Ein bisschen Vergangenheit, Komplimente und Überfürsorge

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"Falls du es noch nicht wusstest, ich bin kurz nach dem Vetschwinden meiner und Vivis Eltern nach Los Angeles gezogen, um neu anzufangen und weg zu kommen von all der Trauer, dem Schmerz und der Wut. In LA war anfangs auch alles gut, ich fand Freunde, traf Kentin und verliebte mich. Ich verliebte mich in Tony, einen Jungen, der mir schon am ersten Tag ins Auge fiel. Er hatte schulterlange schwarzrote Haare und spielte in einer Punkband. Er lud mich schon an meinem zweiten Tag abends in eine Bar ein. Froh, jemanden zu treffen und auch mal endlich wieder rauszukommen, sagte ich sofort zu.", meine Tränen waren versiegt und so langsam hatte meine Stimme sich auch wieder normalisiert. Auch wenn es mir jetzt besser ging, wollte ich nicht von Dimitri weg. Er hatte etwas Beruhigendes und Heimeliges an sich, dass mich vollkommen gefangen nahm und in eine Welt voller Freude und Zufriedenheit hüllte. Sein Blick war in weite Fernen gerichtet und gedankenverloren streichelte er weiter meinen Rücken. Als er bemerkte, dass ich aufgehört hatte zu reden, trafen seine Augen meinen Blick und sanft lächelte er. "Er hat dich geküsst, hab ich Recht?", hakte er nach und traurig nickte ich. "Tony war der größte Fehler meines Lebens. Kurze Zeit nachdem wir zusammenkamen, fing er an seine Wut ständig an mir auszulassen. Anfangs schrie er nur, doch mit der Zeit schlug er mich auch und wenn er getrunken hatte, warf er die leeren Bier- und Schnapsflaschen nach mir und traf leider oft genug." Beim letzten Satz zog ich den Ärmel meines T-Shirts so hoch, dass man meine Schulter sah und sein Atem stockte. "Cassie!", rief er geschockt und hob dann vorsichtig seine Hand, bewegte sie langsam auf meine Schulter zu und strich nur mit den Fingerspitzen über die lange gezackte Narbe. "Das hätte genäht werden müssen.", flüsterte er. "Ich weiß. Aber wenn ich ins Krankenhaus gegangen wäre, hätten sie gefragt, wo ich das her habe und ich kann nicht gut lügen." Verständnisvoll nickte er und meinte: "Fahr fort" Und so erzählte ich einem eigentlich völlig Fremden den Rest der Geschichte bis zu dem Tag, an dem ich kopflos meine Koffer gepackt, mir Tickets nach Amoris gekauft und zu meinem Zwilling gezogen war. Zum Ende hin war meine Stimme sicherer und stärker geworden. "Du hast echt 'ne Menge mitgemacht. Ich bewundere wirklich, dass du nach alldem immer noch hier bist und das auch noch selbstsicher." Ich senkte meinen Kopf, da ich nicht wollte, dass er sah, wie ich errötete. "Was meinst du mit hier?", fragte ich dann, als ich nochmal über das Gesagte nachdachte. "Naja, ich kenne einige Mädchen, die bei all diesem Stress durchgedreht wären und sich aufgegeben hätten. Aber damit will ich nicht sagen, dass du kein Mädchen bist. Das bist und das sieht man auch, aber du bist ein besonderes Mädchen. Du bist stark, dir selbst treu geblieben, keins von diesen Wischiwaschiweibchen, die bei der winzigsten Kleinigkeit schon der Meinung sind, ihr Leben hätte keinen Sinn mehr. Nein, du bist trotz deiner zierlichen und zerbrechlich wirkenden Gestalt eine wahre Kämpfernatur, wunderschön und doch unkaputtbar. Das hat mich auch schon im ersten Moment so an dir fasziniert." Er hatte sich so in Rage geredet, dass er gar nicht mitbekommen hatte, was er sagte und als er wieder zu sich kam, war es schon zu spät. "Oh, entschuldige. Ich habe wohl zu viel gesagt." Mit einem leisen Lächeln auf den Lippen und einem warmen Gefühl in meiner Magengegend flüsterte ich gerührt: "Das kann sein, jedoch möchte ich dir für die Worte danken, egal ob du sie bedacht gesagt hast oder frei aus dem Herzen heraus." Jetzt war Dimitri an der Reihe mit dem Erröten und das tat er auch ganz gewaltig. Ich strubbelte ihm durch die Haare und grinste. "Hey, das muss dir doch nich peinlich sein. Ich mag dich auch und vor allem deine Art, mich zu jeder Zeit zu verstehen und beruhigen zu können. Das ist alles so verrückt, aber auch wenn ich dich erst heute kennengelernt habe, bist du mir schon so sehr ans Herz gewachsen, wie es noch nie passiert ist. Nicht mal in LA. Danke", auch ich bemerkte nun, was ich da von mir gegeben hatte und Dimitri hob wieder seinen Kopf, den er vor Scham gesenkt gehabt hatte. "Nichts zu danken, Alice." Wir lachten, als wir uns an unser erstes Gespräch erinnerten.
"So, jetzt muss ich aber wirklich mal zur Schulschwester. Sonst schleift Vivi mich noch in die Notaufnahme." Dimitri half mir kichernd hoch und fragte: "Ist sie denn so schlimm?" "Ich spreche aus Erfahrung", seufzte ich grinsend. Und so erzählte ich Dimitri von meinem kleinen Unfall mit einer Brotschneidemaschine und Violas Überfürsorge.

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