Wiederkehrende Blumenwiese

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Jeden Tag ging er um die selbe Zeit den gleichen Weg. Wenn es schneite, sah man ihn mit einer Wollmütze, einem Schal und Handschuhen, den gleichen Weg gehen wie jeden anderen Tag auch - durch die Blumenwiese.
Wenn es regnete, sah man ihn mit einem roten Regenschirm, auf dem kleine Schildkröten gedruckt waren, durch die Wiese laufen.

Wenn die Sonne schien, sah man ihn mit einer Wasserflasche in der Hand, durch die Wiese laufen.
Wenn er mal eine sehr vertrocknete, oder kaputte Stelle sah, kniete er sich hin, "pflickte" die Stelle so gut er konnte, und goss sie einbisschen. Nicht zu viel. Sonst geht die Blume ein.

Er ging seit Jahren die gleiche, weite Strecke. Niemand kannte ihn persönlich, da er mit niemandem sprach. Wenn man an ihm vorbei lief, sah er die Leute mit dem schönen, echten Lächeln an, den die ganze Nachbarschaft kannte. Niemand kannte ihn, niemand wusste wie er hiess. Doch war er in der ganzen Nachbarschaft bekannt. Die meisten nannten ihn 'Der Lächelnde' andere nannten ihn der 'Blumenjunge'.

Einmal, lief ein kleiner Junge mit seiner Mutter an dem Blumenjungen vorbei. Er sah eine Weile dem grossen Jungen hinterher und legte danach seinen Kopf in den Nacken und sah seine Mutter an. Er fing an zu sprechen und fragte seine Mutter: ,,Mama, warum ist dieser Junge so traurig?" Die Mutter sah ihren Sohn verwirrt an "Warum traurig? Er hat doch gelächelt?" fragte sie ihn verständnislos und sah abwartend nach unten zu ihrem Sohn "Ja, Mama. Er hat gelächelt. Doch seine Augen waren voller Trauer. Sie haben geglizert, ich habe es nur kurz gesehen, doch bin ich mir sicher. Ja, ich bin mir sicher." Die Mutter hielt kurz inne und sah nach hinten, doch der Junge war schon weg.

¤

Tage vergingen, regnerische Tage. Es war alles wie immer, alle waren wie immer. Alle taten das, was sie immer taten. Doch, irgendwas war anders - alle hatten es gemerkt. Niemand weiss ganz genau was es war, doch die ganze Nachbarschaft merkte es.

Heute war ein trauriger, depremierender Tag. Niemand wusste warum. Sie wussten, es war etwas falsch, doch merkte niemand was es war.

Eine Frau mit einem kleinen Jungen an der Hand, liefen den langen Weg entlang, durch die Nachbarschaft. Irgendwas stimmte nicht, doch die Frau wusste auch nicht was. Sie sah, die Nachbarn merkten es auch. Sie verhielten sich anders - langsamer, lustloser - nicht wie normalerweise. Sie merkte aber auch - sie wussten nicht was geschehen war. Sie spürten es alle, doch niemand verstand.

Da fing der kleine Junge plötzlich an zu reden "Mama, darf ich dich was fragen?" die Mutter schaute stirnrunzelnd runter zu ihrem Sohn. Seltsamerweis, merkte sie gerade dass er den ganzen Morgen nichts gesagt hatte, obwohl er doch so viel und so gerne sprach. "Natürlich. Um was geht es denn?" fragte sie ihn und wartete auf seine Frage. "Ist der Junge jetzt glücklich? Lächelt er jetzt ein echtes Lächeln, ohne Tränen in den Augen?" fragte er neugierig und sah die Mutter ungeduldig an. Die Mutter wusste sofort um welchen Jungen es sich handelte, doch verstand sie nicht wie er auf diese Frage kam und noch weniger verstand sie was er genau mit dieser Frage meinte. "Wie kommst du denn darauf mein Kind?" fragte sie und war gespannt darauf, was er zu sagen hatte. "Als wir das letzte mal durch diese Strasse liefen, war der Junge nicht hier. Vorletztes mal auch nicht. Heute ist er auch nicht hier. Sonst war er doch immer um diese Zeit hier, irre ich mich? Ist der Junge doch nicht weg? Irgendwo an einem besseren Ort in in der er lächeln kann, ohne es vortäuschen zu müssen. Ist er immer noch nicht glücklich?" stellte er mehrere Fragen auf einmal und überforderte somit seine Mutter. Einpaar Leute hatten zugehört und da machte es bei den meisten Leuten Klick.

Der Junge, er war nicht mehr da. Seltsamerweise hat es niemand gemerkt, doch haben es alle gespürt. Er war seit längerem nicht diesen einen Weg entlang gegangen. Der Weg durch die schöne Blumenwiese.

Die Leute hatten es anfangs bemerkt, er war schon eine ganze Woche nicht mehr gekommen. Doch, dachte man er sei nur krank oder vielleicht umgezogen. Doch heute war es anders, heute war etwas geschehen und niemand wusste genau was.

Der Junge sah seine Mutter an. "Mama, können wir auch mal durch die Blumenwiese laufen? Bitte." fragte er sie und sie nickte nur stumm, versunken in Gedanken.

¤

Am nächsten Morgen als die Mutter die Zeitung am Frühstückstisch las, dabei an einer Tasse Tee nippte, sah sie etwas in der Zeitung das sie für einen moment inne halten liess. Es war eine Todesanzeige. Es war die Todesanzeige des Jungen. Des Jungen, der jeden Tag um die selbe Zeit, den Weg durch die Blumenwiese lief. Des Jungen, der das schönste Lächeln besass das die Menschen um ihn herum jemals gesehen hatten. Des Jungen, der sein Lächeln doch nur vortäuschte, hinter Trauer verbarg.

"Ich hoffe er ist endlich glücklich." Die Mutter sah von der Zeitung auf und sah ihren Sohn an aus dessen Mund diese hoffnungsvollen Wörter kamen.

"Ja, das hoffe ich auch."

Die Todesursache war eine Überdosis an Schlaftabletten.

Wiederkehrende BlumenwieseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt