.:10:. Meredia

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Die Tage vor dem Vollmond waren am schlimmsten. In dieser Zeit wurde meine Gier nach Blut und Fleisch stetig größer und kaum noch zu bändigen. Ich wurde von Tag zu Tag blasser und meine Kräfte verließen mich schneller. Ich musste töten, und zwar bald, um nicht zu sterben. Bei dem Festival hatte ich mich gestärkt, doch auch das war bereits wieder zwei Wochen her. Ich traute mich kaum in diesen Tagen das Haus zu verlassen. Ich wollte es nicht riskieren, dass mich jemand in meinem Zustand ansprach. Ich könnte mich nicht beherrschen und würde denjenigen sofort auf offener Straße umbringen. Wo alle Leute mich sehen würden und mein Geheimnis damit aufgeflogen wäre.

Ich überlegte fieberhaft wie ich es am besten anstellen sollte, denn ich musste mindestens zwei Menschen töten. Meinen jetzigen Zustand zufolge sogar wesentlich mehr. Ich konnte nicht einfach so irgendwo hinein marschieren und ein Massaker starten. Oder vielleicht doch?

Ich erkundigte mich im Internet nach Veranstaltungen wie Konzerten, Festivals oder dergleichen. Eben etwas wo viele Menschen auf einmal sich versammeln würden. Das einzige was ich fand, war ein Zeltlager der Pfadfindergruppe Eichhörnchen an diesem Wochenende. Dreißig kleine Kinder würden ganze zwei Tage im Wald verbringen und dort auch übernachten. Das war die perfekte Chance für mich. Aber Kinder? Sollte ich wirklich Kinder umbringen?

Mein Gewissen wurde von meiner Gier und dem Gedanken an frisches Blut verdrängt. Jedes noch so kleine Detail meines Planes musste perfekt mit dem Rest harmonieren, sonst ging alles schief. Ich hatte sehr lange gebraucht, um den perfekten Plan auszuarbeiten.

„Am besten wird es sein, wenn ich in der Nacht meinen Plan umsetze. So ist es für die vielleicht überlebenden Kinder ein Problem, mich genau zu erkennen.", murmelte ich vor mich hin. Der Plan nahm in meinem Kopf nahm immer mehr Gestalt an und ich konnte mir ein triumphierendes Lächeln nicht verkneifen.

Die Zeit war gekommen, das Zeltlager wird heute beginnen. Ich habe mich genau informiert, wo es im Wald stattfinden würde und habe dabei herausgefunden, dass die Gruppe an meinem Haus vorbeikommen wird, um zu ihrem Platz im Wald zu gelangen. Ich ging meinen Plan noch einmal Schritt für Schritt durch. Alles musste genauso, wie ich es mir ausgedacht hatte, stattfinden. Ich will es wie einen Unfall aussehen lassen. Eine ungeplante Nachtwanderung der Kinder sollte ins Ungewisse und schließlich in ihren Tod führen. Ob ich ein schlechtes Gewissen hatte? Mein Hunger und meine Kraftlosigkeit machten es mir unmöglich eines zu haben. Ich verspürte nichts aus einer unbändigen Gier und einem mächtigen Hunger.

Gegen die Mittagszeit war es soweit, ich stand gerade im Wohnzimmer, als ich die Gruppe Kinder und ihre Betreuerinnen sah, die die Straße vor meinem Haus entlanggingen, die in einem Schotterweg endete, der in den Wald führte. Die Kinder scherzten und lachten und freuten sich anscheinend riesig auf ihr bevorstehendes Zeltlager. Ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen. Tja, zu schade, dass das die letzte Aktion in eurem Leben sein wird, die ihr begeht. Ich sah sie im Wald verschwinden und ließ mich seufzend in den Sessel fallen. Jetzt musste ich nur noch bis zum Anbruch der Dunkelheit warten, um meinen Plan auszuführen. Die Stunden bis dahin waren eine Qual. Aus lauter Langerweile begann ich sogar, das Haus zu putzen. Die restliche Zeit verbrachte ich erst mit Lesen und dann mit Fernsehen. Ich hatte im Laufe meiner Zeit hier im Haus bemerkt, dass die Millers eine ziemlich umfangreiche und fesselnde Auswahl an Lektüren hatten. Das Exemplar von Stolz und Vorurteil von Jane Austen hatte es mir besonders angetan. Die Nacht war bereits lange angebrochen, als ich endlich das Buch schloss. Ich hatte mich so an der Geschichte festgesaugt, dass ich die Zeit vollkommen vergessen hatte. Ich zog mir noch eine dunkle Jacke an, passend zu meiner schwarzen Hose. Danach ging ich aus dem Haus und machte mich auf den Weg in Richtung Wald. Ich verließ so schnell wie möglich den Schotterweg, denn ich wollte nicht riskieren, dass sie mich bereits vom Weiten sahen oder hörten. Deswegen setzte ich meinen Weg durch das dichte Unterholz fort. Ich hatte die Lichtung, auf der sich auch eine kleine Hütte befand, erreicht. Die ganze Schar saß im Kreis um ein Feuer herum und während sie ausgelassen sangen und lachten, grillten sie Marshmallows. Fast taten mir die Kinder leid, aber nur fast. Ich wartete, bis die Kinder von den Betreuerinnen ins Bett geschickt wurden. Die Betreuerinnen führten noch einen letzten Kontrollgang durch, ehe sie sich auf den Weg zur Hütte begaben. Ich konnte es zunächst nicht glauben, doch als ich noch einmal genauer hinsah erkannte ich Noah, wie er auf der erleuchteten Veranda der Hütte stand. Was macht er denn hier?, fragte ich mich. Ich hatte ihn vorhin gar nicht gesehen, umso überraschter war ich nun. Er ist auch nicht an meinem Haus vorbei gekommen... Das erschwerte meinen Plan nun um einiges, denn Noah wusste ja von mir, wenn auch indirekt. Oder vielleicht wusste er mittlerweile komplett über mich Bescheid... Ich seufzte und fuhr mir durchs Haar. Wie sollte ich es jetzt anstellen, ohne das Noah etwas davon mitbekam? Ich musste mir etwas einfallen lassen und zwar schnell, denn die Nacht würde nicht ewig dauern.

Die kleine Meerjungfrau - einmal andersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt