1-Jenny

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*Ok, machen wir einen Listencheck.

Neue Stadt? Erledigt!

Neue Bruchbude die zum Schmuckstück werden soll? Erledigt!

Neue Leute? Unerledigt! Würde sicher auch bald sein.

Neue Aufgabe? Erledigt!

Neues Leben? Zum fucking 3. Mal erledigt!*

Tja so sah es gerade aus. Ich saß mitten in einem schmutzigen Zimmer auf meinem Koffer der mein vorübergehendes Leben beherbergte. Hier war ich nun also. Gelsenkirchen Schalke. Das Stadion hatte ich schon gesehen auf dem Weg zu meiner neuen Behausung. Ich muss gestehen ich habe keine Ahnung von Fußball. Ich weiß nicht was, wer, warum, wieso. Nur das was man so aufschnappt in einer Bar wenn besoffene Fans ihren Sieg feiern. FC St. Pauli war da echt schlimm. Von da kam ich gerade. Zwei verfluchte Jahre Herbertstraße Hamburg. Davor lebte ich in Dresden, wenn man es Leben nennen konnte. Es war mehr ein Spießrutenlaufen zwischen überleben und nicht erwischt werden beim Klauen. Dazu jeden Abend die neue Suche nach einem Bett. Das letzte Bett brachte mich dann nach Hamburg. Meine Heimat war Berlin und ich wusste dass ich diese Stadt nie wieder sehen wollte. Komme was wollte und sei es nur ein Anruf dass ich zur Beerdigung kommen sollte meiner Eltern. Ich bin mit 17 abgehauen weil ich diesen Dauer-Suff und dieses Selbstmitleid meiner Eltern nicht mehr ertragen konnte. Ich lernte dann erst mal das Straßenleben kennen. Anfangs alleine bis ich halb tot in einem Abriss-Haus gefunden wurde von einer Gruppe Punks. Danach wurde es etwas leichter. Man glaubt gar nicht wie viele Geld auf Berliner Straßen lag wenn man wusste wo und wann man schnorren konnte. Es zog uns irgendwann dann nach Dresden. Zumindest 4 von uns. Trixi, Bea, Tom und ich machten uns auf den Weg dahin. Nach einem halben Jahr gaben Trixi und Tom auf und setzten sich in den Zug zurück nach Berlin. Bea und ich blieben. Irgendwann lernte Bea einen Typen kennen der schon lange unterwegs war quer durch Deutschland. Luka war sein Name und nahm Bea mit. Von da an schlug ich mich alleine durch. Es war eine scheiße kalte Januar Nacht, zwei Tage vor meinem 20. Geburtstag, als mich Jenny in ihrem Hinterhof fand. Ich hatte es mir gemütlich gemacht zwischen einem Berg Altpapier als sie mich weckte. „Hey wach auf!" versuchte sie mich zu wecken und irgendwann hatte ich eine Ohrfeige von ihr bekommen die mich endgültig weckte. „Sorry aber du solltest besser mit rein kommen. Für Camping ist es wirklich zu kalt" lächelte sie mich freundlich an. Als ich einigermaßen klar im Kopf wurde und mir lang genug die Wange gerubbelt hatte stand ich auf und folgte ihr wortlos. „Wie heißt du?" ich gab ihr keine Antwort "ich bin Jenny" sie hielt mir die Hand hin, ich ignorierte es "komm steh auf du kannst bei mir pennen und dich aufwärmen" das war ein Angebot was klang wie ein Weihnachtsgeschenk und ich stand auf um ihr zu folgen. "Woher kommst du?" Sie gab sich unnötig mühe und wir kamen bei ihrer Wohnung an. Ich fühlte direkt die Wärme in meinem Gesicht und hoffte das eine Nacht reichen würde zum komplett auf zu tauen. „Kaffee?" die Frage konnte ich einfach nicht unbeantwortet lassen und nickte. „Wow also verstehen kannst du mich. Nur reden wohl nicht" ich blieb einfach im Eingangsbereich stehen und sah mich um. Es war ja nicht so dass ich auf den Mund gefallen wäre. Aber, hey wie oft passierte dass schon das jemand Fremdes eine Punkerin wie mich in seine Wohnung holte weil es kalt war? Ein bisschen Vorsicht war besser als Nachsicht. „Komm rein" Jenny winkte mich zu sich und ich tat was sie sagte. Sie hatte eine großzügig geschnittene zwei Zimmer Altbau Wohnung. Eingerichtet mit viel zu viel rosa für meinen Geschmack. Man musste durchs Wohnzimmer um in die Küche zu kommen, vorbei an einem riesen knall roten Sofa *wie kann man das schön finden?* überlegte ich mir. "Komm setz dich" sie zeigte auf einen weißen Tisch an dem zwei rosa Stühle standen. Ich erinnerte mich daran solch ein Set für meine Barbies mal gehabt zu haben. Ich stellte meinen Sack in die Ecke in dem ich ein paar Sachen hatte die man so brauchte zum Leben auf der Straße und setzte mich hin. Sie stellte mir eine große Tasse stark riechenden, dampfenden Kaffee vor die Nase. „Zucker? Milch?" ich schüttelte meinen Kopf denn ich wollte diesen Genuss pur schmecken. Ich fühlte ihre Blicke mit denen Sie mich über den Tassenrand musterte. „Magst du nicht oder kannst du nicht reden?" ich war spitze im Ignorieren und konzentrierte mich auf meinen Kaffee. Es war der beste den ich in den letzten Jahren trank. „Ich hoffe ich kann dir vertrauen? Und da du nicht mit mir reden willst, werde ich dir ein Bad einlassen. Ich schätze das wirst du genau so wenig ablehnen wie den Kaffee" sie stand auf und ging. Wenig später hörte ich einen Boiler angehen und Wasser rauschen. Ich zog meine Schuhe aus und stellte sie ordentlich neben meine Tasche. Vorsichtig ging ich in das Wohnzimmer zurück und schaute mich was genauer um. Es war nicht nur das rosa was hier überwiegte und mit rot abgesetzt wurde, sondern der allgemeine Eindruck dass hier Barbie persönlich wohnte. Dabei sah Jenny nicht aus wie eine. Eher wie eine Nutte mit braunen Haaren. Für die Kälte war ihr Rock nämlich verdammt kurz und die Stiefel bis zum Knie konnten sie sicher auch nicht warm halten. „Da du ohne Schuhe da stehst nimm ich an das du nicht gehen willst. Die Wanne ist gleich voll. Komm" und schon wieder hörte ich wie ein Hündchen. Ich war überrascht vom Badezimmer. Es war wie zu erwarten für Altbau sehr groß. Das was mich überraschte war, hier gab's weder rot noch rosa, es war blau. „Bin im Wohnzimmer wenn du was brauchst ruf" sie zog die Türe zu und ließ mich alleine. Ich fing direkt an mich auszuziehen und stieg in die Wanne. Es war angenehm warm und roch super. Ein richtiges Schaumbad. So was hatte ich noch nie. In der Wohnung in der ich aufwuchs gab es nur eine Dusche. Ich streckte mich aus und merkte wie sich jeder Muskel entspannte. Hätte es nicht geklopft wäre ich wohl eingeschlafen. „Hey, ich hab dir hier was zum anziehen" Jenny legte mir einen kleinen rosa Stapel auf ein Schränkchen in dem Handtücher lagen. Sie wollte gerade wieder raus als ich schnell „Danke!" sagte. Sie drehte sich um und lächelte nur und ging dann. Ich fing an mich gründlich zu waschen und versuchte auch meine Dreadlocks so sauber wie möglich zu bekommen. Als ich damit fertig war verweilte ich noch einen Moment und überlegte mir ob Jenny mein Schutzengel war. Ich stieg aus der Wanne, schnappte mir ein Handtuch und wickelte es um meinen Kopf. Mit einem anderen trocknete ich mich ab und fing an die Barbie Kleidung anzuziehen. Es war ein Shirt, eine Leggins und ein Slip. Ich ließ das Wasser ab, raffte meine Sachen zusammen und tapste ins Wohnzimmer. Ich fand Jenny auf dem Sofa am fern schauen „Magst du noch einen Kaffee?" Ich nickte nur wieder und sie stand auf nahm mir meine Sachen ab "die kannst du mir anvertrauen der Rest deiner Wäsche ist schon in der Maschine"-"was soll das heißen?" ich ging in die Küche und fand meinen leeren Sack neben meinen Schuhen. „Hey das ist nicht korrekt!" Sagte ich leicht entrüstet. „Ich meinte es nur gut" sie nahm mir endgültig meine Sachen aus der Hand und steckte sie zu meinen anderen Kleidern in die Maschine. Ich war zu perplex um zu reagieren und schaute ihr nur zu. Dann machte sie sich dran meine Tasse nochmal mit Kaffee zu befüllen. „Hier! Du kannst fern schauen ich geh auch schnell duschen" schon war sie weg. Meine Tasse und ich gingen ins Wohnzimmer auf das rote Sofa und ich schaute gelangweilt in den Fernseher. Ich stellte meine Tasse auf den Tisch und kuschelte mich in die Kissen. Es ging nur einen kleinen Moment und meine Augen gingen zu. Als ich sie wieder auf machte war es hell und ich roch was zu essen. Eine dicke, flauschige Decke lag auf mir die nicht rosa war und ich musste unweigerlich schmunzeln. Ich stand auf und schlich ins Bad um mich zu erleichtern und dann in die Küche. Jenny war am Kochen und ich wunderte mich, doch nach einem Blick auf die Küchenuhr, die halb eins zeigte, machte es Sinn. So lang an einem Stück hatte ich wohl das letzte Mal in meinem Kinderbett geschlafen. "Luna" sagte ich nur und Jenny drehte sich zu mir. "Luna ist mein Name"-"Luna! Schöner Name. Guten Morgen Luna ich hoffe du hast gut geschlafen?" lächelte sie mich an. „Ja sehr sogar" ich setzte mich "ich hoffe du hast Hunger. Es gibt Bolognese mit Nudeln" mein Magen gab die Antwort und gab auch erst nach zwei vollen Teller Ruhe. "Ich bin aus Berlin" gab ich ihr als Antwort auf die Frage vom Abend zuvor die ich noch schuldig war. "Ist ja ein gutes Stück weg. Und wie hat es dich hier her verschlagen?" Warum auch immer aber mein Mund öffnete sich und hörte erst auf zu erzählen als ich an der Stelle ankam mit der Ohrfeige von ihr. „Interessantes Leben" nickte sie zur Bestätigung. „Und wie stets mit dir? Bist du eine Barbie oder eine Nutte?"-"na das ist mal ne direkte Frage" grinste sie und schwieg einen Moment "ich schätze ich bin beides. Also am selben Ende der Nahrungskette wie du nur eine andere Sparte" lachte sie. "Naja dir fehlen aber für ne richtige Barbie die blonden Haare" bemerkte ich grinsend. "Dafür hast du genug Farbe in den Haaren das es für fünf reicht" zwinkerte sie mir zu. Genau genommen waren es nur zwei Farben. Rot und grün, nur das rot war zum Teil schon in orange übergegangen. „Kennst du deine natürliche Haarfarbe überhaupt noch?"-"irgendwas mit Straßen-Köter-Blond"-"was hältst du davon wenn wir nach schauen?" ich schaute sie verwirrt an "wie nachschauen?"-"ich schneide dir die Haare ab und schauen dann was aus deinem Kopf wächst?"-"ich bin keine Puppe!" Sagte ich angesäuert "nein aber sehr hübsch und du machst dich mit Absicht hässlich"-"wird das hier so eine Aschenputtel Geschichte?" Sie lachte wieder und ich stellte fest das sie ein sehr angenehmes Lachen hatte "nein ich glaube nicht das ich ein Prinz bin aber vielleicht eine kleine gute Fee die helfen kann dein Leben wieder ein bisschen in die Bahn zu bekommen"-"wenn ich das will" sagte ich trotzig. „Willst du denn?"-"ich kann es ja mal versuchen" gab ich dann doch zu. Und so fing ein neues Leben an. Zumindest für den Moment.

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