(61) 21.07.1979 - the nocturnal apology

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Langsam öffnete ich meine Augen und sah verdattert umher. Von Neugierde gepackt suchte ich nach dem Grund von diesem unauffälligen doch hörbaren Geräusch. Es hörte sich fast danach an, als würde von außen jemand Kieselsteine auf meine frisch geputzten Fenster werfen. Mit viel Hoffnung ging ich langsam auf das Fenster zu, öffnete dieses und schon spürte ich einen erträglichen Schmerz auf meiner Stirn. Beirrt legte ich meine rechte Hand auf meine Stirn und verzog meine Lippen. Grummelnd beugte ich mich aus dem Fenster in die Nacht und erkannte den Übeltäter. Seine Gestalt stand zwar im Schatten der Bäume und Büsche, die um das Haus wuchsen und das Licht der Straßenlaternen abdichten.

"Was wollt Ihr hier? Habe ich mich nicht unmissverständlich genug ausgedrückt?" gab ich spöttisch in seine Richtung.
"Ich würde, wenn ich wollte, meine Liebe. Aber nun würde ich doch erst einmal rein kommen und mit dir über meine Existenz reden. Ich glaube, wir verschweigen uns gegenseitig Tatsachen, die wir beiseiteschieben wollen."
"Dann sprich!"

Ich hatte seine Bitte einzutreten verdrängt, da ich ihn nicht in meiner Wohnung haben wollte. Jedenfalls nicht bevor er mir erzählte, wer oder was er in Wirklichkeit war. Er konnte alles sein. Ein Räuber. Ein Mörder. Oder auch ein Vergewaltiger. Misstrauisch beäugte ich mein Gegenüber.

"Nicht hier, wenn Ihre Nachbarn zuhören können. Kommt doch wenigstens raus und genießt mit mir die sommerliche Nacht bei einem Spaziergang." lächelte der Schwarzhaarige auf.

Ich verdrehte meine Augen, schloss ohne weitere Wörter das Fenster und schaltete das Licht aus. Ich gab ihm zu verstehen, dass ich nicht mitkommen würde. Umso enttäuschter war sein Gesicht, als ich mich aus dem Haus schlich und mich lautlos hinter ihm hinstellte. Ich konnte seine Enttäuschung in mir spüren, so als wäre es ein Teil meines Lebens. Konnte es sein, dass er durch meine Ablehnung wirklich eine tiefe Enttäuschung davon trug? Konnte es sein, dass ich inmitten von all den negativen Gefühlen auch ein Funken Liebe wahrnahm? Konnte es sein, dass er von meiner Vergangenheit wusste und mir das Verschweigen wollte?

Irritiert und willenlos steuerte meine rechte Hand auf seine Schulter. Im selben Moment drehte er sich ruckartig und erschrocken um. Er machte nicht den Anschein, dass er sich irgendwie anders fühlte? Hatte er mich den nicht kommen spüren? Oder hatte nur ich diese Gefühle? Dümmlich schüttelte ich meinen Kopf und sah in seine braunen Augen, die voller Zuneigung loderten.

"Dachten Sie ich wäre abgeneigt?"
"In der Tat."
„Oft haben wir Angst, alles zu sagen um nicht alles kaputt zu machen... Dann schweigen wir und es wird alles nur noch komplizierter als es sowieso schon ist."

Er nickte kurz und hielt mir sein angewinkelten Arm hin. Ich hackte mich ein und ging mit ihm auf das Tor zu. Einige Minuten wanderten wir ziellos und stumm nebeneinander. Ich verspürte ich eine nachdenkliche Aura von meinem Nebenmann. Er schien wirklich in Gedanken versunken zu sein, um seine Ansprache zu Recht zu rücken. Anscheinend wusste er nicht, wo er anfangen sollte. Anscheinend wusste er nicht, wie er anfangen sollte. Und anscheinend wusste er nicht, wieso er auf einmal keine Worte mehr hatte. Obwohl er doch schon vorher sich darüber Gedanken gemacht hatte. Ich schätze Balthus als einen sehr intelligenten Menschen ein, der weiß, wie man jemand um den Finger wickelte.

Er wandte sich nun zu mir und lächelte neutral auf. Sein angewinkelter Arm, indem ich mich verankert hatte, zog mich enger an ihn. Mit leicht verkleinerten Augen blickte ich zu ihm hoch. Er waren ein paar Zentimeter größer wie ich.

„Was kam bei deinem Arztbesuch heraus?" wollte Balthus interessiert wissen.
„Ich weiß nicht, ob es Euch was angehen würde!" meinte ich nur.

Doch mit allen Reaktionen hatte ich erwartet, nur mit dieser nicht. Mit allen Reaktionen, sei es Ignoranz, liebesvolles Zuflüstern oder eine ernstgemeinte Entschuldigung. Nur mit dieser Reaktion, die er mir bot, war ich noch mehr überfordert und wütender geworden. Der Schwarzhaarige hatte mich grob am Geländer eines kalten Zauns geschoben und hatte sich direkt vor mir platziert.

„Glaubt Ihr, ich hätte keinen Grund gehabt mich von diesem Arzt fernzubleiben. Bei dem sich meine Ex-Frau sich zu jeder Tages- und Nachtzeit aufhält? Glaubt Ihr, dass ich mir keine Gedanken darum gemacht hatte, wie es Ihnen geht? Glaubt mir, ich wollte nur, dass sich nicht alles als böses Omen wiederholt. Schließlich habe ich Sie erst wieder gefunden und ich würde für keinen Preis der Welt Sie wieder hergeben. Es hat allenfalls lange genug gedauert."

Fragen kamen wieder auf. All seine Wörter gruben sich in ihren Gedanken ein. Er hatte also eine Frau von der er sich getrennt hatte. Doch warum verspürte ich auf einmal ein Empfinden, dass er mich länger wie eine Woche nicht bei sich haben durfte? Warum konnte ich seine Worte nicht mit der momentanen Situation vergleichen? Es wirkte auf mich als würde er mich von einer anderen Welt kennen.

„Woher?"

Meine Stimme klang eher wie ein weinerliches Hauchen als ein starkes und selbstsicheres Flüstern. Unbeeindruckt sah er mich an und stützte sich mit beiden Händen am Geländer neben mir ab.

„Es ist wohl Zeit Euch hinter mir zu lassen. Um nicht aus Egoismus und Habgier eine unschuldige Seele in Besitz zu nehmen. Sie werden heute Nacht von mir gehen und Sie werden auf meine Ehrlichkeit noch wütender sein, als sie bisher annahmen. Sie wissen hoffentlich, dass ich es versuche, aber ich war noch nie gut mich zu entschuldigen. Und wenn meine Zeit noch nicht abgelaufen ist, würde ich für eine weitere Chance und um Vergebung erbitten. Sie und ich wissen, dass ich diesen Fehler schon einmal gemacht hatte und doch verstecken Sie diese Tatsachen so sehr, dass ich befürchte, dass sie sich wirklich an keinen unseren gemeinsamen Zeiten erinnern können. So erlöse mich heute Nacht und gebt mir eine Chance, bei dem Sie sich sicher sein können, dass ich diese wieder verbocke."

Er löste sich von meiner Nähe und sah kurz auf die linke Seite. Als ich ihm gleich tat, sah ich einen riesigen Bus mit einem sehr grellen Lichtkegel auf uns zukommen. Da wir in England waren, war es typisch, dass der Verkehr von der linken Seite kam, wenn man in der Richtung in der Balthus und ich gelaufen waren, weiterfuhren. Doch auch musste man die Straßenseite wechseln, um an meiner Wohnung zu gelangen.

„Sagen Sie mir, ist es jetzt zu spät um Entschuldigung zu sagen, denn ich vermisse dich mehr als deinen Körper? Sagen Sie mir, ist es jetzt zu spät um Entschuldigung zu sagen? Ja ich weiß, ich habe Euch fallen lassen und es tut mir wahnsinnig Leid, dass Sie so lange auf mich warten mussten. Bitte, lasst es mich in dieser allerletzten Nacht wiedergutmachen. Ich werde jedes einzelne Stück der Schuld auf mich nehmen, aber nur, wenn Sie das wollen, dass ich es mache. Bevor ich gehe und Euch wieder einmal im Stich lassen werde, möchte ich Ihnen die Wahrheit sagen. Können wir beide die Worte sagen und es vergessen?"

In seinen Worten lag so viel Selbstzweifel, so viel Widerspruch und dennoch überwiegte seine Reue um ein Tausendstel mehr. Kurz bevor er weitersprach, hielt der riesige Bus hinter ihm und öffnete seine Tür. Balthus hob kurz sein Arm um den Fahrer zu zeigen, dass er noch eine Weile brauchte. Beharrlich blieb der lilafarbene Bus in dieser wenig befahrenen Straße stehen.

„Wie kann ich Euch wieder meine Freundin nennen?" hauchte mir Balthus in einem zwiegespaltenen Ton ins Ohr.

Expecto PatronumWo Geschichten leben. Entdecke jetzt