Lichtblick

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Stimmen. Andauernd diese Stimmen. Sie sagen mir ständig, dass ich verrückt, durchgedreht und übergeschnappt sei. Nur Terry sagt das nicht. Vor wenigen Wochen sagte Terry, dass ich keines dieser Dinge bin. Ich sei einsam.

Einsamkeit".

Seitdem stelle ich mir die Frage, was Einsamkeit eigentlich ist. Vielleicht ist Einsamkeit ja, wenn man alleine ist. Immer allein. So wie ich. Möglicherweise ist Einsamkeit ja, wenn sich niemand mit einem beschäftigt oder man sich so sehr von anderen abschottet und irgendwann anfängt mit sich selbst zu sprechen.

All diese Gedanken verwerfe ich jedoch, denn heute kommt Terry wieder.

„Terry?", frage ich. Da steht er, an der Tür, die zum Anstaltsgarten führt. „Jean?", fragt Terry zurück und lächelt mich warm an. Ich mag es, wenn er lächelt. Außerdem ist er gerade einmal fünf Jahre älter als ich.

Manchmal frage ich mich, ob ich mich sogar in ihn verliebt habe. Ich glaube schon. Terry ist nämlich nett, klug und der Einzige, der mich anlächelt und ein Kribbeln in meinem Bauch auslöst, sobald ich ihn sehe.

„Jean?", fragt er erneut. Ich blinzle einmal und frage: „Terry, was ist Einsamkeit?" Ich blicke in seine großen, intelligenten Augen.

„Jean", er seufzt, „Einsamkeit kann alles sein, weißt du? Du bist einsam, weil du dich niemandem anvertraust und mit niemandem sprichst, verstehst du?"

Oh...

„Terry, ich ...", ich überlege.

„Du...?", drängt er.

„Terry, dir vertraue ich", flüstere ich und schaue auf den Boden.

„Ach, Jean, du... Warum?", fragt er sanft und fasst mein Kinn. Er zwingt mich, ihm in die Augen zu sehen

„Weil du der Einzige bist, der mir richtig zuhört", gebe ich kleinlaut zu und betrete den Garten. Er schmunzelt, während wir zu meinem Lieblingsplatz gehen. Als wir uns auf die Bank zwischen den Rosenhecken setzen, sagt er: „Jean, ich glaube nicht, dass ich der Einzige bin, der dir richtig zu hört. Was ist mit den Pflegern und Ärzten? Es ist deren Job sich anzuhören, was du zu sagen hast, nur deshalb können sie dir helfen. Also hör bitte auf, so etwas zu denken, ja?"

Er tätschelt meinen Kopf. Ich mag es, wenn er das tut. Es zeigt mir, dass ich ihm nicht so

egal bin, was mich zugegebenermaßen sehr glücklich macht.

„Bin ich immer noch einsam?", frage ich nach einiger Zeit und wage es nicht, meinen Blick von meinen Händen zu wenden.

„Ich glaube nicht, Jean. Zumindest erscheinst du mir nicht mehr so einsam, wie vor drei Monaten, als ich dich kennenlernte. Vielleicht...", er machte eine theatralisch lange Pause und zwinkert mir zu, „wirst du ja bald sogar entlassen."

Wie meint er das? Vielleicht wirst du ja bald entlassen?!

„Wie meinst du das?", frage ich deshalb. Er erklärt: „Du hast in letzter Zeit sehr gute Fortschritte gemacht. Du hast angefangen wieder ordentlich zu essen, man kann dir ein Messer geben, ohne, dass man Angst haben muss, dass du dir damit etwas antust und dein Arzt meinte zu mir, dass du mittlerweile offener mit deinen Gefühlen umgehst und nicht mehr an die Wand starrst, wenn du allein bist. Er meinte, dass du immer seltener schreist und deine kleine Stupsnase in die Bücher steckst, die ich dir mitgebracht habe." Er scheint stolz auf mich zu sein. „Deswegen könnte es sein, dass du möglicherweise entlassen wirst", sagt er und lächelt mich wieder an. Doch dann beginnt er verräterisch zu grinsen und ich frage mich, ob das wirklich wahr sein kann.

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