.:14:. Noah

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Langsam kam ich wieder zu Bewusstsein und öffnete langsam meine Augen. Ich lag immer noch in der Höhle und starrte die Decke an. Langsam drehte ich meinen Kopf und sah vor mir die beiden Phönixe. Die Mutter beugte sich gerade über meinen Arm und ließ drei Tränen auf diesen fallen. Ein angenehmes Kribbeln breitete sich in meinem gesamten Körper aus. Die Wunde schloss sich und ich bekam wieder neue Energie. Die Erschöpfung von dem tagelangen Marsch ließ nach und meine Muskeln entspannten sich komplett. Lächelnd bedankte ich mich bei dem Phönix und setzte mich auf. Er sah mich vertrauenswürdig an und klapperte leicht mit dem Schnabel. Vorsichtig streichelte ich ihr über den Kopf und spürte die Hitze des Feuerwesens.

"Hättest du vielleicht noch sieben Tränen für mich? Ich muss meine Liebe von einem Fluch befreien.", fragte ich vorsichtig. Beide nickten und sahen mich auffordernd an. Wir stehen tief in deiner Schuld, junger Mensch. Wir werden dir und deiner Seelenverwandten helfen, doch du musst dich beeilen., hörte ich in meinem Kopf eine melodische und weise Stimme. Mir wurde klar, dass sie durch Gedanken miteinander kommunizierten und fühlte mich geehrt, dass sie mich in ihre Gedanken einweihten und lächelte verlegen. Ich holte schnell eine kleine Phiole aus meinem Rucksack und stöpselte diese auf. Beide Phönixe beugten sich über diese kleine Öffnung und weinten genau sieben Tränen. Danach rieben sie noch einmal ihren Kopf an meiner Hand und flogen hinauf in ihre Nische.

"Danke!", rief ich noch schnell hinterher und schraubte die Phiole wieder zu. Wenn du einmal unsere Hilfe brauchst, ruf unsere Namen. Wir werden zu dir kommen. Merke dir unsere Namen, herzensguter Mensch. Mein kleiner Sohn nennt sich Styr und ich höre auf den Namen Tchay., hörte ich noch einmal die Stimme der Phönixdame und nickte.

"Ich werde eure Namen im Herzen tragen", meinte ich noch einmal laut und gönnte mir kurz noch eine kleine Mahlzeit, bevor ich wieder alles in den Rucksack packte und aus der Höhle ging. Als ich die Spalte durchquert hatte, schloss sie sich mit einem lauten Knall. Langsam drehte ich mich um, musterte den nun geschlossenen Felsen und flüsterte: "Passt auf euch auf."

Noch einmal strich ich über den kleinen Riss, der nur noch von einem Spalt übrig geblieben war und machte mich wieder an den Abstieg. Nun hatte ich nur noch vier Tage um wieder nach Wellington zu kommen und Meredia zu finden. Auch musste ich mir überlegen, wie ich sie dazu bekomme, dass sie die Tränen zu sich nimmt. Das wird das Schwierigste von all dem werden.

Der Abstieg und die Rückreise waren schwieriger zu bewältigen. Durch den gestrigen Sturzregen, hatten sich viele Steine und Geröll gelöst und es wurden viele Wege zerstört. So musste ich oftmals über Felsen klettern und gewagte Sprünge in Kauf nehmen. Einmal hatte ich nicht richtig aufgepasst und rutschte beim Klettern aus. Unsanft landete ich auf meinen Hintern und rutschte, durch den Matsch, gut die Hälfte des restlichen Rückweges den Hang hinunter. Vor mir sah ich einen steilen Abhang und rechnete schon damit, dass ich dort hinunter fallen würde. Doch ich konnte mich noch an der Kante festhalten und zog mich mit letzter Kraft wieder hinauf. Als ich wieder festen Boden unter den Füßen hatte, atmete ich erleichtert aus und sah den Abhang hinunter. Das hätte ich niemals überlebt...Ich bin für Berge echt nicht geschaffen...ich hab das Wasser lieber. Hätte es keine Nymphe oder Wassergeist sein können?, dachte ich erschöpft und beschloss, mir genau hier ein Lager aufzubauen. Ich lehnte mich an einen großen Felsbrocken und sah an mir herunter. Meine Kleidung war komplett verdreckt und zerschlissen, meine Schuhe schon längst durchgelaufen. Auch ich selbst sah nicht viel besser aus. Meine Hände und Knie waren aufgerissen, überall hatte ich Katzer und eine neue Narbe zierte meinen Unterarm, die mich immer an diese Reise erinnern wird. Meine Haare hingen mir schon in den Augen und mein Bart sah bestimmt total ungepflegt aus. Ich glaube ich würde sämtliche Menschen verschrecken, wenn sie mich so sehen würden. Ich habe keine Zeit und keine Chance mich sauber zu machen...ich muss Meredia in der Nacht finden...ich hoffe ich schaff es bis zum Blutmond..., dachte ich erschöpft und schloss meine Augen, um wenigstens etwas Schlaf zu bekommen.

Am nächsten Tag schaffte ich den restlichen Abstieg des Berges und tauchte wieder in den Wald ein. Schon seit Tagen orientierte ich mich an dem Stand der Sonne oder der Sterne, da der Akku von meinem Handy schon längst leer war, und ernährte mich von den Früchten des Waldes. Tiere zu töten, wagte und wollte ich nicht, da ich sehr tierlieb war und ich nicht jemanden töten möchte um mich zu ernähren. Die ganze Zeit am Laufen, hatte ich viel Zeit zum Nachdenken. Ich dachte über mein Leben, den Fabelwesen, die ich bereits kennengelernt hatte, und über meine jetzige Situation nach. Im Großen und Ganzen wurde mir durch diese Reise deutlich klar, dass man nicht viel braucht um zu überleben und dass ich früher ziemlich verschwenderisch war. Wenn ich dies überleben sollte, würde ich mein komplettes Leben ändern.

Wieder einmal verlangte ich alles von meinem Körper ab, um rechtzeitig zu Meredia zu gelangen. Ich lief wieder die halbe Nacht durch und erlaubte mir nur ein oder zwei Stunden Schlaf. In der Nacht vom sechsten zum siebten Tag, sah ich endlich wieder Wellington. Ich hatte es geschafft und noch gut einen ganzen Tag Zeit Meredia zu finden und sie zu überreden, die Tränen einzunehmen. Am Anfang machte ich mich zum Haus der Millers auf, da diese ziemlich abgelegen wohnten und ich hoffte, dass Meredia noch dort wohnen würde. Gerade als die Sonne aufzugehen drohte, erreichte ich dieses Haus, klopfte an die Tür und wartete. Doch niemand machte auf. Ich probierte es immer und immer wieder, doch mit jeder Minute die verstrich wurde ich nervöser und verzweifelter. Um nicht entdeckt zu werden, da es sehr auffällig war, wenn ich Stunden vor dem Haus stand, versteckte ich mich wieder im Wald und dachte nach, was ich nun machen sollte. Ist sie abgehauen? Hat sie denn nicht verstanden, dass ich ihr helfen will? Warum versteckt sie sich vor mir? ... WO IST SIE?

Den ganzen restlichen Tag streifte ich durch die Stadt und suchte Meredia. Gut dass ich noch einen Umhang in meinem Rucksack gefunden und übergezogen hatte, sonst hätten die Menschen mich entdeckt oder die Polizei hätte mich aufs Revier genommen. Während ich meine Suche fortsetzte, hörte ich viel von den Ereignissen in den letzten Tagen. Die dreißig Pfadfinderleichen wurden im See gefunden und somit war zurzeit ein großer Tumult und alle hatten Angst vor den Kannibalen. Bei dieser Vorstellung musste ich leicht schmunzeln, da die naiven und blinden Menschen versuchten dieses Massaker als ein Kannibalen-Streich abzutun. Doch ich wusste es besser. Seitdem ich an diesem Massaker bewohnte, gelangte ich immer tiefer in die geheime Welt. Nun wusste ich, dass es viele oder vielleicht doch alle Fabelwesen wirklich gibt. Wie schnell sich mein Leben verändert hatte. Wo ich noch in London lebte, hatte ich Hexerei und alles anderes Mystische ignoriert und als Märchen und Legenden abgetan. Doch jetzt glaubte ich, dass alle Legenden ein bisschen Wahrheit enthalten. Was auch kein Wunder war, da ich in den letzten Tagen einen Pakt mit einer Hexe geschlossen und eine Phönix-Familie getroffen hatte. Doch mich hatten sie noch nicht gefunden, wie denn auch? Die Polizei ging fest davon aus, dass ich als Geißel bei diesen Kannibalen festgehalten wurde. Widerliche Vorstellung.

Als die Nacht hereinbrach, verließ ich wieder die Stadt und irrte ziellos im Wald herum. Nach Hause konnte ich nicht, die Polizei hielt dort immer noch ihre Posten, da sie hofften dass sich die Entführer meldeten. Meredia hatte ich auch noch nicht gefunden und ich gab die Hoffnung, sie heute noch zu finden schon fast auf. Doch ich musste sie finden, heute würde der Blutmond aufgehen und dieser Tag war der einzige Tag, um sie zu retten. Kurz hielt ich an und sah in den Himmel hinauf. Der Mond brauchte nur noch gute drei Stunden bis er seinen höchsten Stand erreicht hatte und er färbte sich schon leicht rötlich. Fast am Ende meiner Kräfte und meiner Hoffnungen ging ich auf eine Lichtung tief im Wald und setzte mich ins Gras. Der Blutmond war schon fast am Zenit angelangt und erstrahlte die Lichtung in einem unwirklichen rot.

Ich hab es echtverbockt...Es tut mir Leid Meredia!, dachte ich verzweifelt und ließ den Kopfhängen. 

Die kleine Meerjungfrau - einmal andersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt