Teil 2
Kapitel 1
Es war tiefste Nacht und der klare Vollmond schien durch die Scheibe des einzigen Fensters in Shijas kleinem Haus.
Unruhig hatte ich geschlafen, mein Kopf brummte, so müde war ich, aber etwas hielt mich wach, machte mich wachsam. Ich ließ meinen Gedanken freien Lauf und dachte nach.
Kalt war es in Mauritien während der Wintermonate. Für mich waren sie sehr überraschend gekommen, doch Shija meinte, der Winter habe sich dieses Jahr viel Zeit gelassen. Dabei fand ich den Herbst äußerst kurz.
Das Leben in der Stadt wurde unerträglich, die Wohnungen ungemütlich. Die armen Menschen brauchten mich nun noch mehr als vorher, aber in mir tobte schiere Verzweiflung. Für alle wurde das Essen knapp. Kaum einer hatte etwas. Nichts fand sich auf dem Boden. Das seltene Obst oder Brot, das ich fand, war verdorben oder gefroren. Die Menschen wurden wieder zusehends dünner. Ich verzichtete manchmal auf mein Essen, um den Armen etwas zu geben. Es wurde immer schwieriger.
Selten schneite es, das wenige Wasser gefror sofort zu Eis und machte den Boden steinhart. Ich wusste, das es nun vorbei war. Ich ging hin, doch ich ertrug es nicht, wenn die traurigen Kinderaugen noch kleiner wurden und die Frauen vor Verzweiflung die Hände über den Kopf zusammenschlugen. Der paradiesische Ausblick brachte zuweilen die trüben Gedanken fort, wenn dann aber wieder unruhige Nächte kamen, so plagten sie mich und brachten mir Kopfzerbrechen.
Neu Geborene erfroren zuweilen, da die Kleidung fehlte. Die Mutter selbst war zu mager, um das Baby zu versorgen. Und manchmal taucht das Bild der sterbenden Frau mit ihren zwei Kindern, denen ich Geld gab, auf. Ich versuche es zu verscheuchen, doch es funktioniert nicht.
Lange hatte ich diese Kinder nicht mehr gesehen. Was wohl aus ihnen geworden ist? Wie es ihnen wohl in all den Wochen und Monaten ergangen ist?
Vielleicht werde ich es nie erfahren, dachte ich in derartigen Momenten.
Ich musste einfach einen Ausweg finden – für all diese Leute, die meine Hilfe benötigten. Ich fror, war so unendlich müde – wusste nicht, was ich tun sollte.
Shija hatte mir so viel gute Kleidung besorgt – ich konnte sie nicht tragen. Wie kann ich zusehen, wie andere erfrieren und ihnen meinen schönen, warmen Wintermantel präsentieren. Wie soll ich je einen Frieden finden. Jedes Jahr erging es den Armen so – sie haben gelernt, damit umzugehen – bis ich kam. Sie dachten ich wäre etwas wie Jesus, auch wenn sie ihn nicht kennen. Ich bin nicht Jesus und ich kann leider keine Wunder bewirken. Es tut mir leid. In der Sintflut (ich weiß, das ist Noah und nicht Jesus...) werdet ihr alle untergehen. Es tut mir so furchtbar leid. Ich schluchzte, hatte aus Versehen Shippa geweckt – sie summte mir ein Lied vor und weinend sank mein Kopf hinab.
Ich machte die Tür zur alten Scheune auf. Leise quietschte sie im Scharnier. Meine Augen weiteten sich vor Schreck. Sah so etwa die Sintflut aus?
Überall Blut, alles rot und nur ein lebendes Wesen hockte im dunklen Schatten einer Ecke über einer fast toten Frau. Der Wind pfiff unangenehm um die Ecke. Mir fröstelte, stumm sah ich dem letzten Augenblick einer jungen Frau zu. Sie schluchzte. Alles war still. Traurig beleuchtete der intensive Vollmond diesen grausigen Augenblick. Ich hatte das Wesen nicht von vorne gesehen. Die alte Scheune war von Leichen aller Altersklassen übersät. Ich stieß gegen den Fuß einer toten Frau. Ihr starr geweiteter Blick ging ins Leere. Das Monster gurrte zufrieden. Ich fiel fast über den abgetrennten Arm eines alten Mannes. Das Blut hatte den Schnee rot getränkt. Ich ging langsam einen Schritt, fiel der Länge nach hin. Mein Herz raste, mein Atem röchelte – solche Angst hatte ich. Die junge Frau atmete nicht mehr – erst hatte es sie geschlagen, dann vergewaltigt und nun genoss er noch die letzten Tropfen ihres Blutes.
Die Bestie drehte sich langsam um, die Augen leuchteten orangefarben auf. Die Pupillen verengten sich. Er kam auf mich zu. Der zarte, alte Fußboden der Scheune bebte. Ich bewegte mich nicht, sonst hätte ich noch seinen Jagdtrieb geweckt. Ich sah meinem letzten Augenblick entgegen. Da erfuhr mir ein Schrei. Laut gellte er durch die menschenleere Straße.
***
Da schüttelte mich etwas, rüttelte an mir. Ich schlug meine Augen auf. Dunkel war es und still. Auf dem Boden lag kein Schnee, keine Leichen umringten mich.
Ich sah hoch in die grünen Augen eines jungen Mannes. „Wo bin ich?" Verwirrt und erleichtert zugleich sah ich mich um. „An einem Ort, an dem ihr nicht sein solltet." Ich nickte. „Wie bin ich hierhergekommen?" „Ich weiß es nicht. Ich ging um die Ecke, vorher wart Ihr noch nicht dagewesen. Ich drehte mich um und auf einmal lagt Ihr da, mit nichts bekleidet als einem Nachtgewand. Aber nun werde ich Euch erst einmal zu mir nehmen, und anschließend werde ich sehen, was ich für euch tun kann. Sagt mir, aus welchem Ort stammt Ihr?"
„Ist dies nicht mehr Vertikum?" „Aus Vertikum stammt Ihr? Das ist eine Monatsreise von hier. Seid Ihr sicher?" „Ja, sowohl Shija als auch Shippa sagten mir, dass die Stadt in der wir wohnen, Vertikum hieße." Erschrocken schlug ich mir die Hand vor den Mund. Hätte ich diese Namen vielleicht nicht nennen dürfen? Brachte ich Shija oder Shippa wohl möglich in Gefahr? Der Mann schien nachzudenken – und ich wartete einfach erst einmal ab.
„Es ist sonderbar und auch lange nicht mehr vorgekommen. Einer Person ist es bisher passiert, ich wünschte ich könnte es. Nun denn, es bleibt mir nichts Anderes übrig als zu warten, bis Ihr am folgenden Tage wieder bei klarem Verstand seid. Kommt, ich helfe Euch."
Laute Schritte kamen uns entgegen. „Geht es euch gut, euer Majestät? Soll ich mich um den Eindringling kümmern?"
„Nicht nötig, Spenconti!" „Sehr wohl euer Majestät, wie Ihr wünscht.", er verbeugte sich und marschierte dann zügig und steif davon. „Verzeiht, ich wusste nicht, wen ich vor mir habe...", sagte ich hastig und versuchte einen Knicks hinzubekommen. Erschrocken sah er an mir hinunter: „Was ist mit Ihrem Bein? Lassen Sie es mich einmal ansehen." „Ich sah an mir hinunter: „Was meint Ihr?" Ich konnte nichts erkennen. „Seht Ihr wirklich nichts?" „Nein, verzeiht, ich habe versucht zu sehen, ... aber vergebens"
„Sonderbar, sonderbar..." Ich dachte an die Szene im Wald und auch Kinaja hatte so etwas wie sonderbar gemurmelt.
Kurz entschlossen packte er mich unter meinen Knien und hob mich in seine Arme. Ich war wie elektrisiert. Langsam stieg mir die Hitze zu Kopf. Dort, wo meine Haut ihn berührte, prickelte sie leise. „Aber, Majestät, Ihr braucht doch nicht..." Seine Augen brachten mich zum Schweigen. Grün, wie Moos und seine Arme und Schultern so muskulös, als würde er regelmäßig trainieren. Seine Haare waren blond. Er zog mich magisch an und trug mich auf Händen. Ich musste mich beherrschen, seinen Lippen nicht gefährlich nahe zu kommen. Aber er war der König und ich eine Lady... Ich war völlig durcheinander, weil es sich auch wegen Kinaja falsch anfühlte. Aber wir waren doch nur Freunde oder empfand ich etwa mehr für Kinaja? Das würde er aber gewiss nicht zulassen...
Aber ist nicht manchmal gerade das Verbotene, was allzu verlockend wirkt?
Er hatten einen unheimlich sanften und geschmeidigen Gang.
Und ich träumte mich zusammen mit ihm fort...
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Mauritien - Die verschlossene Tür
Viễn tưởngMary erwacht an einem ihr unbekannten Ort. Nachdem sie eine Weile durch die Landschaft geht, erinnert sie sich an Visionen und weiß, wo sie sich befindet. Das Problem ist jedoch, dass sie nicht weiß, wie sie von dort wieder wegkommt. Eigentlich möc...