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Ohne Diskussionen machte ich mich auf den Weg in die Edelstahlküche. Zwar war ich alles andere als begeistert, jedoch wusste ich, dass Felix Diskussionen liebte und immer gewinnen wollte. Da war mir meine Kraft viel zu schade für. Mürrisch versuchte ich einen Teller nach dem anderen zu spülen und zum Abtrocknen an Derek zu reichen, doch er war nicht wie erwartet neben mir. Der dunkelhaarige Mann befand sich nicht einmal in der Küche. Wenn er jetzt wirklich glaubte, dass ich den ganzen Abwasch alleine erledigte, konnte er sich später was anhören von mir. Vielleicht sogar von Felix. Besonders wenn er dann noch mit der Aussage um die Ecke kommen würde, dass Frauen sowieso in die Küche gehörten. Auch wenn ich keine Verfechterin des Feminismus war, wollte ich vorurteilsfrei behandelt werden und nicht wie das arme, hilflose Geschöpf was mancher Mann in Frau sah.
„Derek! Beweg deinen Arsch hier her!"
Wütend schmiss ich den Lappen in die Spüle und lief durch die große Tür zum Speisesaal, als ich keine Reaktion vernahm. Sofort erblickte ich ihn, er saß alleine am Esstisch und fummelte an seinem Handy rum. War das sein verdammter Ernst? Wer gab ihm das Recht mich alleine in der Küche bei unserer GEMEINSAMEN Aufgabe zu lassen? Richtig, niemand.
Ich war auf Hundertachtzig, so sauer war ich.
„Wann gedenkst du eigentlich in die Küche zu kommen und deine Aufgabe zu erledigen?"
Erschrocken zuckte er zusammen. Anscheinend hatte er nicht mit mir gerechnet.
„Oh, ich dachte du wärst in deinem Bungalow und würdest dann wieder kommen. Ich hab gar nicht gemerkt, dass du schon in der Küche warst."
Wie lahm war diese Ausrede bitte? Bei vier anderen Personen konnte man doch nicht eine einzige Person aus den Augen verlieren.
„Komm jetzt einfach", sagte ich. Mir war jetzt nicht nach Schlagabtausch. Egal um was es ging. Nur ließ ich ihm diesmal den Vortritt, ein zweites Mal wollte ich nicht verarscht werden. Denn ich war mir ziemlich sicher, dass er log. Jedoch konnte ich das schlecht beweisen, schließlich kannte nur er die Wahrheit.
Ich machte mich sofort wieder über die Teller her, als ich vor der Spüle stand. Es waren auch nur noch vier Stück und ein paar Gabeln, sodass wir eigentlich in zehn Minuten fertig sein sollten.
„Von wo kommst du eigentlich?", fragte mich Derek neugierig.
„Columbia."
„Echt? Was ein Zufall, ich hab dort studiert."
„Wenn du jetzt denkst, dass wir dadurch beste Freunde werden, hast du dich getäuscht."
„Warum hasst du mich so, Indiana?", wollte er nun wissen.
„Ich hasse dich nicht, ich hab nur keine Lust dich in irgendeiner Weise kennenzulernen. Ich bin hier um zu Arbeiten und nicht, um Freundschaften zu schließen, die nur im Sommer existieren", erklärte ich ihm.
„Es würde uns nur leichter fallen, wenn wir uns verstehen würden. Lach doch mal ein bisschen mehr, dass würde dich noch hübscher aussehen lassen."
Seit dem Beginn unserer Konversation schaute ich ihn an. Er hatte mir als letzter etwas vorzuschreiben. Zudem hasste ich es, wenn mir jemand Vorschriften machte. Ob das jetzt meine Mutter war, oder ein Fremder, spielte keine Rolle.
„Wenn du mit mir auskommen willst, dann halt einfach deine Klappe in meiner Nähe. Ende", gab ich schnippisch zurück.
„Wow, was ist denn mit dir los? Hast du deine Tage oder so?" Ein sarkastischer Unterton war Begleiter der Fragen. Wieso bemerkte er nicht, dass er mit solchen Bemerkungen es nur noch schlimmer machte?
„Warum lässt du solche Sprüche nicht einfach? Vielleicht haben die bei anderen Betreuerinnen funktioniert, aber bei mir zieht sowas nicht. Ich will nicht wissen, wie ich hübscher aussehen könnte, noch irgendwelche anderen philosophischen Fragen. Arbeitskollegen sind wir, mehr nicht."
Ich wendete mich wieder von ihm ab und spülte die restlichen Gabeln und legte sie Derek zum abtrocknen hin. Normalerweise war ich nicht immer so zu anderen Menschen, doch manche waren einem nicht ganz geheuer. So also Derek. Um ihm noch eins auszuwischen schnappte ich mir heimlich den nassen Lappen und klatsche ihm diesen in den Nacken.
„Gern geschehen", lachte ich höhnisch und verschwand aus der großen Küche.
Draußen fing es schon an zu dämmern und es wurde immer kühler. In Ohio wurden es im Sommer höchstens 30 Grad Celsius, tagsüber war es manchmal wirklich sehr warm, doch nachts krochen die Temperaturen relativ flott nach unten. Ich fand dieses Wetter perfekt, denn so musste ich nie bei heißen Temperaturen schlafen, oder besser gesagt versuchen in irgendeiner Weise zu schlafen. Letzten Sommer war ich für ein paar Wochen in Los Angeles und ich fand die Hitze dort teilweise unerträglich. Besonders nachts, wenn die Klimaanlage des Hotelzimmers kaputt war und man in seinem eigenen Schweiß schlafen musste.
Dank meines kurzen Schläfchens war ich noch nicht müde, deswegen wollte ich mich etwas an den kleinen See, von der Fotografie im Speisesaal, setzen. Schnell lief ich in das Bungalow von Mia und mir, um einen Pulli überzuziehen. Die lilahaarige musste wohl unter der Dusche stehen, denn ich hörte das Wasser laufen. Ich wollte ihr Bescheid geben, wo ich mich befand, jedoch würde sie sich bestimmt keine allzu großen Sorgen machen, wenn ich erst in einer Stunde ins Bungalow kam.
Mein Tagebuch nahm ich trotzdem mit, vielleicht würde es dort ein kleines Lichtlein geben welches mir etwas Helligkeit spenden würde. Neugierig folgte ich den Wegweisern zum See. Heute Mittag hatte die Zeit nicht mehr wirklich für diese Sehenswürdigkeit gelangt, Felix musste die Jungs abholen und ich war viel zu müde. Aber jetzt war ich irgendwie froh darüber, denn so konnte ich alle Eindrücke auf mich wirken lassen, ohne Gequatsche von jemandem. Die Sonne schien nicht mehr und ich konnte nicht jedes Detail erkennen, doch das was ich sah, war atemberaubend. Wie sich der helle Mondschein im dunklen Wasser spiegelte. Wow. Mehr Worte konnte ich nicht dazu finden. Man musste es einfach selbst gesehen haben. Und ich war mir ziemlich sicher, dass ich öfters an den See kommen würde. Gerade nachts, wenn das ganze Camp schlief.
Immer noch überwältigt vom Anblick lief ich zur kleinen Lampe die aussah wie eine Straßenlaterne. Das Licht war stark genug, um meine eigene Schrift lesen zu können. Perfekt. Bevor ich mich an meinen Tagebucheintrag machte, ließ ich mich einfach im Gras nieder und schaute auf den See. Ich saß einfach nur da und beobachtete das glitzernde Wasser. Am liebsten wäre ich sofort reingesprungen, jedoch wusste ich nicht wie tief der See war und ob sich nicht vielleicht doch irgendwelche Monster darin befanden. Am nächsten Tag wollte ich mich damit befassen, deswegen saß ich nur als stiller Beobachter da und störte nicht die Ruhe des Sees.
Nach gefühlter Ewigkeit fing ich an die ganzen Ereignisse des Tages in mein Tagebuch niederzuschreiben. Das Schreiben tat mir gut, denn es befreite mich auf gewisse Art. Ich konnte mich dann besser auf andere Dinge fokussieren, wenn ich das aufschrieb was mich ständig begleitete. Ich konnte damit abschließen.
Ein Knistern ließ mich vor Schreck hochfahren. Wer oder was konnte das bloß sein?

Indiana in OhioWo Geschichten leben. Entdecke jetzt