103. Schweigen

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Langsam ging ich auf ihn zu. „Hey, ist alles in Ordnung mit dir?", fragte ich sanft. Er zuckte leicht und nun bemerkte ich, dass er gar nicht auf das Wasser starrte, sondern auf das Holz. „Dieguito, was ist los?", hauchte ich und legte von hinten meine Arme um seinen Brustkorb. „Es sind die Erinnerungen. Wie du hier lagst und diese Tabletten geschluckt hast... Ich hätte es verhindern können!", flüsterte er tränen erstickt. Ich schmiegte meine Wange an seine Schulter. „Aber du hast mich gerettet. Ich stehe hier, bei dir und bin froh, dass ich noch lebe!", sprach ich ihm leise zu. 

Tränen liefen ihm über die Wangen. „Du hast es wegen mir aber erst gemacht! Ich hätte nie mit Lara zu dieser Party gehen dürfen. Das war ein fataler Fehler gewesen!", sagte er traurig und wütend auf sich selbst. Ich ließ ihn vorsichtig los und stellte mich vor ihn. Meine Klamotten waren nun endgültig durchweicht und ich fror fürchterlich, schließlich zog der Wind noch sehr viel kühler über das Wasser. Während ich etwas zitterte, versuchte ich ihn dazu zu bringen, dass er mich an sah. 

„Diego, sieh mich an! Ich bin noch da! Alles was damals passiert war, dass interessiert uns nicht mehr! Ich bin wie Unkraut und Unkraut vergeht bekannterweise nicht!", antwortete ich ihm und hob sein Kinn leicht an. Sein Blick war voller Wärme, aber auch voll mit Angst. Angst, die er um mich hat! „Du bist kein Unkraut! Nie im Leben bist du das! Du bist wundervoll wie eine zierliche rote Rose. Meine Rose! Mache nie wieder so einen Blödsinn, Maria Clara! Egal wie sauer du auf mich bist! Du darfst nicht sterben, nicht wegen mir!", schniefte er leise und strich mir sanft durch die Haare. „Ich bin gerne deine Rose, aber noch viel lieber wäre ich deine Frau!", gab ich lächelnd zurück. 

Schließlich waren seit dem Suizidversuche schon wieder vier Monate vergangen. Diego sah mich verständnislos an. „Du verstehst es nicht, hab ich recht?", fragte ich ihn grinsend und er nickte als Antwort. „Ich denke, ich bin endlich bereit. Ich will dich heiraten!" Er starrte mich einfach an. Wahrscheinlich konnte er es kaum glauben, was ich gesagt hatte. Doch dann seufzte er leise. „Clari, ich will nicht, dass du das machst, weil es mir gerade schlecht geht. Mir reicht vollkommen deine Anwesenheit! Ich finde es toll, dass ich dir so nah sein darf. Bei dir sein und beschützen darf. Das ist sehr nett von dir, aber ich will dich nicht dazu bringen, mich zu heiraten, nur weil es mir gerade schlecht geht!", stellte er klar. 

War es wirklich so wie er sagte? War meine Angst nur weg, weil es ihm gerade nicht gut ging? Je mehr ich darüber nachdachte, desto schneller kam die Angst wieder. Würde ich sie je verlieren? Da ich nichts erwiderte, senkte Diego wieder den Blick. „Hör mir mal zu! Ich will dich heiraten, auch wenn ich Angst habe, aber Angst ist normal! Ich habe keine Ahnung wann oder ob diese Angst je verschwinden wird, aber eins weiß ich ganz genau! Ich will dich – nur dich! - heiraten und auch keinen anderen! Es ist wirklich süß was du gesagt hast und ehrlich, ich finde es wunderbar, wenn du mir so nah bist, bei mir bist und mich beschützt! Ich bin bei klaren Verstand, Diego! Ich weiß, was Ehe bedeutet und das will ich allein nur mit dir haben! Ich liebe dich, mein Süßer!", sagte ich und schlang meine Arme um seinen Brustkorb. Ich war immer noch am zittern und Diegos nassen Klamotten hielten mich auch nicht wirklich warm. „Lass uns jetzt nach Hause gehen!", hauchte er sanft ohne auf das Gesagte einzugehen. 

Er ließ mich los und ging weg vom See. Überrascht sah ich ihm nach, bevor ich ihm folgte. „Was ist denn los, Diego?" Er reagierte nicht darauf. Schweigend lief ich ihm nach. Hatte ich irgendwas falsches gesagt? Ich musterte ihn besorgt und ließ ihn anschließend immer mehr Vorsprung. Ich war mir nicht mal mehr sicher, ob er mich überhaupt noch wahr nahm. Diego betrat inzwischen das Grundstück. Seufzend setzte ich mich auf die kleine Mauer. Vicente kam aus dem Haus gerannt und setzte sich neben mich. Er winselte leise und stupste mich an. „Mach dir keine Sorgen, Kleiner! Mir geht es gut!", meinte ich und schluchzte leise wieder auf. Er sprang an mir hoch und leckte mir meine Tränen von der Wange. „Ach, Süßer...", schniefte ich und schob ihn von mir weg. Er sprang von der Mauer und rannte wieder ins Haus. Schluchzend zog ich etwas die Beine an. Ich stützte meine Arme auf sie und vergrub mein Gesicht in meinen Händen. 

Die Tür klapperte und ich hörte ein leises Seufzen. Ich drehte mich etwas und fiel kreischend von der Mauer. Beleidigt blieb ich auf der Erde liegen. Jemand strich mir über die Haare, die mir ins Gesicht gefallen waren. „Steh auf!", sagte eine ruhige, tiefe Stimme. „Lass mich in Ruhe, Diego!", murmelte ich und drehte mich von ihm weg. „Prinzessin!", erwiderte er leise. „Nein!", fuhr ich ihn an. Er hockte sich neben mich und hob mich hoch. „Lass mich runter!", beschwerte ich mich und versuchte mich zu befreien. „Zappel weiter und ich lasse dich fallen!", drohte er mir und ich hörte in seiner Stimme, dass er es ernst meinte. Seufzend hielt ich still und ließ mich von ihm rein tragen. „Dann rede ich eben nicht mehr mit dir!", murmelte ich zickig.

 „Was habe ich denn dieses Mal getan?", fragte er ergeben. Ich schwieg. Das hat er jetzt davon! Er trug mich ins Haus und setzte mich auf dem Sofa ab. Sofort rutschte ich von ihm weg und drehte ihm meinen Rücken zu. „Clara?", sagte er sanft und legte seine Hand auf meine Schulter. Ich schüttelte sie sofort ab. „Prinzessin! Tut mir leid wegen vorhin... Ich liebe dich doch auch und ich finde es voll süß von dir, dass du mich trotz deiner Angst heiraten willst!", sagte er gefühlvoll. Ich ignorierte ihn weiterhin. Mit einem einfach „Tut mir leid" hat es sich bestimmt nicht gegessen! Bestimmt nicht!

Claras Vergangenheit ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt