9 - Sarah-Anna

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„Verflucht noch einmal!" Ich hätte nie gedacht, dass Aufstehen jemals so schmerzhaft sein kann.
Nachdem kurzen Imbiss bin ich gleich wieder eingeschlafen (ich habe keine Ahnung, wie ich das geschafft habe. Eigentlich soll ich hellwach sein, aber vielleicht sind es Nachwirkungen des Morphiums, oder so).
Von meinem Geschimpfe, um es nett auszudrücken, wacht Belle auf. Als sie mich sieht, wie ich, wie ein hilfloser Käfer versuche, möglichst schmerzfrei aufzustehen, schmunzelt sie und hilft mir.  Ich verziehe meinen Mund und versuche ruhig zu sein, da die anderen noch schlafen.
„Guten Morgen, Cass. Wie fühlst du dich?", flüstert Belle.
„Ich bin das verdammte, zermatschte Grünzeug im Inneren einer Kuh! Durchgekaut, verdaut, hochgewürgt und gleich nochmals gekaut, als wäre ich ein Kaugummi!", stöhne ich. Belle kichert. „Na dann, Grünzeug, wie wär's mit Frühstück?" Ich nicke grinsend.
Don, der Wache gehalten hat, gähnt. Als er uns sieht, sagt er: „Wenn ihr hier bleibt, hau ich mich aufs Ohr. Wie geht's, Cass?"
„Geht schon. Irgendwie", murmele ich. Don nickt mitfühlend und legte sich dann auf eine Matte. „Belle, erinnerst du dich an etwas?" Sie reicht mir ein Brötchen und sieht mich neugierig an. „Nun, ja. An einen weissen Raum. Cale, Beck und du wart auch dabei. Du und Cale habt übrigens Händchen gehalten!" Sie grinst und zwinkernd mir zu. „Echt?" Ich spüre, wie mein Kopf flammend rot wird. „Ja, echt! Ich glaube, ihr seid ein Paar." Ich zucke mit den Schultern.
„Erinnerst du dich daran, wie wir uns kennengelernt haben?" Sie wiegt den Kopf hin und her. „Jain. Ich weiss noch, dass wir in einem Wald waren. Cale hat dich gefunden. Ein kleines, junges, dreckiges, verängstigtes Mädchen." Sie grinst und knufft mir sanft in den Arm, der fast heil geblieben ist. „Er sagt, du warst ganz alleine und hattest gar niemanden mehr", sagt sie und beisst ein grosses Stück von ihrem Brot ab.
„Und dann?", hake ich nach. „Nix mehr", nuschelt sie. „Wie jetzt?", frage ich ungläubig. „Da ist nichts mehr", nickte Belle.
„Ist das nicht schräg?"
„Wie meinst du das?" Sie sieht mich fragend an.
„Wir werden hier abgeschoben, erinnern uns nur an Bruchstücke und sollen den ganzen Scheiss hier auf die Reihe kriegen! Als ob das nicht schon genug wäre, gibt es als besondere Weihnachtsgeschenke noch Nachbarn aus Glas und nette Pflanzen, die uns angreifen!" Meine Worte triefen nur so von Sarkasmus. Ich merke, wie ich all meine Wut und Angst loswerde. Es ist ein gutes Gefühl.
Belle legt mir sacht eine Hand auf meine Schulter. „Ich weiss, wir sind alle fertig hier. Aber was auch immer du tust: Lasse deine Angst nicht in Wut verwandeln. Ich weiss nicht, was alles passieren könnte, auf jeden Fall nichts Gutes, okay?", sagt sie sanft. Ich sehe in ihre nussbraunen Augen und mein Ärger verraucht. „Ja", sage ich leise.
Dann wende ich mich ab und lege mich ächzend wieder auf meine Matte. Ich schliesse die Augen und verliere mich in meinen Gedanken.

    Ich schlafe ein ohne, dass ich es merke.


„Sie haben eine Stunde, bis es losgeht", ertönt eine Stimme aus der Sprechanlage. Ich höre auf zu kauen und sehe die Anderen an. Niemand von uns bekommt das Frühstück in den Magen, wir müssen uns jeden einzelnen Bissen zwingen. Ich schlucke, was ziemlich schwierig ist, wenn die Kehle so eng geworden ist. In einer Stunde werden wir vergessen, wer wir sind. In einer Stunde werden wir zu unserer (hoffentlich letzten) Station aufbrechen. In einer Stunde werden wir uns unserem Grauen gestellt. Mein Magen schmerzt auf einmal so sehr, dass ich nach Luft schnappen muss und mich zusammenkrümme. „Cass, alles wird gut!" Ein Arm legt sich um meine Schulter, während ich spüre, wie ich zu weinen beginne. Aus dem Tränenstrom entsteht ein richtiger Heulkrampf. Oh Gott, wie kitschig! Richtig peinlich. Cale führt mich hinaus. Mein Körper zittert heftig und ich merke, dass ich hyperventiliere. „Cass, sieh mich an! Sieh mich an!", drängt sich Cales Stimme in meinen Kopf. Ich wische mir die Tränen weg, was vollkommen sinnlos ist, da ständig neue kommen. Trotzdem gelingt es mir, ihn für einige Sekunden völlig klar zu sehen. „Wir werden es überleben, okay? Wir werden schaffen!" „Berühmte letzte Worte", denke ich. „Ich kann das nicht! Ich kann dich nicht verlieren, ich kann nicht zusehen, wie meine Freunde sterben, ich kann nicht sehen, was in eurem Gesicht sein wird, wenn ich-" „Hör auf, Cassandra!", sagt Cale. Er ist auf einmal nicht mehr sanft, sondern barsch. Ausserdem nennt er mich nie Cassandra. „Ich will das nicht hören!", sagt er. Dann seufzt er und zieht mich in eine Umarmung. Erst reagiere ich nicht, sein Ton hat mich schon verletzt, doch dann verwerfe ich den Gedanken wieder. Wir werden ohnehin andere Sorgen haben. Ich umarme ihn fest und vergrabe mein nasses Gesicht in seine Schulter. „Wirst du bei mir bleiben? Egal, was passiert?", murmele ich. Es mag sich vielleicht noch kitschiger anhören und ist mehr ein Fall für RTL, aber im Moment brauche ich ihn so, wie niemanden sonst. „Sicher", sagt er.

    Beck, Belle, Cale und ich haben unsere Kleider extra dunkel gewählt. Ich trage ein dunkelblaue Jeans, ein schwarzes Shirt und eine dunkelgrüne Jacke. Meine schwarzen Stiefel quietschen auf dem Linoleumboden. Alle meine Gefühle habe ich in eine Ecke in meinem Gehirn verbannt. Diesen „Professoren" traue ich bei weitem nicht. Ich hasse sie richtig. Ich liege auf einer Art Liege, die mich aber eher an einen Sarg in Röhrenform erinnert. Ein junges Mädchen öffnet die Tür und kommt herein. Sie sieht mich schüchtern an. Mein Blick wandert von ihren perfekt sitzenden karamellblonden Haaren, bis zu ihren hochhackigen Schuhen. „Arbeitest du für die?", frage ich abschätzig. Sie nickt. „Äh, ja." Ihr etwas eingeschüchtertes Gesicht verrät mir, dass ich sie finster ansehe. Gut so. Ich stütze mich auf meinen Armen und runzle die Stirn. „Wieso machst bei diesem Scheiss mit? Was ist so spannend, Teenies zu zusehen, die abgemurkst werden?" Sie antwortet mir nicht, sondern beginnt an einem Gerät an der Wand herumzufummeln. Trotzdem sehe ich, dass ihre Wangen rot werden. „Vertrau mir, irgendwann wirst du genauso kalt und gefühlslos sein, wie die! Genauso monströs!" Ich hoffe sehr, dass meine Worte sie schlimmer treffen, als eine Pistolenkugel. Sie kommt zu mir zurück und drückt mich zurück in die „Liege". „Ich werde nun einige Erinnerungen an Ihnen löschen, damit Sie sich nicht mehr an die Zentrale erinnern", sagt sie in einem leichten harschen Ton. Ich muss grinsen. „Übst du schon, um wie die zu werden?" Ohne ein Wort  bückt sie sich und beginnt je einen Gurt um meine Schienbeine, meine Hüfte, meine Schultern und meine Hände zu befestigen. Sie sieht sich um und steckt mir einen Zettel in die Jackentasche. „Hör zu", flüstert sie und sieht mich eindringlich an. Ich merke, dass nun etwas kommt, dass sie eigentlich nicht machen dürfte. „Ich werde deine Erinnerung nicht komplett löschen. Du bist unauffällig. Du musst dich erinnern und wissen, wie du da raus kommst! Ich hasse diesen Job, darf ihn aber nicht schmeissen. Ich war auch mal so. So, wie du, meine ich. Sie zwingen mich, hier zu sein und jetzt halt die Klappe und sieh weiter finster drein, damit niemand etwas merkt!" Sie richtet sich wieder auf, als die Tür ein weiteres Mal geöffnet wird und ein Kopf hereinlugt. Die von mir verhasste Frau ist wieder da. Ich sehe sie noch finsterer an, als ich das Mädchen angesehen habe, es geschieht schon automatisch. „Bitte beeilen Sie sich, Sarah-Anna!" Sarah-Anna läuft schnell zu dem Gerät, an dem sie schon zuvor gewesen ist. „Ja, Madam", sagt sie gehorsam. Sie ist wie ich gewesen. Was meinte sie damit? Ich nehme an, dass sie auch in den einzelnen Stationen war. Ich werfe einen letzten Blick auf Sarah-Anna, die mir aufmunternd zulächelt. Kopf hoch, schien ihr Blick zu sagen. Ein leises Zischen ertönt und der Deckel schliesst sich. Ich werde sie nie mehr sehen. Mit einem weiteren Zischen öffnen sich zwei kleine Öffnungen und ein süsslicher Duft verbreitet sich in der Röhre. Meine Lider senken sich und ich verliere mein Bewusstsein.

Als ich aufwache, öffne ich meine Augen nicht. Stattdessen sehe ich immer wieder Sarah-Anna vor mir, wie sie mich zulächelt und mir bedeutet den Kopf hoch zu halten. Ich soll mich erinnern, hat sie gesagt.

Und ich fange an, mich nach und nach zu erinnern.


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Hey<3

Alles klar bei euch?

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Ja, ich weiss, ich bin bei meinen eigenen Kommentaren nicht gerade sehr redselig. Naja.

Bb, Lily C.

Station 10 #Wattys2016Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt