3. Donnerstag Mittag

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"Hey"

Lous Stimme erkannte ich sofort. Sie stand anscheinend hinter mir, doch ich hatte sie nicht kommen hören. Seltsam.

Nach einigen Atemzügen konnte ich mich endlich umdrehen und sie anlächeln. Nicht, weil ich es wollen würde sondern eher aus Höflichkeit. Einfach nur, um zu zeigen, dass ich glücklich war. Vielleicht aber auch, um sie nicht dierekt an zu motzen, was ihr denn einfallen würde, sich an mich heran zu schleichen und mich anzusprechen. Doch mit ihrer Antwort hätte ich niemals gerechnet.

"Schon okay, du musst nicht Lächeln." Sie lief einfach an mir vorbei, deutete mit dem Kopf, dass ich ihr folgen sollte. Zufrieden mit der Situation lief ich los, immer einen Meter hinter ihr. Es war bewunderd welche Rücksicht sie auf mich nahm. Normalerweise redeten alle ununterbrochen auf mich ein und fragten, was falsch mit mir war. Oder eher was nicht stimmte. Doch, egal wie viel Mühe sie sich gaben, ich blieb still. Es war nicht meine Art laut zu sein und dennoch war ich es. Mach ein mal verstand ich mich selbst nicht, aber das war okay. Die Leute die an mir vorbei liefen, wichen automatisch aus. Manchmal fragte ich mich warum.

"Lou, magst du kurz stehen bleiben", fragte ich und holte sie ein. Tatsächlich stand sie.

"Kannst du mir vielleicht sagen warum alle vor mir ausweichen?"

Die Frage war simpel, doch plötzlich hatte ich das Gefühl es war falsch gewesen genau diese Frage zu stellen. Ihre Antwort war ein Schulterzucken. "Keine Ahnung, aber es liegt an deiner Aura. Versteh es nicht falsch aber ich laufe auch nicht gern neben dir."

Jetzt hob ich meine Augenbraue und fing an zu schmunzeln. Das war eher interessant als beleidigend. Generell empfand ich ihre Antworten bis jetzt alle als passend. Und Ehrlichkeit schätzte ich sehr. Wir befanden uns mittlerweile in der Innenstadt. Das wir so lange gelaufen waren, war mir überhaupt nicht bewusst. Doch das Museum vor und sagte etwas anderes. "Danke" mein Blick lag auf dem Gebäude doch ich wusste, dass sie mich verwirrt ansah. "Danke, dass du ehrlich bist. Ist eine ziemliche Seltenheit." Ich bemerkte einen leichten Windhauch, es war relativ warm. Doch die Assoziation von meiner relativ schien dem von Lou nicht zu entsprechen, denn sie zitterte leicht.

"Nein Leo, mir ist nicht kalt. Ich habe Angst. Genauso wie jeder andere, und das vor dir. Es war ehrlich, ich gebe dir Recht, aber deine Anwesenheit macht mich nervös. Sie macht mir sogar schreckliche Angst. Neben dir fühle ich mich so unlebendig. Du hüllst mich in Dunkelheit." Ihre Stimme zitterte schrecklich, ihr ganzer Körper bebte, und die Angst ließ mich mächtig fühlen. Dennoch ging ich Schritt für Schritt von ihrer Seite. Ich wusste, dass ihre Nerven auf höchstes gespannt waren, ich spürte es. Und eine Bewegung zu ihrer Seite hätte diese Nerven zerrissen. Sie atmete aus, das Zittern verließ ihren Körper und sie beruhigte sich.

"Demon hätte es keine so lange Zeit mit dir ausgehalten wenn er nicht ähnlich wäre. Du bist so...", sie versuchte nach dem richtigen Wort zu suchen. "So unmenschlich. Mensch und dennoch nicht. Ich kann es mir nicht erklären, du strahlst es einfach aus."

Ihre Worte trafen mich. Nicht, dass sie mich verletzten, sondern eher, dass sie etwas in mir in Bewegung setzten. Etwas, das lange geschlummert hatte und ich nicht erwecken konnte. Ein Lächeln schlich sich auf meine Lippen, eine ungeheuere Kraft durschströmte mich. Es wurde dunkel am hellichten Tag, Lou bewegte sich unruhig hin und her.

"Das ist ungewöhnlich", sagte ich.

Doch Lou schaute nur verwirrt. "Es ist doch alles gut. Komm jetzt."

Ich zweifelte an ihren Worten und eine leise Stimme kräuselte sich an meinem Ohr vorbei, ein schwaches Flüstern aus der Dunkelheit. Dennoch ging ich weiter, ließ die Dunkelheit zurück, auch wenn ich gern in ihr geblieben wäre und weiter dem säuseln zugehört hätte. Es hatte mir gefallen.

"Lass uns in das Museum. Ich mag es hier nicht", murmelte Lou und ging schnell voran. Mit erhobenem Kopf lief ich hinter ihr her. In dem Gebäude angelangt reihte ich mich in die Schlange zu dem Kartenverkauf ein. Einige machten sofort Platz. Andere wiederum vergrößerten den Abstand zu mir. Nun war ich derjenige, der es mit der Angst zu tun bekam. Das war doch nicht mehr normal was hier geschah...

"Erde an Leo?" Lou wedelte mit den Karten vor meinem Gesicht herum. "Ich habe die Karten genommen, die sind kostenlos. Du musst mir also kein Geld zurück geben." Nickend nahm ich meine Karte und setzte mich in Bewegung. Ich achtete besonders darauf niemanden zu berühren, was auch nie passiert wäre. Es wichen sowieso alle aus. Gemeinsam, wobei ich eher allein war, liefen Lou und ich durch die Kunstausstellung. Ihre Blicke lagen fasziniert auf dem Kunstwerken und das Lächeln auf ihrem Gesicht war unglaublich begeisternd. Dennoch konnte ich meinen Lippen kein Lächeln entlocken, zumindest keins, welches nicht gespielt war. Wir liefen durch lange, gut beleuchtete und gut gefüllte Räume. Alles war bestückt mit Kunstwerken aller Art und langsam fand ich dann doch etwas gefallen an dem Ausflug. Und den Raum, in dem wir uns gerade umsahen, war es dunkler als in den übrigen Ausstellungen. Die Werke waren hauptsächlich von gruseligen, Skelettartigen und dunklen Kreaturen. Lou wirkte beunruhigt, doch ich kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Nach einiger Weile zogen wir allerdings weiter. Ich dackelte, zugegeben ziemlich genervt, hinter dem Mädchen her. Sie lachte, spielte mit ihrem Handy herum und machte Fotos.
Und dann fing mein Kopf an zu denken. Es tauchten Wörter auf, alle in Verbindung mit Namen von toten Personen. Dann sah ich Daten, Todesdaten. Und mit jedem Schritt den ich setzte spührte ich ein Kribbeln. Lou drehte sich zu mir um.

"geht es dir-" Ihr Gesicht wurde Kreidebleich und sich wich einige Schritte zurück. Sie schrie los, schrie als wenn sie einen Geist, Untoten und dem Tod selbst in die Augen blicken würde.

Ich blinzelte einige male um aus meinen Gedanken heraus zu kommen. Lou lief gemütlich neben mir her, hielt allerdings genügend Abstand.

"Sag mal Leo, ich kenne dich eigentlich gar nicht. Hast du ein Hobby? Vielleicht Geschwister?" Sie sah mich interessiert an und ich versuchte einen vernünftigen Satzt zusammen zu legen, der nicht klang, als ob ich ein Gestöhrter währe. Denn tatsächlich saß ich gern in dunklen Räumen, hörte Musik oder hielt mich in der Nähe von Friedhöfen oder Kirchen auf.

"Ich höre gern Musik." Meine simple Antwort musste ihr reichen, mehr würde ich nicht sagen. Ich war nicht Wortkarg, aber ich gab ungern etwas von mir Preis. Lou schien enttäuscht, doch das war nicht mein Problem.

"Ehrlich, ich gebe mir Mühe mit dir zu kommunizieren und du tust so als wäre ich nicht existent! Kannst du nicht, so wie jeder normale Mensch, vernüftige Antworten geben?" Sie schnaubte genervt und funkelte mich wütend an. Ich hingegen bewegte keine Miene, was die anscheinend privozierte. Sie wurde rot im Gesicht und packte mich an den Schultern, schüttelte mich und ließ mich schnaubend wieder los. Nun sah ich sie grimmig an.

"Ehrlich, ich bin nicht hier um mit dir zu plaudern. Wenn du meinst dich aufregen zu müssen, dann geh bitte. Ich habe keine Lust auf Streit und ehrlich gesagt finde ich es auch nicht gerade entzückend durchgeschüttelt zu werden. Ich würde es also sehr begrüßen, wenn du mich in Frieden lassen würdest. Danke."

Lou schnaubte eingeschnappt. "Kein Wunder, dass du keine Freunde hast. Du bist so ein Freak, mal ehrlich. Erst dachte ich du wärst interessant, aber ehrlich. Du bist einfach nur langweilig." Sie ging davon und ließ mich zurück. Na Danke, gleichfalls, kann ich nur zurück geben Lou. Und ich dachte ehrlich auch, dass du interessant bist. Das beruht dann wohl auf Gegenseitigkeit. Lächelnd setzte ich mich auf eine Bank, diesmal war es ein echtes Lächeln. Du musst noch viel lernen Leo, rügte ich mich selbst, kein Mensch dieser Erde ist so wie du. Gib deine Hoffnung endlich auf. Und dann fiel mein Lächeln wieder zu einer harten Miene. Ja, keiner war so wie ich.

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