Seit genau einer Stunde befand er sich oben. Ich hatte aufgrund der an der Wand hängende Uhr ein Zeitgefühl. Er hatte gegessen und mich mehrmals gefragt, ob ich denn nicht auch gern würde. Jedes Mal hatte ich ihn nicht einmal angesehen und mir nur gewünscht, dass er endlich schweigen würde.
Langsam erhob ich mich und ging, mit nackten Füßen, über den Holzboden. Der Teller, den er für mich gemacht hatte, stand noch unberührt da. Ich hatte darauf geachtet, dass er mir das Essen aus der genau selben Pfanne gab, aus der er seines nahm.
Zu meine Erstaunen erblickte ich ein Messer und steckte es umgehend in meine Jackentasche. Danach ließ ich den ersten Bissen des warmen Fleisches auf meiner Zunge zergehen. Viel konnte ich nicht essen, doch das Hungergefühl war schnell verschwunden.
"Schmeckt's?",hörte ich ihn hinter mir und ließ aus Angst den Teller fallen. Er zerbrach in Scherben. Ungewöhnliche Stille legte sich zwischen uns beide. Sofort zog ich das Messer aus meiner Jackentasche und griff zugleich nach einer Scherbe.
Er rührte sich nicht, sondern sah mich stumm an. Ich atmete schwer und hielt ihm beide Waffen drohend entgegen. Seine Augen lagen nur auf meinem Gesicht. So als würde es ihn nicht kümmern, dass ich ihn verletzen könnte. "Setzen",befahl ich. Er runzelte für einen Moment die Stirn, sah sich aber dann um und griff nach einem Barhocker, auf den er sich setzte. Seine Augen durchbohrten mich immer noch.
"Wer bist du?",stelle ich ihm die erste Frage. Er macht allerdings keine Anstalten, mir zu antworten. Ich trat gegen einen weiteren Barhocker, der zu Boden fiel. "Rede!",schreie ich ihn an. Er lässt sich nicht aus der Ruhe bringen und leckt sich über die Lippen.
"Was bringt dir mein Name, Prinzessin?",lacht er leicht.
"Nenn mich nicht so!",fahre ich ihn an. "Sag mir deinen Namen!"
Er senkt kurz den Kopf und scheint ernsthaft zu überlegen. Was hinderte ihn daran einfach nur seinen Namen auszusprechen? Er hatte mir ohnehin schon sein Gesicht gezeigt. Außerdem war er doch der Überzeugung, dass ich nicht mehr nach Hause kommen würde.
"Zane",sagt urplötzlich und schaut mir wieder in die Augen. Mein Magen verkrampft sich. "Callahan. Zane Callahan",wiederholt er. Was war daran so schwer? Für einen Entführer war der Name ziemlich außergewöhnlich. Auf irgendeine Art und Weise veränderte sich seine Wirkung auf mich, da ich jetzt wusste, wie er heißt. Falls er mir die Wahrheit gesagt hatte.
"Überrascht?",fragt er und schmunzelt. Ich schüttle den Kopf und halte ihm das Messer wieder entgegen. "Keine Fragen mehr?"
"Wer will mich tot sehen?",greife ich seine Aussage von gestern auf.
"Einige",antwortet er kurz.
"Und die wären?",harke ich nach. Er versucht aufzustehen, doch daran hindere ich ihn.
"Sitzen bleiben!",schreie ich und werfe ihm die Scherbe direkt vor die Füße. Er blickt an sich hinunter, ehe er mich gefährlich anfunkelt. War das ein Fehler?
"Das hätte schief gehen können, Prinzessin",mahnt er rau und legt den Kopf etwas schief.
"Scheiße, ich sagte, nenn mich nicht so!"
Ich fahre mir mit der freien Hand durch das Haar und fixiere ihn erneut. "Beantworte einfach meine Frage. Wer will mich umbringen?",frage ich erneut.
"Männer, denen dein Vater sehr fiel Geld geklaut hat",antwortet er und ich schlucke schwer.
Vor fünf Jahren hatte ich meinen Vater verloren. Er wurde ermordet. Mir und meiner Mutter war damals klar, dass er als Geschäftsmann auch illegale Dinge am Laufen hatte. Doch er hatte mir stets versprochen, dass er immer für mich da sein würde. Dass er nichts tun würde, was mich und meine Mutter in Gefahr bringen könnte. Nach seinem Tod kamen wir in ein Schutzprogramm, doch wir fanden schnell wieder heraus. Es schien so, als wären mit Vater's Tod auch all seine krummen Geschäfte gestorben. Stellt sich heraus, dass die Toten wieder auferstanden sind.
"Was ist mir dir? Wie viel hat er dir gestohlen?",frage ich. Zane tut so, als würde er es gedanklich abwägen. Er spielte Spielchen.
"Sagen wir mal so, Prinzessin. Wegen deinem Bastard von Vater habe ich alles verloren",knurrt er und steht auf. Ich weiche zurück, denn Zane lässt sich nicht mehr einschüchtern. "Mein Geld verdiene ich mir jetzt vom Töten",fährt er fort.
Ich stoße mit dem Rücken gegen die Küchentheke und halte ihm mich wehrend das Buttermesser entgegen. "Und auch, wenn ich es nicht war, der deinem Alten die Kehle durchgeschnitten hat, danke ich den Hurensöhnen, die sich genauso wenig, wie ich beherrschen konnten."
Mit einer schnellen Bewegung packt er mein Handgelenk und entzieht mir das Messer. Er greift auch meine andere Hand, dreht mich und presst meinen Rücken gegen seine harte Brust. Seine Lippen sind dicht an meinem Ohr. "Keine Angst, Serena. Ich tue dir nichts",raunt er und ich höre ihn lachen. Sein Atem kribbelt an meinem Ohr. "Wir wollen nur sehen, wie viel du deiner Mutter wert bist."
Ich wehre mich gegen seine Aggressivität, doch sein Griff ist zu fest. "Übrigens, Prinzessin. Hat dir deine Mutter schon gesagt, dass sie mit dem besten Freund deines Vaters fickt?"
Ich beginne zu weinen. "Hör auf",winsle ich. "Du bist widerlich."
"Während dein Vater im grab schmort, vergnügt sie sich mit einem verheirateten Mann. Klingt nach einem guten Vorbild",fährt er fort und quält mich mit seinen Worten.
"D-Das...Das ist nicht w-wahr",stottere ich.
"Serena, deine Mutter ist eine Schlampe",raunt er mir ins Ohr. "Wahrscheinlich sucht sie nicht einmal mehr nach dir. Gut für mich, vielleicht verkaufe ich dich einfach an die Wichser, die viel schlimmere Dinge mit dir tun wollen."
"Gott",winsle ich und drohe auf den Boden zu fallen, doch er hält mich immer noch fest.
"Wichser, deren Frauen und Schwestern dein Vater verführt hat."
"Du lügst!",schreie ich. "Ich glaube dir kein Wort, du Schwein!"
"Eigentlich hatte ich vor, dich hier zu behalten, bis deine Mutter bezahlt. Aber du bist naiver, als ich dachte",sagt er und lässt mich plötzlich los. Ich falle zu Boden und rutschte zurück. "Wir werden diese Zeit gut nutzen, Serena."
Er kniet sich zu mir und wischt mir eine Träne von der Wange. Zu spät schlage ich ihm seine Hand weg. "Die Wahrheit tut weh, ich weiß. Aber wir sind erst am Anfang."
Mit diesen Worten lässt er mich auf dem kalten Fußboden sitzen und verschwindet nach oben. Wie paralysiert weine ich und kann mich nicht rühren. Lügen, alles Lügen. Nichts davon ist wahr.
"Lügen!",schreie ich und fasse mir in die Haare. "Alles Lügen!"
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Serena
RomanceEntführt. Sie taten alles, um mich zu finden. Im Glauben daran, dass ich schreckliches erleiden musste. Doch was sie nicht wussten war, dass ich nur von ihm und von niemand anderem sonst gefunden werden wollte. Etwas so falsches, fühlte sich plötzl...