Für Hannah ❤
-----------------------------------------------------------------Einst, als auf der Welt noch Frieden herrschte, und nichts Böses je durch den Schleier, der unsre Welt umgab, gedrungen war, lebten, in einer uns fremden Welt, zwei Kinder.
Das eine, das Kind der Sonne, war ein Junge, mit goldblondem Haar, einem fröhlichen Lachen, strahlend blauen Augen und einer Gabe, die die Freude über die ganze Welt ausbreiten konnte. Er konnte Blumen zum Leben erwecken, einen Regenbogen im tiefsten Sturm schicken und lernte von seiner Mutter alles, was die Sonne eben können muss, denn er sollte eines Tages den Himmel bei Tage beherrschen.
Das andere, das Kind des Mondes, war ein Mädchen, mit den schwärzesten Haaren, die man je gefunden hatte, durchzogen von Silberstreifen, einem ernsten Gesichtsausdruck, tiefen, unergründlichen, braunen Augen und der Gabe, Schlauheit und Faszination zu wecken. Ihr Vater brachte seiner geliebten Tochter alles bei, was der Mond eben können muss, denn sie würde eines Nachts seinen Posten übernehmen, die Sterne mit einer Kerze anzünden gehen, und mit ihrer silbernen Kutsche, die den Mond zog, über den Himmel gleiten.
Diese beiden Kinder könnten unterschiedlicher nicht sein, war doch das eine aus einem Stern geboren worden, und das andere aus einem Sonnenstrahl gewachsen. Und doch teilten sie ein Geheimnis: beide wollten einmal, in ihrem Leben, den Himmel in dem anderen Zyklus sehen, der ihnen bisher verwehrt geblieben war.
Als der Junge an die siebzehn Sommer zählte, ging er zu seiner Mutter, da er nun bald die Wache über das Licht des Tages übernehmen sollte. Doch während er büffelte und jede Prüfung mit Bravour bestand, ließen ihn die Fragen nicht zur Ruhe kommen: Wie mochte die Welt Nachts aussehen? War da überhaupt etwas was den Menschen Licht und Hoffnung spendete? Wie konnten die Menschen, die sie hinter ihrem Sonnenwagen zurückließen, überleben, bis sie wieder zurück kamen?
Und an dem Tag, an dem er feierlich mit der Sonne vereint werden sollte, stellte er diese Fragen seiner Mutter. Sie erschrak, brach die Zeremonie jedoch nicht ab, denn sie hoffte, dass er seinen Fragen nicht nachgehen würde, wenn sie ihm die volle Verantwortung übertrug. Sie hoffte, dass seine Pflicht als Wächter des Lichts ihn von diesen Träumen abhalten würde, und er sie alsbald vergessen würde.
Doch dem war nicht so.
Der Junge wälzte Bücher, und fand schließlich heraus, wie er, an einem ganz bestimmten Tag im Jahr, wenn er nur ein bisschen länger wartete, die Nacht sehen würde.Auch das Mädchen, welches an die sechzehn Winter zählte, wurde von Fragen geplagt, auf die sie keine Antwort wusste: Wieso verbrannte die Sonne, mit ihrer Hitze, nicht die gesamte Welt? Wie konnten die Menschen die Sonne verehren, und den ganzen, lieben, langen Tag in ihrem scheußlich hellen Licht herum laufen, aber die Nacht und den Mond so verabscheuen, dass sie sich in ihre Häuser zurückzogen, kaum dass sie den ersten Schimmer seines silbernen Lichts über den Horizont kommen sahen? Und wie mochte wohl die Welt bei Tageslicht aussehen? Schöner als im sanften Mondlicht?
Als nun die Zeit kam, in der sie dem Mond geweiht, und die Wächterin der Nacht werden sollte, kam sie am Abend vor dem Ritual zu ihrem Vater, und fragte diesen nach all den Dingen, die sie seit Jahren auf dem Herzen trug.
Doch ihr Vater wies sie ab, schickte sie fort und ins Bett, damit sie am nächsten Abend ausgeruht wäre.In jenem Schlaf, wurde sie aber von solch schlimmen Alpträumen heim gesucht, dass sie die ganze Zeit kein Auge mehr zu tun wollte.
Sie schlich sich aus dem Silberpalast, in dem sie und ihr Vater wohnten, und galoppierte mit ihrem Einhorn tief in die dunklen Weiten ihrer Welt.
Als sie wieder kam, fasste sie den Entschluss, dass sie nicht eher ruhen wollte, ehe sie die Sonne und die Welt bei Tageslicht gesehen hatte.
In der folgenden Nacht wurde sie dem Mond geweiht, und übernahm all die Verantwortung, die ihr Vater etliche Jahrtausende lang getragen hatte. Und tatsächlich wurde ihre Nacht so mit Aufgaben gefühlt, dass sie kaum Zeit hatte, ihrem Schwur treu zu bleiben.Indes war das Kind der Sonne nicht untätig gewesen, und hatte Berechnungen und Messungen angestellt, nach denen der Tag, an dem sein sehnlichster Wunsch in Erfüllung gehen sollte, kaum mehr als 3 weitere Wege, mit dem Sonnenwagen, entfernt sein sollte. Je näher dieser Tag rückte, desto nervöser wurde der Junge, und trieb die Sonnenlöwen, die vor den Wagen gespannt waren immer schneller an, sodass es jeden Tag ein wenig schneller dunkel wurde.
Und dann brach der Tag an, der das Leben dieser zwei jungen Menschen für immer verändern sollte.
Der Junge lenkte seinen Sonnenwagen geschickt über das Himmelszelt, und kam genau zum berechneten Zeitpunkt, an dem ausgemessenen Ort, an. Er wartete, doch kaum zwei Wimpernschläge später, sah er ein silbriges Leuchten über die Berge hinauf steigen.
Als er das zierliche Wesen, in dem silbrigen Wagen, der auf ihn zu glitt, sah, schwoll sein Herz, voller Gefühle für dieses Mädchen, an.
Sie erschien ihm wie eine Elfe, mit ihrem weißen Kleid, den pechschwarzen Haaren und der elfenbeinfarbenen Haut. Die Einhörner, die vor ihren Wagen gespannt waren scharrten mit den Hufen, an denen er kleine Sterne zu erkennen glaubte.Plötzlich löste sich einer der winzigen Sterne, und trudelte zur Erde hinab. Doch sobald er den Schleier durchdrang, wuchs ihm ein silbrig schimmernder Schweif, mit dem er über den Himmel zog, bis er schließlich verglühte.
Fasziniert von diesem Schauspiel, blickte der Junge ganz weg getreten in die Nacht hinein, und wurde erst aus seinen Träumerein gerissen, als das Mädchen das Wort an ihn richtete.„Wer bist du?“ fragte sie mit sanfter Stimme, und blickte ihn fragend an. Seine blauen Augen raubten ihr den Atem, und der Schimmer seiner goldblonden Haare, ließ ihn wie einen Engel aussehen. Ihr Herz flattert, wie der kleine Vogel, den sie sich zuhause im Palast hielt.
Als sie die Worte sprach, verfärbte sich der Wagen des Jungen. Zunächst von Gold zu Kupfer, dann von Kupfer zu Rubin, von Rubin zu Rosenquarz und zuletzt von Rosenquarz zu Amystet.
„Ich bin das Kind der Sonne. Leopold ist mein Name.“ brachte er mühsam heraus.
„Und wer bist du, du überirdisch schönes Mädchen?“
„Ich bin das Kind des Mondes. Man nennt mich Selena.“ brachte sie, mit einem Lachen, heraus.Doch gerade als sie weiter reden wollten, grollte der Himmel, und Leopold wurde von Selena fortgerissen. Unsicher winkte sie ihm hinterher, als er auf einer goldenen Lichtspur entschwand.
Ein Jahr lang, sahen die beiden sich nicht, bis erneut der Tag der Tage näher rückte.
Und als sie beisammen, am Himmel standen, küsste Leopold Selena, denn ihm war bewusst geworden, dass sie die eine für ihn war.
Auch Selena hatte viel nachgedacht, und war zu dem Ergebnis gekommen, dass ihr Herz die Wahrheit sprach. Und so versprachen sie einander zu lieben und zu ehren, bis in alle Ewigkeit.Als ihre Eltern von dieser Liebe zwischen den beiden erfuhren, waren sie erzürnt und trennten die beiden ganz entschieden, doch selbst die beiden Eltern mussten bald einsehen, dass die Liebe ihrer Kinder zu stark war, um sie zu brechen.
Und so schenkten sie ihnen die Stunden, in denen die Sonne unter-, und der Mond aufging.Und weil Leopold, selbst nach all den Jahren noch so eine Freude empfand, wenn er seine Frau endlich wieder in den Armen halten konnte, verfärbt sich der Himmel bis heute, in diesen Stunden.
Denn dann, so wisst ihr jetzt, finden die beiden Liebenden endlich zueinander.
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Der Dachboden der Träume
Kısa HikayeLangsam stieg sie die steilen Stufen nach oben. Sonnenlicht blitzte hier und da um Ecken und zwischen Astlöchern hindurch. Staubkörner wirbelten durch die Luft, als würden die Sonnenstrahlen eine nur für sie hörbare Musik machen. Sie musste niesen...