"Zane",sage ich und will vom Bett aufspringen, doch er baut sich vor mich auf. Wie ein Hündchen sehe ich ihn mit großen Augen an.
"Hinsetzen und gucken",weist er an. Seine Wangenknochen stehen gefährlich hervor. Fast ängstlich schlucke ich schwer und wende mich dem Bildschirm zu. Zane geht um das Bett und tippt einmal heftig auf die Leertaste des Macs.
Meine Augen huschen über den Bildschirm, suchen nach einem Anhaltspunkt, um etwas zu erkennen. Weil ich das Bild erst seit ein paar Sekunden sehe, bin ich mir noch nicht im klaren darüber, was Zane mir gerade hier zeigt. Bis...bis ich ein mir bekanntes Gesicht erkenne. Es scheint so, als wäre die Kamera in einem Spiegel platziert. Jedenfalls wusste ich, dass man aus diesem Winkel nur den Spiegel treffen konnte.
Es war das Schlafzimmer meiner Eltern.
Der große Spiegel hängt direkt über dem Ehebett meiner Eltern, das meine Mutter seit fünf Jahren alleine beschläft. Dachte ich jedenfalls. Ich sehe sie lachen, sich in ihrem knallroten Dessous in den Laken wälzen. Verwirrt runzle ich die Stirn. Was machte sie da? Filmte sie sich einfach nur so?
Ich schaue zu Zane hinüber. "Du perverses Schwein!",schreie ich ihn an, doch Zane verzieht den Mund und nickt dem Laptop zu. Ich reiße die Augen auf, als ich einen Mann erblicke.
Und dieser Mann ist nicht mein Vater.
Er hat nur einen Boxershorts an. Mit zwei Weingläsern kommt er auf meine Mutter zu, bückt sich und gibt ihr einen Kuss. Ich schlage mir die Hand vor den Mund. Tränen füllen sich in meinen Augen. Ungläubig schüttle ich den Kopf und versuche mir einzureden, dass das, was ich gerade gesehen habe, nicht wahr sein kann.
"Nein",wimmere ich. All meine Vorstellungen, all meine Träume, all meine Ideale, sie sind zunichte. Meine liebe Mutter. Schmerzerfüllt vom Tode meines Vaters, wälzt sich vor meinen Augen in den Laken ihres Ehebettes. Ich fasse mir an die Brust und weine lauthals. Das Schluchzen übertönt die Geräusche aus dem Video. Das Bild droht langsam zu verschwimmen.
Mutter, wieso?
"Mom?",schreit jemand in dem Video. Ich hälte den Atem an. Meine Stimme verstummt und zitternd atmend schaue ich mit verschleiertem Blick auf den Bildschirm. Ich suche nach einem Bild dieser Stimme, doch alles, was ich sehe, ist meine Mutter, die ihren Finger an ihren Mund führt. Der Mann presst seine Lippen aufeinander, meine Mutter fängt an zu lachen.
* Film *
"Mom, bist du da?"
"Ja, mein Schatz. Ich versuche zu schlafen!"
"Okay, ich gehe ins Zimmer!"
"Gut, mein Liebling"
Sie horcht und als man ein lautes Poltern hört, fängt sie an zu kichern. Der Kerl legt die Weingläser zur Seite und stürzt sich auf meine Mutter.
Ich war es. Ich war in diesem Video. Ich hatte nach ihr gerufen und sie hatte mich angelogen.
Zane's Finger landet wieder auf der Leertaste und das Video friert ein. Mein Herz pocht mir im Hals, mein Kopf droht zu explodieren und der schwere und dicke Kloß in meinem Hals verschnürt mir die Atemwege.
"Mom",wimmere ich leise und beginne wieder, all mein Leid mithilfe von Tränen über mich ergehen zu lassen. Belogen und betrogen. Meine Mutter war genau die, die Zane mir beschrieben hatte. Sie schlief mit jemand anderem, in dem Bett meiner Eltern. Es widerte mich an.
"Schau aufs Datum",sagt er plötzlich. Ich folge seiner Anweisung. Und blicke unten rechts auf die Zahlen.
"Oh Gott!",schreie ich auf und jaule wie ein Schlosshund. "Nein!",kreische ich und vergrabe das Gesicht in den Händen. "Nein, Gott. Nein!",rufe ich und wippe mich auf dem Bett hin und her. Der Schmerz in meiner Brust wird immer größer. Mein Hals kratzt vom Schreien, doch meine Emotionen sind nicht kontrollierbar.
15.05.2011.
Zwei Wochen nach der Beerdigung meines Vaters. Zwei verdammte Wochen. Zwei verfickte Wochen.
"Wieso?",keuche ich und umklammere den Stoff meines Oberteils. "Wieso, Mutter? Wieso?"
Ich nehme meine Außenwelt nicht mehr wahr und kauere mich in Zane's Bett. Ich ziehe die Knie an und werfe meinen Kopf hinein. Der Schmerz ist unbeschreiblich. Er frisst mich in diesem Moment auf und ich weiß nicht, ob ich mit dieser Tatsache leben kann. Es scheint so als seien die mir noch unbekannten aber anscheinend grausamen Verbrechen meines Vaters, weniger schlimm, als das, was meine Mutter begangen hatte.
Meine Mutter. Meine geliebte Mutter. Wieso, Mom? Wieso?
Noch lange heule und wimmere ich. Und über diese Zeit, nehme ich kaum etwas von Zane wahr. Er hatte mich nicht angesprochen oder berührt. Mir nichts befohlen oder mich zu etwas gezwungen. Nein, er hatte mich einfach schlafen lassen.
Mitten in der Nacht jedoch reißt es mich aus meinen Träumen. Ich richte mich auf und bemerke, wie verschwitzt ich bin. Es ist so still, dass meine Ohren pulsieren. Ich schaue mich im Raum um, doch Zane ist nicht da.
Ich schlage also die Decke auf und tapse vorsichtig über den Boden. Als ich das Geländer umfasse, höre ich, wie Zane redet. Offensichtlich telefoniert er. Ich verharre augenblicklich in meiner Haltung und lausche angestrengt.
"Ja, hier spricht Agent Callahan."
Ich runzle die Stirn. Wie bitte? Hatte ich mich da etwa gerade verhört.
"Meine Verifizierungsnummer lautet 20 158BL 544",sagt er deutlich ins Telefon. Ich bin unglaublich nervös. Was passiert hier?
"Verbinden Sie mich mit Agent Dawson."
Lange sagt er nichts. Ich schiele nach unten und sehe, wie er hin und her läuft. Er wirkt irgendwie angespannt.
"Dawson",sagt er plötzlich. "Wo bist du?",fragt er.
Wieder eine Pause.
"Sehr gut. Ich brauche einen Wagen und eine neue Unterkunft",formuliert er. "Ja, genau. Das weiß ich, Dawson. Verdammt",flucht er.
Ich runzle wieder die Stirn.
"Gut.",antwortet er knapp und legt auf. Schnell tapse ich zurück in das Bett und decke mich vorsichtig zu. Mein Kopf arbeitet auf Hochtouren.
Agent Callahan?
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Serena
RomanceEntführt. Sie taten alles, um mich zu finden. Im Glauben daran, dass ich schreckliches erleiden musste. Doch was sie nicht wussten war, dass ich nur von ihm und von niemand anderem sonst gefunden werden wollte. Etwas so falsches, fühlte sich plötzl...