Der Anfang und das Ende

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Heute ist eine dieser Nächte. Eine dieser Nächte die ich so unglaublich schön finde. Eine Nacht , in der dir der Wind durch die Haare fährt . Eine dieser Nächte, in denen du einen Hauch von Sommer riechen kannst, obwohl es noch längst nicht Sommer ist . Eine dieser Nächte, in der man den hellen Mond und die Sterne sehen kann .Eine dieser Nächte, in der zerissene Wolkenfetzen vorbei huschen. So eine Nacht ist heute. Ich weiß nicht, warum ich diese Nächte so liebe. Wahrscheinlich , weil sie mir ein Gefühl von Freiheit vermitteln , mir zeigen das ich noch da bin. Ich atme noch einmal tief ein , lasse meine Finger noch einmal über das raue Holz des Fensterrahmens gleiten und schließe dann das Fenster. Ich gehe zurück zu meinem Bett, lege mich hin , schließe die Augen und träume von Sanduhren.

Am nächsten Morgen ist alles wie immer . Ich weiß noch genau ,was ich geträumt habe, es ist immer das selbe seit 5 jahren mittlerweile. Es geht um eine Sanduhr, sie ist riesig und scheint niemals abzulaufen. Vor der Sanduhr sitzt jemand , ich kann allerdings nicht erkennen wer oder was. Ich versuche auf diese Person zuzurennen , da gehen zu langsam ist. Egal wie sehr ich mich anstrenge, ich komme der Gestalt einfach nicht näher.

Einige Zeit später stehe ich in der Stadt , an der selben Stelle wie immer. Es ist eine Hausecke , schäbig und schmutzig und doch ist sie seit fünf Jahren der Ort, an dem ich mich am wohlsten fühle. In einer Welt , wie meiner in der alles durch einen Traum dominiert wird, ist es nicht einfach sich in die für die meisten Menschen ,,normale" Realität einzufügen. Das Stadtleben. Es ist laut , hektisch, turbulent,aufregend ,abenteuerlich, ignorant, gesellig,unpersönlich,facettenreich, ungewöhnlich und doch gewöhnlich , für mich ist es alles dies und noch viel mehr , alles was ich mir nur denken kann, außer farbenfroh. Meine Welt an der Hausecke ist einsam und vorallem grau. Seit fünf Jahren ist für mich alles grau. Früher liebte ich das kräftige Rot der Mohnfelder , das sanfte fröhlich stimmende Gelb der Osterglocken und das atemberaubende Blau des Himmels an klaren Tagen. Warum ich all diese Farben nicht mehr sehe , weiß ich nicht, es ist schon zu lange her , das was vor fünf Jahren geschah.Ich habe es vergessen, denn wenn man wie ich fünf Jahre ohne Farbe , ohne Abwechslung lebt veschwimmt die Zeit , verschwimmen die Gedanken , verschwimmt alles. Bis auf die Tatsache , dass ich lebe. Diese Tatsache ist so scharf in mein Gedächtnis eingeritzt , dass es fast weh tut . Ich lebe nicht und ich lebe doch.

Ich habe nur noch eine Erinnerung an diesen Tag vor fünf Jahren . Allerdings ist es auch er eine Gefühl. Es ist ein Gefühl des Fallens ins Nichts, dann nur noch grau.

Das sich heute etwas verändern wird spüre ich. Heute ist ein besonderer Tag. Das Schicksal lässt mich genau im richtigen Moment aufschauen. Der Moment, der alles verändert . Die Menschen, die auf mich zu kommen sehen normal aus. Das einzig seltsame an ihnen ist, dass sie zu mir kommen. Sie begrüßen mich wie einen alten Freund, nehmen mich in ihre Mitte, lachen und unterhalten sich mit mir, obwohl ich nicht mal mehr weiß, wie ich heiße. Nach einiger Zeit stehen wir vor einer Tür, einer Eingangstür. Irgendwer öffnet die Tür. Drinnen ist es warm und anheimelnd . Es riecht gut.

Ich werde in ein Zimmer geführt, in dem ein Bett steht. Man legt mich hin und ich glaube es ist ein Mädchen,das mir eine Substanz einflößt und sagt : ,, Viel Glück, auf das du endlich Frieden findest."

Kurz nachdem ich aufgewacht bin, merke ich sofort, dass ich mich in einer anderen Realität befinde. Ich kann wieder sehen. Farben. Alles voller bunter wunderschöner Farben und ich mitten drin. Ich stehe in einem Meer, einem Meer aus Blumen . Ich bin überwältigt und plötzlich spüre ich wie etwas über meine Wange rinnt. Als ich die Träne mit meinem Finger auffange realisiere ich ,dass ich weine. Zum ersten Mal seit fünf Jahren. Ich betrachte die Träne fasziniert , in der sich all diese Farben wiederspiegeln. Die leuchtenden Farben der Blumen um mich herum, das Grün, das Rot, das Gelb, das Violett und das unendliche Blau des Himmels über mir. Ein leichter Wind weht und zerzaust meine Haare . Es ist ein warmer Wind und er ist sanft, nicht wie der kalte und harte Wind in meiner grauen Wirklichkeit.Ich lache. Ich dachte, ich hätte es verlernt, aber dann lache ich wieder.

Ich weiß nicht, für wie lange ich hier stehe und einfach glücklich bin. Irgendwann allerdings, regt sich etwa in mir. Es ist ein Instinkt, der mich dazu bewegt, loszulaufen. Einfach loszulaufen. Ich gehe stundenlang immer gerade aus. Die Landschaft bleibt erst lange Zeit bunt und unsagbar schön, doch dann wird langsam alles schroffer, schärfer und vor allem sandiger. Ich spüre den Sand zwischen meinen nackten Zehen und wenn Wind aufkommt auch auf meiner Haut. Trotzdem gehe ich einfach immer weiter. Nun fällt mir auch auf, dass ich niemanden außer mir sehe, höre oder generell wahrnehme. Ich bin allein.

Mittlerweile befinde ich mich in einer Wüste. Ich bin von nichts als Sand umgeben und doch gehe ich weiter. Es müssen Wochen vergangen sein, als plötzlich wie aus dem Nichts ein Palast vor mir auftaucht. Es ist der schönste ,den ich jemals gesehen habe, obwohl er aus Sand besteht und unglaublich groß ist. Die Sandfassade ist allerdings mit etwas glasähnlichem überzogen, sodass der Sand im Licht der untergehenden Sonne zu leuchten scheint. Es ist einfach atemberaubend.

Nach einiger Zeit gehe ich auf den Palast zu und muss enttäuscht feststellen ,dass der erste Eindruck trügt. Die Fassade ist brüchig und von nahem eher schäbig. Schließlich trete ich dann doch durch die doppelflügige und kunstvoll verzierte Eingangstür. Ich befinde mich in einem Raum, der sehr prunkvoll aussieht. Die Wände und die Decke sind mit detailreichen Mustern verziert. Die Muster gleichen in keinster Weise denen die ich in der grauen Wirklichkeit gewöhnt bin, sie übertreffen alles. Bodentiefe Fenster tauchen den Raum aus Sand in ein Meer aus Gold-, Rot- und Orangetönen. In diesem Saal gibt es keine Möbel, nur am Ende steht eine Art Thron und eine riesige Sanduhr. Plötzlich realisire ich wo ich mich befinde: In meinem Traum. Allerdings ist alles farbig, nicht grau wie sonst. Zögerlich setze ich mich in Bewegung, vorsichtig einen Fuß vor den anderen setztend, Schritt für Schritt. Zu meinem Verblüffen bermerke ich allerdings wie das Ende des Saals näher kommt. Nun renne ich und dann, bin ich da.

Vor mir steht der Thron und auf ihm sitzt ein Mann. Er ist nicht alt, nicht jung. Sein Aussehen lässt sich nicht in Worte fassen und doch ist er unverkennbar ein Mann.ich weiß selbst nicht, woran ich dies festmache. Es gibt keine Worte, die ihn beschreiben können. Er lächelt. ,,Bist du Gott?" , ruscht es mir heraus. Das Lächeln des Mannes wird breiter und er antwortet :,,Vielleicht". Daraufhin schweige ich . ,,Frage mein liebes Kind, frage mich alles was du wissen möchtest. Aber bitte frage nicht was vor fünf Jahren passiert ist und wer ich bin.",,Wo sind wir hier", stelle ich meine erste Frage . ,, Im Land der Sanduhren" , ist die Antwort. ,, Weshalb bin ich hier und wer waren die Menschen die mich geholt haben?" , verlange ich als nächstes zu erfahren. ,, Um endlich Erlösung zu finden, deshalb bist du hier und diese Menschen waren so etwas wie Freunde von mir.", antwortet der Mann. ,,Erlösen von was?" ,, Von der Last, dem Fluch der dir auferlegt wurde.Du wurdest auserwählt als einer der fünf Menschen die die Sünden der Meschen tragen sollen, dir wurden als Strafe die Farben genommen.Die Menschen begeifen nicht, was es bedeutet Farben sehen zu können.Sie nehmen alles als selbstverständlich". ,, Wieso?" , verlange ich zu wissen, ich bin schockiert. Jetzt lacht der Mann. ,, Ich weiß es nicht" , sagt er, ,,Wieso gibt es uns? Wieso sind wir hier? Auf diese Fragen weiß selbst ich keine Antwort". Ich sehe zu diesem Mann auf und verstehe, was er meint. Auf mache Fragen hat niemand eine Antwort.,,Eins noch", sage ich, ,, Was hat es mit der Sanduhr auf sich?".Lächelnd sieht der Mann auf mich herab.,,Eine ?" , fragt er, ,,Sieh genau hin!" und dann sehe ich genau hin und sehe nicht mehr bloß eine riesige Sanduhr, sondern viele winzig kleine. Sie sind alle so klein, dass man sie von weitem wirklich für eine Sanduhr hält. Manche dieser Sanduhren sind abgelaufen, andere scheinen gerade erst umgedreht worden zu sein.,, Die Sanduhren stehen für das Leben. Jede einzelne von ihnen steht für ein Leben. Es gibt eine für jedes Lebewesen auf dieser Erde und es kommen ständig neue hinzu . Allerdings hat auch die Erde eine Sanduhr und Korn für Korn, Jahr für Jahr vergeht. Aber sieh dir diese Sanduhr an " , sagt der Mann und zeigt auf eine der unzähligen Sanduhren.,, Siehst du, sie ist abgelaufen seit fünf Jahren schon. Dies ist deine Sanduhr. Nun ist es an der Zeit das du ihr folgst . Auch deine Zeit des Büßens ist nun abgelaufen." Ich starre auf die Sanduhr. Sie ist schön. Sie gefällt mir, sie ist unglaublich filigran. ,,Schließ die Augen , mein Kind", fordert mich der Mann auf. Das Letzte was ich sehe als ich meien Augen schließe, ist meine Sanduhr. Ich weiß nicht, was jetzt kommt. Vielleicht der Tod, vielleicht das Nichts? Aber eins weiß ich sicher, die graue Wirklichkeit ist es nicht. Diese unerklärliche Gewissheit lässt mich lächeln und in dem Moment, in dem ich meine Augenlieder schließlich ganz schließe, umfängt mich Nichts und doch Alles.

Danke MiaLou001 für das tolle Cover! :)


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