SIEBENUNDDREIßIG

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„Aida, was machst du hier?", fragte Emir mich. „Das sollte ich euch beide fragen. Wieso verheimlichst du das vor mir? Wieso? Konntest du mir nicht sagen, dass es doch weniger als ein Jahr ist? Konntest du mich nicht darauf vorbereiten. Wann wolltest du mir sagen, dass du jeden Moment vor meinen Augen einfach so zusammenklappen könntest. Ich hasse dich, wieso tust du mir das jetzt an? Jetzt wo ich dich mag, jetzt wo ich dich akzeptiert und in mein Herz geschlossen habe? Wieso machst du das? Wieso tust du mir das an?", ich schlug gegen Emirs Brust und verlor vollkommen die Kontrolle. Emir kam ins Schwanken, seine Augen verdrehten sich und er fasste sich an den Kopf. Innerhalb von wenigen Sekunden viel er vor meinen Augen einfach so auf den Boden. Geschockt sah ich meine Hände und dann Vedad an. Ohne auch nur zu zögern, kniete ich mich zu Emir und rüttelte an ihm. „Emir wach auf, komm zu dir bitte.", ich sah zu Vedad rauf. „Ruf einen Krankenwagen bitte.", ich konnte schon gar nichts mehr richtig sehen. „Was ist denn hier los?", kam eine Ahnungslose Amna zu uns. Geschockt legte sie ihre Hände vor den Mund, als sie Emir da so liegen sah. „Ruft bitte jemand einen Krankenwagen.", rief ich lauter, als ich Emirs Pult abtastete. Gott sein Dank konnte ich ihn ertasten und war etwas erleichtert, doch das war nicht Erleiterung genug. Wir haben weder seinen Eltern noch seinen Geschwistern gesagt, dass er krank ist, wieso muss alles von jetzt auf gleich geschehen. „Ich habe einen Krankenwagen gerufen, sie sind in fünf Minuten da.", benachrichtigte Vedad mich. „Amna kannst du auf die Kinder aufpassen?", fragte ich sie. „Natürlich. Was hat Emir denn?", wollte sie wissen. „Er hat einen Tumor im Gehirn.", beantwortete ich ihr ihre Frage und nahm Emirs Hand in meine. Meine Tränen fielen auf seine Brust. Ich konnte sie nicht mehr kontrollieren.

Fünf Minuten Später wurde Emir abgeholt. Ich lief den Sanitätern hinterher, doch sie drückten mich immer wieder weg. „Ich muss mit, er ist mein Ehemann, er braucht mich.", ich weinte und lief ihnen weiterhin hinterher. Ich ließ mich von ihnen nicht von meinem Vorhaben abbringen und wegdrücken. „Ich muss mit.", protestierte ich. „Sie können nicht mit.", entgegnete ein Sanitäter. „WENN SIE MICH NICHT MITLASSEN SORGE ICH FÜR EINEN SKANDAL UND ZIEHE EUER KRANKENHAUS MIT IN DEN DRECK.", schrie ich den Mann an und er gab nach. Ich stieg in den Krankenwagen ein und wand kein einziges Mal meinen Bick von Emir. Mein Herz drohte mir aus der Brust zu springen. Ich hatte Angst um ihn, Angst um das, was mich erwartet und was auf mich zukommt. Relativ schnell kamen wir mi Krankenhaus an. Ich wartete vor dem Behandlungszimmer und rief derweil Emirs Eltern und Geschwister an, um ihnen Bescheid zu geben. Keine zwanzig Minuten später kamen auch seine Eltern und Geschwister im Krankenhaus an. Sie kamen aufgebracht auf mich zu, wollten wissen was geschehen ist und was Emir hat, doch ich schwieg und starrte die Wand an. Sie rüttelten an mir und riefen immer und immer wieder meinen Namen, doch ich reagierte nicht. Sehr lange waren die Ärzte mit Emir beschäftigt. Ich wollte zwischendurch einen Blick erhaschen, um mir vielleicht etwas dadurch ausmalen zu können, doch niemand öffnete die Tür und niemand sprach zu uns, bis zwei Stunden später ein Arzt auf uns zukam. „Wer von euch ist Aida?", fragte er. Ich stand ruckartig auf und sagte: „Ich." Er nickte und machte eine Handbewegung, dass ich ihm folgen sollte. Er führte mich in Emir Zimmer und sagte mir, dass Emir nach mir verlang hatte. Mit langsamen Schritten tapste ich an Emirs Bett. Er sah mit einem leeren Blick aus dem Fenster. Als ich jedoch seine Hand ergriff, drehte er seinen Kopf zu mir. „Es tut mir leid, Aida. Es tut mir schrecklich leid.", flüsterte er und seine Augen füllten sich mit Tränen. „Was, was soll das heißen?", fragte ich ihn und auch meine Augen füllten sich erneut mit Tränen. „Ich habe nicht mehr lange. Sie haben mit Morphium gegeben und ich merke, dass ich immer schwächer werde. Ich muss jetzt hier bleiben, ich kann nicht mehr nach Hause, sie möchten mich hier behalten, um mir die Schmerzen zu ersparen.", erklärte er mir und drückte meine Hand. „Nein, nein, nein.", ich schüttelte meinen Kopf von links nach rechts und wieder holte das nein öfter, als ich es hätte sagen sollen. Emir sah mich mit einem traurigen Blick an. „Ich habe mir wirklich die Hoffnung gemacht, dass du dich in mich verliebst doch letztendlich ist es gut, dass du dich doch nicht in mich verliebt hast. Du hättest viel mehr gelitten als jetzt. Ich habe Angst, Angst davor dich alleine zu lassen. Ich möchte dich mit dem Kind nicht alleine lassen, ich möchte meine Frau gar nicht alleine lassen, wir sind so jung, doch wie man sieht, spielt das alter keine Rolle, wenn der Tod anklopft. Ich will dich nur bitten, dich nicht kaputt machen zu lassen. Sei stark, sei stark für das Kind, sei stark für dich und sei stark für mich. Du bist dann die Witwe Sinanovic, die alleine bleibt. Du darfst nicht schwach werden. Du musst meinem Ruf alle Ehre machen und ich bin fest davon überzeugt, dass du es nach einer Pause, auch schaffen wirst. Du bist ja nicht umsonst meine Frau geworden.", er erzwang sich ein Lächeln und drückte meine Hand. Ich weinte und weinte. Meine Tränen nahmen einfach kein Ende. Ich hatte mich selber nicht unter Kontrolle und das einzige, was Emir jetzt nicht gebrauchen kann, ist eine schwache Frau an seiner Seite. „Ich hab dich lieb Emir, du wirst immer ein Teil meines Lebens sein und du hast so viele Erinnerungen geprägt, an die ich mich gerne zurück erinnern möchte.", ich wollte weiter reden, doch die Tür ging auf und eine besorgte Mutter stand an der Türschwelle. Sie trat ins Zimmer und lief hektisch auf ihren Sohn zu. Ihr Ehemann und ihre Kinder folgten ihr und füllten so langsam aber sich das Krankenzimmer von Emir. „Mein Sohn, was hast du, wieso bist du hier?", fragte meine Schwiegermutter ihren Sohn. Emir sah kurz zu ihr und anschließend zu mir. Ich nickte, drückte seine Hand und schloss kurz meine Augen, um ein und aus zu atmen. „Mama, ich muss euch etwas gestehen. Und zwar habe ich jetzt schon etwas länger ein Geheimnis. Vor kurzem habe ich es mit meiner Frau geteilt und wenn ich es hätte noch länger hinauszögern können, dann hätte ich dies auch gemacht, denn ich möchte euch nicht traurig machen. Aber da ich nun hier bin und ich nicht weiß, wie lange mir noch bleibt, möchte ich euch jetzt aufklären, da wir alle beisammen sind. Ich habe einen Tumor. Um genauer zu sagen habe ich einen Tumor am Gehirn. Ich wollte es behandeln lassen, doch er war schon so weit fortgeschritten, dass Behandlungen nicht angeschlagen hätten und die Ärzte mir wenige Jahre vorschrieben. Doch ich habe nicht wenige Jahre wie vorher geglaubt. Kurz vor der Hochzeit habe ich es erfahren und auch beschlossen es zu verheimlichen, doch nun muss es raus, denn es ist kurz vor Peng, wie man so schön sagt und weiter verheimlichen und euch anlügen hätte gar nichts gebracht. Mama, ich werde sterben. Mama, dein Sohn ist krank. Ich werde bald nicht mehr da sein.", seine Mutter schüttelte, wie ich gerade eben, ihren Kopf und wiederholte die Worte: „Das kann ich nicht glauben. Das darf nicht wahr sein. Du lügst mich doch an." Mein Schwiegervater schwieg, mein Schwager tat es ihm gleich und meine Schwägerinnen schlossen sich ihrer Mutter an und weinten auch. Ich hielt Emirs Hand weiterhin fest und drückte sie zwischendurch auch. Er war schwach, man sah es ihm an. Da wir auch wirklich mitten in der Nacht hatten, sollte er schlafen. Seine Familie machte sich, ohne viele Worte zu verlieren, auf den Weg nach Hause und ich blieb bei Emir. „Was ist mit Bajazit? Wie willst du ihn füttern?", fragte mich Emir. Ich schluckte und sah Emir an. „Ich pumpe die Tage, die ich im Krankenhaus bin, ab.", erklärte ich ihm und richtete mich auf. „Lass uns bitte noch etwas reden, ich möchte mir deine Stimme einprägen.", fing ich an und Emir sah mich aufmerksam an, lächelte und nickte.

...

„Oh mein Gott Emir, wieso hast du nicht gesagt, dass du nicht mehr so viel Zeit hast.", eine aufgebrachte und weinende Elena kam ins Zimmer und setzte sich zu Emir aufs Bett. Sie nahm seine freie Hand in ihre und weinte. Wie es aussah, liebt sie ihn immer noch. Ich wollte die beiden nicht stören und beschloss deswegen aus dem Zimmer zu gehen, vielleicht hat Emir noch Gefühle für sie, die er auch loswerden möchte. „Nein bleib.", sagte Emir und zog mich an meiner Hand zurück. Erstaunt sah ich ihn an, doch er lächelte nur. „Elena, das ist meine Frau. Lernt euch kennen, ich möchte nämlich, dass ihr euch versteht, wenn ich nicht mehr bin. Die Kinder sollen gemeinsam aufwachsen und wissen, dass sie zusammengören und sie sollen wissen, wer ich bin besser gesagt wer ich war. Ihr müsst sie aufklären.", erklärte Emir. Daraufhin sah Elena mich an und lächelte schwach, ich versuchte das Lächeln zu erwidern, aber Emirs Worte machte mir wieder bewusst, dass er nicht mehr lange hat, dass er uns verlassen wird und wir zurück bleiben. Ich konnte es nicht fassen, dass es wirklich so weit kommt, damit hätte ich wirklich nicht gerechnet. Anscheinend teilten Elena und ich dieselben Gedanken, daher auch unser gedämpftes Lächeln. „Hey kommt Mädchen, ich habe mich damit abgefunden, ihr solltet euch auch damit abfinden. Ich habe versucht euch so gut wie möglich darauf vorzubereiten, doch anscheinend waren meine Maßnahmen nicht präventiv genug und auch nicht erfolgreich. Ihr habt doch schöne Erinnerungen mit mir an die ihr euch zurück erinnern könnt, mach es euch doch nicht so schwer bitte.", sprach Emir auf uns sah, als er merkte, dass die Stimmung trübe und trist wurde. „Emir sei leise bitte. Ich ertrage es nicht, dich so sprechen zu hören. Mein Herz brennt, es leidet und schreit immer wieder deinen Namen. Voller Hoffnung war ich, dass Elvin uns zusammen bringen wird, doch du hast eine wunderbare Frau und noch einen Sohn bekommen. Ich habe einen Fehler gemacht, meine Tod vorgetäuscht, damit du nicht leiden musst und trotzdem hast du gelitten und so wie du gelitten hast, werde ich leiden und wahrscheinlich noch mehr. Also bitte versuch die Situation nicht zu verharmlosen, denn sie ist nicht harmlos. Ich liebe dich Emir und ich werde dich immer liebe und in unserem Sohn habe ich ein Stück von dir, welches mich immer an dich erinnern wird. Unser Kind lässt dich trotzdem weiterleben und das macht mir Hoffnung, dass mir durch ihn dein ableben erleichtert wird.", Elenas Worte trafen mich und sofort hatte ich Mahir im Kopf. Ihre liebe zu Emir war so groß wie meine Liebe zu Mahir. Ihre Hände zitterten und sie wusste nicht mehr, was sie sagen soll. Sie versuchte zu lächeln, um Emir die Situation zu erleichtern und genauso hätte ich auch gehandelt. Vielleicht war Elena ihm sogar eine bessere Stütze als ich es hätte sein können. Vielleicht war es gut, dass sie hier ist. Emirs Atmung wurde schwerer und flacher, aufgebracht, nahm ich seine Hand in meine und sah ihn besorgt an. Elena sprang vom Bett und tat es mir gleich. „Ich liebe euch beide. Ihr habt wirklich einen besonderen Platz in meinem Herzen den werdet ihr nie verlieren, ich passe von oben auf euch auf und werde immer in euren Herzen weiterleben.", die letzten Worte flüsterte er. Er sah von mir zu Elena, drückte schwach unsere Hände, lächelte und schloss seine Augen. Elena und ich sahen uns geschockt an und blickten dann zu Emir. Sein Brustkorb hob sich nicht und senkte sich auch nicht. Sein Griff um unsere Hände wurde locker und anschließend fielen sie komplett aus unseren Händen, doch das Lächeln auf seinen Lippen blieb. Tränen flossen meine Wange entlang und ich fing an zu schluchzen. „NEIN EMIR, NEIN. DAS KANNST DU NICHT MACHEN. DAS KANNST DU MIR NICHT ANTUN. KOMM ZURÜCK, KOMM ZU MIR ZURÜCK.", schrie ich Emirs leblosen Körper an und schlug leicht gegen seine Brust. Elena war in einer Schock starre und konnte alles nicht realisieren, während ich mit der kompletten Situation nicht klarkam.


Einige triste Kapitel werden auf euch zukommen. Es ist mir echt schwer gefallen, dieses Kapitel zu schreiben, aber mir viel es wirklich schwer, die geplante Handlung meiner Geschichte, komplett umzuschrieben, weshalb ich dem Tod von Emir nicht entgekommen konnte und deshalb ist das Kapitel so plötzlich da und eventuell auch unemotional und langweilig. Dafür entschudligte ich mich, aber ich hoffe, dass euch der weitere Verlauf, auch wenn Emir nun nicht mehr dabei sein wird, gefallen wird.

Meinungen? Kritik?
Viel Spaß beim Lesen :D

Kampf zwischen Herz und VerstandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt