Kapitel 64 -Du lässt mich nicht alleine, oder?

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Kapitel 64 -Du lässt mich nicht alleine, oder?
 Faith's POV:

Sie betrat den Raum ohne ein Wort mit mir zu sprechen. Meine Augen folgten ihren Weg zum Schrank, in dem ich einst eingesperrt war. Sie bückte sich und war bemüht keinen Ton von sich zu geben, als wäre sie unsichtbar gewesen. Mir blieben die Worte im Halse stecken. Ich musste mit ihr reden, musste erklären, was mich beschäftigte und hatte dennoch nicht die Kraft dazu. Tracy zerrte eine Tasche aus einer Ecke im Schrank und stopfte wild einzelne, wahllose Klamotten in ihren Rucksack. Sie musste es eilig haben, aber ich würde sie nicht gehen lassen. "Wie lange?", piepste ich. Meine Stimme war kratzig. Ich versuchte die Fassung zu bewahren, jedoch drohten die Tränen mich zu übermahnen. Tracy hielt eine kurze Zeit inne. Nichts bewegte sich, die Klamotten in ihrer Hand wurden nicht auf die Seite gelegt. Wie erstarrt stand sie da. Am Liebsten wäre ich zu ihr gelaufen und hätte sie in den Arm genommen. Ich hätte ihr gesagt, dass alles gut werden würde, aber ich konnte nicht. Plötzlich drehte sie sich um. Ihre Augen waren rot unterlaufen. Ihr sonst so perfektes Make-up war fleckig und die schwarze Farbe lief langsam ihre Wangen hinunter. "Was meinst du?", sie stand den Tränen nahe und versuchte sich, genauso wie ich, zu zügeln. Nervös fuhr ich mir durch die Haare und sah ihr in das traurige Gesicht. Meine Lippen öffneten sich, aber kein Wort kam heraus. Stattdessen lief ich auf sie zu und nahm sie in den Arm. Bestürzt klammerte sie sich an mich und das Eis war gebrochen. Hemmungslos weinte sie, während ich ihr beruhigend durch das lange, braune Haar strich. Voller Wut und Mitgefühl weinte ich mit ihr und das war das erste Mal, dass alle Masken gefallen waren. Noch nie hatte ich das Gefühl gehabt, so unverblümt und ehrlich zu weinen. In diesem Moment gab es keinen Rückhalt. In diesem Moment gab es nur wahrhaften Kummer. "Nicht dir muss es leid tun, Tracy.", murmelte ich und starrte auf den Schrank:" Mir tut es leid. Für all das Unrecht, was dir widerfahren ist. Euch." Meine Stimme versagte und keine Worte hätten jetzt die Richtigen sein können. Nichts wäre angemessen gewesen. "Mir ist das so peinlich, Faith. Wir waren alle so geblendet. Ich hatte meinen Verdacht in letzter Zeit und als sich alles bestätigte, da ich eine Welt für mich zusammengebrochen. Alles basiert auf Lügen. Wir haben all das nie geahnt. Er ahnt es immer noch nicht." Bei ihren Worten verkrampfte ich mich. Eine Welle von Schmerzen durchzuckte mich und ich wusste, dass mir das Schlimmste noch bevorstand. "Wir müssen ihm es sagen.", flüsterte ich. "Das kann ich nicht, Faith. Ich weiß nicht einmal, wie viel Cody von alle dem weiß." Ich nickte, auch wenn sie es nicht sehen konnte. "Er ist krank.", schlussfolgerte ich:" Ihr alle seit es auf eine spezielle Weise gewesen." Tracy löste sich von mir und ließ endlich ihre Klamotten fallen, die sie die ganze Zeit in den Händen hielt:" Verdammt, ich wollte einfach abhauen. Mir wurde das einfach zu viel. Die ganze Zeit hatte ich meine Gefühle grandios unterdrückt und mich nur darauf konzentriert, endlich einmal besser zu sein als Kira und zu gewinnen. Aber das ist kein Trost, Faith. Nicht, wenn man mehr und mehr damit konfrontiert wird. Erst wusste es keiner, aber ich muss es erzählen. Sonst wird Justin nie die Chance haben jemals normal leben zu können und Cody wird nie das Handwerk gelegt werden. Das ist mir bewusst geworden, als ich ihm die ausgerissenen Tagebucheinträge vor die Nase gehalten habe. Cody weiß bescheid. Jetzt abzuhausen löst keine Probleme. Du weißt es ja jetzt auch. Aber Justin? Ich kann es ihm nicht sagen, Faith. Ich kann sein Leben nicht zerstören. Nicht nochmal. Wenn du willst, dann rede ich mit Cody. Ich glaube, dass er die Sache nicht so schlimm sehen wird, weil er alles für Kira getan hätte. Außerdem muss ich ihn auf diese letzten Seiten ansprechen. Ich muss ihn fragen, wieso. Ich muss fragen, weshalb er dieses Geheimnis so lange für sich behalten konnte." Wir seufzten und die Welt schien sich um uns zu drehen. "Tracy, die Sache ist, Justins Leben ist schon zerstört. Wir müssen ihm die Augen öffnen. Das hat er verdient. Immer hatte ich vermutet, ich sei das Problem von uns beiden. Ich dachte, ich sei die mit den Problemen, der geholfen werden muss. Aber Justin ist hier die eigentliche Vollkatastrophe. Es macht jetzt alles Sinn. Wir müssen ihn entlasten, Tracy. Die ganze Sache muss aufgedeckt werden." "Du hast ja Recht. Es wäre nur fair. Aber ich werde das nicht machen." Vorsichtig hob ich den Haufen Blätter und das Tagebuch von meinem Bett auf und sah Tracy verschwörerisch an:" Das wirst du auch nicht. Kira wird das selbst erledigen." Sie hatte verstanden, worauf ich hinauswollte: "Es wird stunden dauern, bis er das alles durchgearbeitet hat." Kopfschüttelnd lief ich in Richtung Tür:" Der letzte Eintrag ist ziemlich selbsterklärend. Der reicht für den Anfang." Tracy nickte:"Danke. Ich hätte ihm das nicht geben können. Ich wollte abhauen, aber das ist auch keine Lösung." Sie bückte sich zu ihrer Tasche und fing an sie zu entleeren. " Du hättest schon viel früher kommen müssen und alles erklären müssen. Aber ich verstehe, wieso du dir unsicher warst. Besser jetzt als nie." Tracy strich sich durch ihr Haar und ihre Augen funkelten mit einem Mal:" Ich hoffe, du weißt, Faith, dass du immer die Stärkste von allen hier warst. Man hat dich immer als das kleinste Licht wahrgenommen, aber insgeheim bist du die stärkste Person die ich kenne. Du hast deine Vergangenheit im Griff. In kleinen Schritten hast du sie bekämpft, alleine und mit Justins Hilfe. Wir hatten nie die Chance dich wirklich zu vernichten. Und während Justin, Cody und ich uns von unseren Gefühlen haben leiten lassen und durch dieses Buch - diese Person- so zerstörbar geworden sind, dass wir vermutlich nie wieder normal werden können, hast du deine Ängste alle fast bekämpft. So gut, dass du dich sogar mit unseren Problemen rumschlägst." Ihre Worte berührten mich. tatsächlich, das Blatt hatte sich gewendet. Ich konnte noch nicht sagen, ob es sich zum Guten oder zum Schlechten entwickelt hatte, aber am Ende war ich diejenige, die mit dem wenigsten Schaden aus dieser Sache hinauskommen würde. "Du vergisst, dass es nur Cody war, der sich von seinen Gefühlen hat leiten lassen. Justin wusste von nichts, genauso wie du. Ihr könnt nichts für das Ausmaß, was jetzt vor uns steht. Schade nur, dass die eigentliche Täterin dieses Desaster nicht mehr miterleben kann, weil sie zu feige war." "Ich denke, Faith, dass Kira nicht feige war, sondern genauso krank wie wir alle." Ohne darauf einzugehen, wandte ich mich zur Tür, da wir sowieso nie eine Antwort auf diese Fragerei erhalten würden. Weshalb hatte Kira sich umgebracht? Wegen den Geheimnissen in diesem Buch oder wegen dem, was sie mit diesen drei unschuldigen Menschen angerichtet hatte? Ich richtete meine letzten Worte an Tracy, ehe ich Justin den Boden unter den Füßen wegnehmen würde:" Tracy, du hast mir bewiesen, wie ernst du es meinst. Wenn ich jetzt eins mit Sicherheit weiß, dann, dass ich dir vertrauen kann und wir Freunde sind. Vergiss das nicht." Ich hoffte, ihr zu zeigen, dass nicht alles auf einer Lüge basierte. Denn dieser Mensch, der vor mir saß, war im Laufe der Zeit von meiner Feindin zur besten Vertrauten mutiert. "Warte!", rief Tracy mir nach und auch, wenn ich es schnell hinter mir haben wollte, blieb ich stehen:" Werden du und Justin nach alle dem noch eine Chance haben?". Ich schluckte und schüttelte den Kopf: "Nein, ich denke nicht." Ohne zu warten lief ich fort, ich wollte ihr nicht erklären müssen, dass ich davon ausging, dass Justin mir trotz der Beweise niemals glauben würde. Denn er war krank und würde sich selber schützen wollen. Sie stand immer vor mir, ob Tot oder nicht.

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