Rose

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In den folgenden Tagen bekam ich das Bild von Finn auf dem Außenplatz einfach nicht mehr aus meinem Kopf, die ganze Zeit geisterte es durch meinen Kopf, nur durchbrochen von Sofias wütendem Blick und Erinnerungen an die Zeit als noch alles gut war. Die folgenden vier Nächte schlief ich höchstens drei, vier Stunden und wachte jedesmal schweißgebadet auf, weil ich Albträume hatte. Hätte mich Miranda nicht darauf hingewiesen, wäre mir nicht einmal aufgefallen, dass ich nichtmal halb so viel aß wie vorher und Miranda war es auch, die das Korrekturreiten von Blossom übernommen hatte, nachdem dessen Besitzerin aufgefallen war, wie unkonzentriert ich arbeitete. Irgendwann hatte ich auch versucht Finn anzurufen, dreimal sogar, aber er war nicht rangegangen.

Am vierten Tag wollte mir Miranda das Ausreiten verbieten, aus Sorge ich würde vor lauter Schlafmangel und fehlender Konzentration einen Unfall bauen. Ich machte mir trotzdem River fertig und war kurz darauf im Wald. Nach einiger Zeit kam mir Alex entgegen, aber zu meiner Überraschung nicht nur ohne Pferd, sondern auch ohne Sofia, dafür mit einem anderen Mädchen und die beiden schienen auch ziemlich vertraut miteinander. Hatte ich was verpasst? Im Prinzip wäre das nicht unwahrscheinlich, denn in letzter Zeit bekam ich sowieso nichts mehr mit. Die beiden beachteten mich nicht weiter und so dachte ich nicht mehr länger darüber nach.

Irgendwann schloss ich die Augen und hörte nur noch auf das Rauschen der Bäume, spürte Rivers Bewegungen unter mir und versuchte mich irgendwie zu entspannen und die Welt um mich herum wenigstens kurz mal vergessen zu können. Bei einem anderen Pferd hätte ich das natürlich nie gemacht, aber wir waren diesen Weg schon so oft geritten und ich hatte sie irgendwann soweit trainiert, dass sie einzelne Wegstücke auch selbstständig gehen konnte, ohne dass ich ständig aufpassen musste, was sich in den letzten Tagen echt ausgezahlt hatte. Irgendwann blieb River wie angewurzelt stehen, ich öffnete langsam die Augen und erblickte eine Lichtung, die ganz eindeutig nicht auf unserem Weg lag. "River, was soll das? Wo läufst du denn hin?" fragte ich verwundert, denn sie war vorher noch nie von Weg abgewichen. "Das wüsste ich übrigens auch gern." hörte ich da jemanden sagen und erst jetzt bemerkte ich den Rappen der in etwa fünf Metern Entfernung graste - und den danebenstehenden Jungen. Zu keiner Antwort fähig saß ich einfach nur da und starrte ihn an, während River noch ein paar Schritte in seine Richtung machte und mir danach aufforderen mit ihrer Nase gegens Bein stupste. Er sah etwas besser aus als beim letzten Mal, zwar schien er immer noch zu wenig zu essen und vor allem zu schlafen, genau wie ich, aber er war weitaus weniger stumpf als beim Training auf dem Außenplatz. Minuten vergingen, in denen ich mich immer noch keinen Millimeter bewegte, dann ließ ich mich schließlich aus Rivers Sattel gleiten, welche bereits zu grasen begonnen hatte. "Was machst du hier?" fragte Finn schließlich, ich deutete auf River. "Musst du sie fragen." "Warum hast du mich eigentlich angerufen? Ich dachte du wolltest nichts mehr von mir wissen?" wechselte er mit herrausforderndem Unterton das Thema. "Du weißt doch genau, dass das nicht stimmt." murmelte ich, doch Finn ließ nur ein verächtliches Lachen hören. "Ja genau!" meinte er, die Stimme so triefend vor Sarkasmus, dass es schon fast wehtat. Meine Kehle war wie zugeschnürt, ich hatte das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. Ich wollte etwas sagen, irgendwas, aber es kam kein Ton herraus. Endlich kamen mir die Worte über die Lippen, zuerst stockend, die Stimme rau wie Sandpapier, dann immer flüssiger, bis ich mir vorkam wie ein Wasserfall und gar nicht mehr aufhören konnte: "Ich dachte, ich täte das richtige. Ich dachte, wir hätten keine Zukunft! Aber ich habe nie von mir behauptet ich wäre klug. Jeder verdammte Tag ohne dich hat mich fast umgebracht. Und Sofia hat mich angeschissen, ich hätte die kaputt gemacht. Ich kann nicht ohne dich Finn! Aber ich dachte ich müsste. Erst jetzt habe ich begriffen, dass wir einen Weg finden MÜSSEN." Meine Worte konnten nicht annähernd beschreiben, was ich wirklich dachte und fühlte, aber so war es doch immer gewesen: Ich hatte nie zu Finn gesagt, was ich wirklich dachte oder fühlte, denn ich wollte mir nicht vorkommen, wie eine Figur in einem Film mit zu viel Zuckerguss. Aber jetzt, kam es alles aus mir herraus, ich konnte gar nichts dagegen machen, mein Mund hatte seine Unabhängigkeit erklärt. "Ich habe dir das alles nie gesagt, aber seit ich dich kennengelernt habe, war jeder Tag etwas besonderes; wenn du lachst, kann ich nicht traurig sein; ich kann nicht schlafen, wenn du nicht neben mir bist; wenn ich mit dir schreibe, weiß meine ganze Familie, ohne auf mein Handy zu gucken, dass du es bist, weil ich die ganze Zeit grinse; wenn jemand sagt, ich soll lächeln, brauche ich mir nur dein Gesicht in Erinnerung rufen; ich reite doppelt so gut, wenn wir zusammen ausreiten; wenn du bloß den Arm um mich legst, ist meine Konzentration schon im Arsch und nur dieser eine spezielle Blick von dir, entkräftet alle Argumente, egal worum es geht. Ich liebe dich Finn, auch jetzt noch, obwohl es nicht so scheint. Und ich vermisse dich, habe es jede der 518 Stunden seit dem Tag am Strand getan. Du hast jedes Recht mich seitdem zu hassen, aber ich wollte, dass du den ganzen kitschigen Scheiß weißt, den zu sagen ich mich nie getraut habe." Eine ganze Weile schwieg Finn, dann fragte er: "Du weißt echt wie viele Stunden es waren?" Ich nickte. "Rechne ruhig 'ne halbe Stunde drauf, wir stehen hier schon eine Weile." murmelte er dann und ließ tatsächlich die Andeutung eines Lächelns erkennen. "Tschuldigung." nuschelte ich, aber Finn schüttelte den Kopf. "Du brauchst dich doch nicht zu entschuldigen. Das war mit Abstand das kitschigste was ich je gehört habe und ich hatte nie gedacht, von dir überhaupt je was kitschiges zu hören. Ixh dachte, du wolltest nichts mehr mit mir zu tun haben, aber wenn du so redest bist du entweder bekifft oder dich haben die letzten drei Wochen in etwa so krank gemacht wie mich." Er trat einen Schritt auf mich zu. "Ich habe dich noch nie kiffen sehen." flüsterte er und in diesem Moment konnte ich einfach nicht anders, als zu ihm zu gehen, sodass nur noch ein winziger Abstand uns trennt und eine Hand nach ihm auszustrecken. Wie gerne hätte ich einfach meine Arme um ihn geschlungen, aber ich versuchte, mich zusammenzureissen. Finn legte eine Hand an meine Wange und wischte mit seinem Daumen eine vereinzelte Träne weg, die ich bisher nicht bemerkt hatte oder die vielleicht auch gar nicht existierte. Ganz leicht küsste ich ihn, mehr ein Hauch, fragend, schüchtern, aber kaum war die Überraschung aus seinen Augen gewichen, zog er mich sacht wieder zu sich und wir küssten uns noch einmal, diesmal richtig.

Unaccepted - die FeuerprobeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt