Run Girl, run.

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Ich sitze im Wald.

In der ferne sehe ich einen Hof. Das Licht dringt durch die Bäume und ich höre eine schreiende Frauenstimme. Sie klingt schrill. Der Wald wirft ein Echo. Ich bekomme eine Gänsehaut. Fast automatisch frage ich mich was dort vor sich geht, doch bevor ich mir wieder etwas ausmale laufe ich tiefer in den Wald. Ich versuche weiter die negativen Gedanken zu verdrängen. Dazu bin ich schließlich hier. Um auf bessere Gedanken zu kommen. Die Blätter rauschen im Wind. Eine Briese weht. Meine von Natur aus, schneeweißen Haare, tanzen in der Luft. Zweige knacken unter meinen schmalen Füßen. Ich atme die frische Waldluft tief in meine Lunge ein, bis ich das Gefühl habe die ersten Lungenbläschen platzen zu hören. Meine Brust schmerzt, doch ich mache weiter, um die Geräusche die aus der Richtung des Hofes kommen, zu verdrängen. Die Luft ist frisch, da es erst geregnet hat. Ich strecke mich und schaue hoch, zwischen den Tannenwipfeln in den Himmel. So muss das Leben immer sein, denke ich mir. Nicht so kalt und grau wie sonst. Nicht so wie zuhause. Nur so wir hier. Ich bin schon fast auf der anderen seite des Waldes, als ich eine Stimme hinter mir höre.

Ich zucke zusammen.

Hier ist normalerweise keine Menschenseele. Ich kenne diesen Walt seit dem ich meinen Großvater besuche. Ich bin jede Ferien hier. Das kann nichts gutes bedeuten. Ohne mich umzudrehen, nachzudenken und nachzusehen wer dort ist, beginne zu laufen. Während des laufens drehe ich mich doch noch kurz um.

Hinter mir läuft eine schwarz vermummte Gestalt. Ich spüre dass das kein Spaß ist und dass es wohl um mein Leben geht. Sie keucht und hält ein Messer in der Hand. Ich spüre förmlich wie mir Adrenalin ins Blut schießt.

Ich schreie.

Zwei meter vor mir hört der Wald auf. Ich renne. Auf dem Feld draußen habe ich bestimmt bessere Chancen den Unbekannten abzuhängen. Als ich aus dem Wald herraus bin, spüre ich Regentropfen wie Messerstiche auf meiner Haut. Fucking life. Warum muss es jetzt auch noch regnen? Es ist wie in einem Alptraum, oder einer dieser Horrorfilme. Aber ich renne weiter, aus Angst. Schneller, und noch schneller, bis ich vor mir eine Straße sehe. Ich komme näher und erkenne dass es die Autobahn ist.

Ich schlucke.

Hinter mir höre ich immer noch die gestalt, doch sie läuft wohl schon nicht mehr so schnell. Ich spanne alle Muskeln an und gebe wie am Ende des Tausendmetersprintes in der Schule, bei den Leichtathletikübungen mein Bestes. Zuhause, bin ich jeden Tag laufen gegangen, nur hier trainiere ich nicht. Und jetzt zahlt sich das jahrelange Lauftraining aus. Mein Blick starr nach vorne gerichtet, renne ich noch ein bisschen schneller. Ich bin mir dessen bewusst dass ich gleich über die Autobahn rennen werde. Fünf Meter. Mein Herz klopft so laut, dass ich es höre. Vier Meter. Ich schließe kurz meine Augen. Drei Meter. Öffne sie wieder. Zwei. Konzentriere mich. Einer. Ich schwinge mich über die Leitplanke, schaue nicht zurück.

Ich habe Angst.

Große Angst. Angst vor meinem Verfolger und Angst vor der Straße. Ich habe so etwas noch nie getan. Ein Auto rauscht vorbei. Danach eine längere Pause. Ich beginne zu rennen, weil ich weiß, dass mir sonst keine Möglichkeit bleiben wird, sonst würde die Person mich einholen. Die Fahrbahn ist zwar nur zweispurig, aber es kommt mir vor als würde ich Stunden brauchen um auf die andere Seite zu gelangen. Ich muss an meinen besten Freund denken. An meine Eltern. An meine kleine Schwester. An mein Hund und mein Pflegepferd. Sie würden es nicht verstehen, wenn ich nicht mehr nach Hause kommen würde.

Ich liebe sie.

Ich ziehe mir die Kapuze tief ins Gesicht als ich auf der anderen Seite bin und renne weiter.

Geschwind wage ich einen kurzen Blick nach hinten. Die Gestalt steht auf der anderen Seite, hinter der Leitplanke und schreit. Sie schreit so laut das ich mich fast übergeben muss und doch klingt die Stimme so fremd, dass ich nicht recht wahrnehme, was sie schreit. Es ist kalt. Ich habe hunger und ich bin alleine. Vor zehn Minuten war mein Leben noch nicht so kaputt. Ich werde das wohl nie vergessen können. Ich breche während des gehens. Meine Kleidung ist nass und jetzt auch noch schmutzig. Ich blicke an mir herrab und bekomme einen neuen Würgreiz. Ich schaffe es ihn zu unterdrücken und beginne wieder zu rennen.

Einfach weit weg.

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