All right?

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„Du überarbeitest dich, Jacob."
Evie hang wie so oft über ihren Plänen im Zug und betrachtete aus dem Augenwinkel ihren Bruder, der gerade in den Zug gesprungen war und sich jetzt wieder auf das Sofa neben den Tisch setzte. Er zog sich die Kappe vom Kopf und richtete seine Haare, da sie durch die Kappe total verwuschelt waren. Jacob brummelte etwas Unverständliches und fuhr mit seinen Händen über sein Gesicht. Tatsächlich wirkte er nicht mehr so fit, was seine Augenringe untermalten.
„London zu retten muss ein bisschen schneller gehen. Außerdem bin ich auf dem Sprung. Ich leg mich für paar Minuten hin und gehe dann weiter in den nächsten Bezirk."
Seine Schwester war sich nicht sicher, ob sie ihm glauben konnte oder nicht, denn als Jacob sich zurück lehnte und seine Kappe tiefer ins Gesicht zog, schien er schnell weggenickt zu sein. Beinahe schon sofort, da er schon mindestens einen ganzen Tag unterwegs gewesen sein musste.
„Miss Frye?"
Eine weitere Person hatte den Wagon betreten. Diesmal stand eine junge, kleine Frau mit rundem Gesicht und dünnen Wangen vor Evie. Sie trug zudem die Jacke der Rooks, Jacobs Bande.
„Sie haben mich gebeten, einige Pläne zu stehlen. Hier sind sie. Außerdem will ich noch berichten, dass die Pläne in dem Haus fast ungeschützt waren."
Aufmerksam nahm Evie den Stapel von Zetteln entgegen, den sie gebracht bekam. Gründlich betrachtete sie jeden einzelnen, doch hörte der Rekrutin weiter zu.
„Ich habe in den Straßen gehört, dass das Quartier zum Schutz einer wichtigen Person umgezogen sei und das sehr schnell."
„Danke Lass, ich kümmere mich darum", sagte Evie und schrieb sich einen Notizzettel, „Könntest du mir vielleicht noch einen Gefallen tun?"
Die Angesprochene schreckte kurz auf, nachdem sie sich kurz in Gedanken verloren hatte, weshalb sie geistesabwesend mit ihren Händen gespielt hatte, doch fing sich schnell wieder.
„Natürlich Miss Frye", antwortete sie und fixierte die Assassine mit ihrem wieder wachen Blick.
„Ich habe Informationen, dass in einem Bezirk der Blighterseine Lieferung Waffen und wichtiger Gegenstände ankommt. Vielleicht steht es im Zusammenhang. Erfahren sie, soviel sie können, aber bringen sie sich nicht in Gefahr."
„Sehr wohl", flötete Lass und wollte sich gerade weg drehen, wenn sie nicht gehindert worden wäre.
„Seit wann bist du eigentlich dabei?", fragte Jacob, der wohl wieder bei Sinnen war und Fetzen des kurzen Gespräches mitbekommen hatte. Er klang interessiert und unwissend, da er Lass noch nie begegnet ist.
„Ich bin noch nicht lange da, aber ich kann euch sehr nützlich sein. Jahrelang habe ich mich als Diebin durchgeschlagen, somit Erfahrungen im Gebiet und im Schleichen, sowie im unentdeckt Bleiben. Es freut mich, dass ich helfen kann."
Mit einem kurzen Lächeln beendete sie den Satz und verschränkte die Arme hinter dem Rücken.
„Ja, wirklich schön dich dabei zu haben."
Jacob fand sie sympathisch, jedoch war zwischen ihnen eine unsichtbare Mauer aus Vorsicht und Unkenntnis, welche er noch nicht erklimmen konnte, weil er nicht die Zeit hatte, sich darum zu kümmern.
„Danke, ich wünsche ihnen viel Glück bei der nächsten Mission, Mister Frye."
Freundlich winkte sie noch zum Abschied, da sie ebenfalls keine Zeit verlieren, aber auch nicht unhöflich sein wollte.
„Vielen Dank, dir auch", murmelte er und erhob sich. Seine Gelenke knackten bei der Bewegung und seine Muskeln ziepten unangenehm, doch das hielt ihn nicht ab.
„Wir sehen uns auch bald, Evie. Ich gehe nur paar Blighters... zurechtweisen."
Ohne weiter zu warten, stand er auf und begab sich an das nächste Ende des Wagons, um Londons Straßen zu erobern.

„Da war doch was!"
Hastig versteckte sich Lass hinter einigen Kisten; keine Sekunde zu spät, denn genau dann schaute ein Mann der Blighters auf die Stelle hinter der Ecke des Hauses, an der sie vor wenigen Sekunden noch gekauert hatte. Das Gespräch der Bande war von dort sehr unverständlich gewesen, weshalb sie sich nur ein bisschen nach vorne lehnen wollte, doch dabei sofort erwischt wurde. Ihr Herz raste vor Angst und der Spontanität dieser Fluchtaktion, versuchte sich jedoch auch zu beruhigen. Alle anderen möglichen Orte zum Lauschen waren noch ungünstiger und auf den Dächern patrouillierten die Scharfschützen der Blighters, was sie an den Schritten der schweren Stiefeln ebenfalls mitbekam. Lass hatte Glück, dass ihr Gehör sehr scharf war, sonst hätte sie da noch einen Fehler begangen und hätte Aufmerksamkeit erregen können.
„Hilfe! Ein Dieb! Fasst ihn!"
Sofort drehte sie sich zu der Stelle, wo der Schrei her kam und entdeckte eine panische Frau mit grünem Rock an der Kreuzung der vielbefahrenden Straße stehen und einen fliehenden Mann. Dabei fielen ihr fast die Schuppen von den Augen.
War das Jacob?
Sie zögerte nicht lang, da das Belauschen der Blighters sowieso zu riskant wurde und sie sich vergewissern wollte, dass wirklich Jacob eine Frau bestohlen hatte. Augenblicklich folgte sie ihm über die Straße, wich haarscharf einigen Kutschen aus und heftete sich an die Versen des Assassine.
„Mister Frye, warten sie!", rief sie vergeblich, doch er schien sie gar nicht gehört zu haben. Jacob hatte den Weg in den Park eingeschlagen und schon bald hatte Lass ernsthafte Probleme mitzuhalten, da er viel schneller und ausdauernder war als sie. So legten sich zumindest jede Zweifel, dass es jemand anders hätte sein können, denn der Flüchtende trug nicht nur Jacobs Mantel, sondern auch seine Mütze und hatte die identische Statur. Besonders erfreulich war dies trotzdem nicht. Bei jedem weiteren Atemzug schmerzte ihre Lunge weiter. Zwanghaft hetzte sie sich über das Gras; Und verlor trotzdem immer weiter an Nähe.
„Jacob, bleib stehen!", versuchte sie es wieder und erntete nur dumme Blicke der anderen Leute, die sich fragten, welche Irren durch die Straßen liefen. Wieder kam keine Reaktion des Mannes; noch nicht mal die Andeutung eines Blickes, als ob es taub wäre.
„Verdammt", fluchte sie, während sie ihn immer mehr aus den Augen verlor, nachdem er aus dem Park raus kam, doch das Schicksal stand auf ihrer Seite.
Wie auf Kommando purzelten alle Koffer aus einer Kutsche, die am Straßenrand stand, direkt auf den Gehweg. Jacob bremste, mehr oder weniger gut, da er wirklich schnell gelaufen war, und wollte weiter rennen. Dafür brauchte er Zeit und die konnte Lass nun ausnutzen. Sie biss die Zähne zusammen, sprintete durch den Torbogen des Parks und packte ihn.
„Hab dich endlich", keuchte sie und erstarrte vor Schreck, als sie in seine Augen sah. Normalerweise hatten sie immer einen frechen Ausdruck, der vor Energie strotzte. Nun wurde sie von einem leeren, schwarzen Augenpaar angestarrt, welches den ganzen Charme des Jacob Frye verloren hatte. Mehr konnte sie nicht tun, denn er versuchte sich sofort loszureißen. Obwohl das vorhersehbar war, überraschte es Lass trotzdem, doch sie ließ nicht los. Auch nicht, als sie seine Faust mit dem angelegten Schlagring auf sich zu fliegen sah, der sie einen knappen Herzschlag später getroffen hätte. Davon war sie fassungslos, da Jacob seinen Rooks immer zuhören und helfen würde und nur seine Feinde verletzte.
Da stimmt etwas nicht!
Dann realisierte sie einen weiteren Fehler. Sie hatte noch immer seinen Arm umklammert und das wurde ihr nun zum Verhängnis. Jetzt wurde sie am Oberarm gepackt und ehe sie sich wehren konnte, schwebte sie schon einige Zentimeter über dem gepflasterten Boden. Schnell wollte sie noch nach ihm treten, doch die Zeit fehlte auch hier. Jacob warf sie ohne größere Schwierigkeiten von sich. Stolpernd kam Lass auf die Straße zurück. Eine erneute Verfolgungsjagd schaffte sie nicht, sodass sie sofort wieder lossprintete, um den Abstand möglichst gering zu halten. Das hatte auch geklappt, doch anders als geplant, denn er war nicht losgerannt, sondern war noch stehen geblieben, sodass Lass ihn mit ganzer Kraft zu Boden riss. Vollkommend überrumpelt saß sie auf seiner Hüfte und merkte, dass er ebenso überrascht war. Genau das war ihre Chance.
„Du-Trottel-komm-zu-dir!", schimpfte sie und unterstrich ihre Worte immer mit einer Ohrfeige, die zwar nicht schwungvoll war, aber ihre Aufgabe erfüllte. Diesmal besser vorbereitet, hielt Lass den Saum seines Mantels fest und übte Drück aus, falls er noch einen Fluchtversuch starten wollte.
„Was zum..? Wie bin ich..? Lass, kann ich bitte aufstehen?"
Erleichtert atmete sie auf, als sie wieder den bekannten Ausdruck sah.
„Natürlich, Mister Frye", seufzte sie und erhob sich, um sich den Dreck von den Kleidern zu klopfen.
„Nenn mich Jacob", merkte er an und stand auf. Verwirrt schaute er sich um.
„Ich kann mich nicht erinnern, hier her gegangen zu sein. Genauso wenig dich getroffen zu haben. Was ist passiert?"
„Ach, weißt du, schau zuerst in deine Tasche", fing Lass an und deutete auf seinen Mantel. Jacob fasste an die Stellen, wo man den Inhalt der Taschen spürte und zuckte sogar zusammen, als er etwas entdeckte. Kurz darauf zog er eine teure Uhr heraus.
„Woher hab ich das? Niemals hätte ich mir sowas gekauft", kommentierte er und sah erwartungsvoll zu Lass.
„Um genau zu sein, hast du es nicht gekauft. Du hast eine Frau auf der Straße bestohlen."
„Was?", hauchte er ungläubig und in seinem Blick lag das pure Entsetzen.
„Sei froh, dass ich in der Nähe war. Wer weiß, was du sonst noch angestellt hättest. Was ist das letzte, woran du dich erinnerst?", erkundigte sich Lass und legte Jacob die Hand auf den Arm, um ihn zu beruhigen, da er sichtlich panisch wurde. Die Antwort brauchte mehr Zeit, da Jacob angestrengt nachdachte.
Man konnte den Rauch aus seinem Kopf mit dem einer Dampflock vergleichen.
Er dämmerte ihm bald.
„Ich war im Park des anderen Bezirks. Dort habe ich einen komischen Mann verfolgt. Ab da ist alles weg."
Lass hatte aus unerklärlichen Gründen mehr erwartet. Jetzt konnte sie jedoch nichts anderes mehr tun. Vielleicht wartete sie auf eine böse Überraschung.
„Dann gehen wie jetzt dorthin, los!"

All right? [Assassins Creed Syndicate]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt