar nicht mehr.

Kurzer Hand entschied ich mich dafür, dass ich einfach mal die Telefonnummer wähle und anrufe.

Also die Nummer war schon einmal besetz, da es anleutete.

"Richardson?", gab eine alte Frauenstimme von sich.

Mist! Was sollte ich jetzt tun?! Es ist ja nicht einmal Robert dran!

"Ähmm...H-Hallo! M-Mit wem spreche i-ich gerade?", stotterte ich.

"Gerda Richardson, und mit wem hab ich das Vergnügen?"

Tja, jetzt saß ich in der Falle, ich musste antworten.

"Ich heiße Mandy D-Denk", entgegnete ich.

"Denk!" Ich hielt mir das Telefon von meinem Ohr, die hatte aber eine laute Stimme!

"Was wollen sie?" Hatte ich mir das nur eingebildet oder hat sich ihr Tonfall gerade sehr düster und wütend angehört?

"I-ich suche nach meinen leiblichen Eltern." "Du suchst nach deinen leiblichen Eltern?! Kindchen! Versuch das ja nicht!"

Ich erstarrte und wurde blass, doch mein Blick verhärtete sich und ich biss so fest auf meine Zähne, dass es schmerzte.

"Wieso sollte ich meine leiblichen Eltern nicht suchen?!", zischte ich ins Telefon. Normalerweise war ich noch nie so wütend, doch irgendetwas in mir hätte der Frau an der anderen Leitung am liebsten die Gurgel umgedreht.

Etwas, das ich noch nicht an mir kannte. Etwas dunkles.

"Weil die Vergangenheit nicht gut für dich ist!"

"Was für mich gut ist oder nicht, entscheide immer noch ich. Woher sollten sie das denn auch bitte wissen mit meiner Vergangenheit?", fragte ich neugierig, dennoch mit einem scharfen Unterton.

"Ich bin die Mutter von Robert. Aber damit du es gleich weißt: Er ist nicht dein Vater. Er war nur die Affäre deiner Mutter, als sie mit deinem wahren Vater zusammen war. Glaub mir. Doch auf der Vergangenheit deiner Mutter steht großes Unglück! Vertrau mir!"

Okay, wieder einmal ein Schlag in die Bauchgrube, aber dennoch weiß ich, wer mein Vater jetzt eigentlich ist. Aber was sie da mir über die Vergangenheit meiner Mutter verklickern will, dass kauf ich ihr gar nicht ab.

"Ich werde versuchen, meine Mutter aufzusuchen, ob sie wollen oder nicht. Aber eine Frage habe ich an sie. Wissen sie irgendetwas über meinen leiblichen Vater?"

"Wenn du dem gleichen Schicksal deiner Mutter ereilen willst, bitte sehr! Ich habe dich gewarnt!", sie stoppte, doch nach ein paar Sekunden fügte sie noch etwas hinzu. "Ich habe die Adresse deines Vaters. Sie lautet: Münsterstraße 27b, 84660 München (Adresse rein erfunden ;) ) Viel Glück beim Stürzen ins Verderben!"

Aufgelegt.

Komische alte Frau, doch sie hat mich ein Stück weitergebracht.

Was sollte das ganze Geschwafel über die Vergangenheit meiner Familie?!

Irgendwie wurde mir schon etwas mulmig zu mute, wenn ich über die Worte der Lady nachdachte, doch dieses starke fremde Gefühl in meinem Körper lies mich nicht los. Es packte mich förmlich und schrie: Hör auf die Alte nicht! Such nach deiner Vergangenheit!

Nun ja, dies hatte ich jetzt auch vor.

Doch erst einmal wollte ich die große Wut in mir los werden.

Diese Wut tat mir einfach nicht gut, denn so bin ich nicht. Wütend. Nein. Das bin ich nicht...

Strich und StrickWo Geschichten leben. Entdecke jetzt