Part 1

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//Aloha! Ich melde mich mal mit einer komplett anderen Geschichte zu Wort. "Wie überlebe ich einen Snob?" ist mein neues Projekt und ich hoffe, es schreitet schnell voran :)

Viel Spaß beim Lesen!

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„Wir haben deine Tante ausfindig machen können", sagt die Frau vom Jugendamt, die schon seit einer Stunde auf mich einredet. Irgendwas von wegen Vormundschaft und so, ich habe versucht, an etwas Schönes zu denken. An das Meer, unseren Hund, die warme Sonne auf meiner Haut. Vielleicht werde ich später, wenn ich erwachsen bin, ein Auto und genügend Geld habe, in ein kleines Häuschen an der Küste ziehen. Das wäre was.

„Hey, Mara, hörst du mir überhaupt zu?" Das runzelige Gesicht der Jugendamttussi taucht so unvermittelt in meinem Blickfeld auf, dass ich fast vom Stuhl falle.

„Was?" Was will die denn jetzt schon wieder von mir?

„Ich sagte, wir haben deine Tante ausfindig machen können." Mit tadelndem Blick schaut sie auf mich hinab. Ich wusste gar nicht, dass ich eine Tante habe.

„Rosemarie Andersson, deine Tante väterlicherseits, ist bereit, die Vormundschaft für dich zu übernehmen. Sie wohnt in Hamburg", Oh, Hamburg. Das liegt doch am Meer, oder?, „und wird für dich sorgen. Allerdings stellte sie uns eine Bedingung: Du wirst wieder in die Schule gehen und außerdem in einem Internat wohnen. Deine Vergangenheit in der Jugendpsychatrie scheint sie etwas abzuschrecken, deshalb sieht sie das Internat für die beste Lösung."

Bei diesen Worten richte ich mich auf und schaue die Frau argwöhnisch an.

„Die Tante, von der ich bisher nichts wusste, will für mich sorgen, aber gleichzeitig mich auf ein Internat abschieben?" Das ergibt doch keinen Sinn. Mal abgesehen davon, dass ich nicht in die Schule gehen werde, kriegen mich sicher keine zehn Pferde in ein Internat.

„Mara", ermahnt sie mich. So wie sie immer meinen Namen ausspricht, komme ich mir unglaublich kindisch und unerzogen vor. Ich hasse das. Deshalb kann ich sie auch nicht leiden.

„Mara, du hast keine Wahl, wir haben schon alles mit deiner Tante geklärt, im kommenden Schuljahr wirst du das Luisen-Gymnasium in Kiel besuchen und ebenfalls dort wohnen."

Sie reicht mir eine Broschüre.

„Nützliche Informationen stehen hier drin, lies dir das mal durch. Dann wirst du schon merken, was für eine riesige Chance sich da für dich ergeben hat."

Genervt verdrehe ich die Augen und stehe so abrupt auf, dass der Stuhl laut polternd umkippt. Ich greife meine Tasche und stopfe den Flyer, auf dem in goldenen Lettern >>Luisen-Gymnasium. Die Elite lernt hier.<< steht, hinein.

„Kann ich jetzt gehen?", frage ich, obwohl ich es nur rhetorisch meine. Gehen tue ich sowieso, ob sie es mir erlaubt, oder nicht. Die Jugendamttussi steht langsam auf, streicht sich ihren Achtzigerjahre-Bleistiftrock glatt und nickt.

„Ja, natürlich. Aber denk dran, in zwei Wochen beginnt der Ernst des Lebens. Da führt kein Weg vorbei. Deine Tante legt auf Bildung sehr viel Wert. Auf Wiedersehen, Mara."

Die letzten Worte höre ich kaum, da ich schon raus aus dem stickigen Büro, auf den kühlen Flur gerauscht bin. Ihr scheinheiliges „Auf Wiedersehen, Mara" kann sie sich sonstwohin stecken. Ich habe diesen ganzen Scheiß sowas von satt. Seit dem Tod meiner Mutter versucht jeder, über mich zu bestimmen. Mara, hier wohnst du jetzt. Mara, du musst zur Schule gehen. Mara, es ist besser für dich, wenn du für eine Zeit in eine Klinik gehst. Mara, da wird man dir helfen. Mara, Mara, Mara. Ich bin es leid, herumkommandiert zu werden wie ein willenloses ... Ding. In einem Monat werde ich Siebzehn, ab da ist es nur noch ein Jahr zur Volljährigkeit. Dann kann ich endlich raus aus diesem Affenzirkus. Bis dahin bin ich allerdings gefangen. Wohl oder Übel werde ich in diese Schule gehen, mich der normalen Jugend anpassen und mich resozialisieren müssen. Das waren die Worte des Arztes, als sie mich aus der Klinik entließen. Dass ich nicht lache! Wenn ich keinen Bock habe, mit der grauen Masse da draußen zu interagieren, warum sollte ich das dann tun?

Ich komme auf dem Bürgersteig vor dem Amtsgebäude zum Stehen und sehe mich um. Ins Heim will ich noch nicht zurück, also schultere ich meine Tasche, die ich immer noch in der Hand halte und gehe die Hauptstraße entlang zielstrebig auf das schmutzig-graue Haus zu, an dem die Aufschrift „A. K. B xing" nur sehr vage vermuten lässt, was sich in dem Gebäude befindet. Eigentlich hieß es früher „A.K. Boxing", doch irgendein Idiot hatte das >o< abmontiert, und so verlor der Name seine Bedeutung.

Ich stoße die Tür auf, nicke einem bulligen Mann zu, der am Eingang steht und eine Zigarette raucht, und gehe in die Halle, die größer ist, als man von außen erwartet.

In der Damenumkleide verstaue ich meine Tasche im Spind, hole meine Boxhandschuhe heraus und knalle die Schranktür zu. Meine Haare binde ich zu einem lockeren Knoten zusammen, da sie mir einfach zu lang sind, um sie offen zu tragen. Weil ich durch die hohen Temperaturen in diesem August schon ein Spaghettiträgertop und bequeme Stoffshorts trage, wechsle ich nur meine Schuhe, die ich mir ebenfalls aus dem Schließfach zurechtgelegt habe, und suche mir einen freien Boxsack.

Immer und immer wieder lasse ich meine Fäuste darauf niederschnellen, bis meine Wut auf die Frau vom Jugendamt, die Ärzte aus der Klinik und den Rest der Welt verraucht ist.

Ich sinke auf die Matte nieder und ziehe die Handschuhe aus. Im Augenwinkel sehe ich einen Jungen mit südländischem Aussehen, der mich angrinst und anzügliche Bewegungen macht. Ich zeige ihm den Mittelfinger und drehe meinen Kopf weg. Ahmed oder wie er heißt, müsste eigentlich längst wissen, dass sein Handeln nicht fruchtet. Jedenfalls nicht bei mir. Ich hatte es bis jetzt immer bevorzugt, mit niemandem hier zu reden, wenn ich zum Boxen da war. Mein Durst an Bekanntschaften ist für lange, lange Zeit gestillt. Eigentlich kenne ich kaum eine – nein, eigentlich keine Person, dessen Verhältnis zu mir ich als >Freundschaft< bezeichnen würde.

Früher, also vor dem Unfall meiner Mutter, als ich noch wie jedes normale Mädchen die Schule besuchte, hatte ich einige Freunde. Nicht viele, aber einige. Ich war nicht die beliebteste Schülerin, aber auch keine Außenseiterin. Ich war der Durchschnittsmensch.

Und dann veränderte sich alles von einem Tag auf den anderen.

Meine Mutter starb bei einem Autounfall, als sie von der Arbeit nach Hause kam. Es war dunkel und ein Reh sprang auf die Straße, dem sie auszuweichen versuchte. Dabei kam sie von der Straße ab und rauschte mit Einhundert Kilometern pro Stunde in einen Baum. Ich erfuhr von ihrem Tod erst am nächsten Tag, da ich bei einer Freundin übernachtet hatte. Meinen Vater verlor ich schon früh an die unbesiegbare Krankheit Krebs und als dann meine Mutter nicht mehr nach Hause kam, stand ich plötzlich als Vollwaise da. Keine Verwandten. Und ehe ich mich versah, war ich auch schon im Heim. Ich isolierte mich völlig, weigerte mich, in die Schule zu gehen und aß nichts mehr. Da hielt es die Heimleiterin für eine gute Idee, mich in die Jugendpsychatrie zu schicken. Ich verbrachte fünf alles zerfressende Monate dort, abgestempelt als Irre, die nicht über den Tod ihrer Mutter hinweg kam. Nach diesen Monaten und meiner Rückkehr ins Heim wurde alles nur noch schlimmer. Jetzt wollte endgültig niemand mehr etwas mit mir zu tun haben und so vegetierte ich bis jetzt nur vor mich hin, brachte mir das nötige Wissen für die Schule selbst bei -was prima funktionierte!- und hielt mich fern von Menschen.

Bis jetzt, wo eine gewisse Rosemarie Andersson vorgab, meine Tante zu sein und mich zwang, auf ein Internat zu gehen.

Wie Überlebe Ich Einen Snob?Where stories live. Discover now