9. Askis und Spiegel

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POV Melina

"Ich bestimme was unmöglich ist!", bellte Cupid. Erschrocken zuckte ich zusammen, noch nie hatte mein Onkel so harsch mit mir geredet. "Aber es geht nicht", maulte ich.

Schon seit mehreren Stunden versuchte er mir das Gedankenlesen beizubringen. Doch ich stellte mich nicht besonders schlau an, schon nach zwei Stunden mit sinnlosen Versuchen hatte ich keine Lust mehr.

Es war so frustrierend wenn man etwas machen sollte und man es aber nicht konnte. Cupid fing wieder an zu schimpfen und ich versuchte genervt ihn zu ignorieren. Meine Gedanken schweiften zum wiederholten male ab zu meinem Bruder und Daryl, ob es ihnen gut ging?

"Melina Sophie Scale! Das hier ist nichts zum Träumen, du..." Cupid riss mich aus meinen Gedanken und war schon dabei loszumeckern, doch ganz plötzlich verstummte er. Gebannt schaute er auf eine Stelle des Schreibtisches. Als ich seinem Blick folgte sah ich, das er auf das Ei sah. Es wackelte hin und her und auf der Schale zeichneten sich schon leichte risse ab.

Fasziniert sahen wir dabei zu wie das kleine Wesen welches sich in dem Ei befand dabei war zu schlüpfen. Das Cupid bis vor zwei Sekunden noch versucht hatte mir das Gedankenlesen beizubringen, war nun vergessen. Gebannt beobachteten wir wie sich die Schale an der Seite wölbte und schließlich aufbrach. Noch nie hatte ich so etwas wunderschönes gesehen. Das Küken war nass. Die Federn waren verklebt und zerzaust, doch sie waren schon vorhanden. Seine Augen waren von einem wunderschönen Rubinrot. Auch wenn die roten Augen etwas befremdlich waren, so sah das Gesamtbild unglaublich faszinierend aus. Das Küken riss sein Schnäbelchen auf und forderte lautstark etwas zu zu essen.

Doch was fraßen Askis überhaupt? Wie sollte das Küken ohne seine Mutter überleben? Und wieso hatte jeder herrschende Engel so einen Aski? Was war so besonders an diesen kleinen, putzigen und doch sonderbar aussehenden Vögeln?

Fragen über Fragen. Mein Onkel beugte sich zu einer der vielen Schreibtisch Schubladen und zog einen davon auf. Darin lag eine kleine rote Dose, die er rausholte und öffnete. Nase rümpfen sah ich hinein. Kleine Mehlwürmer ringelten sich in der Dose. Was eine Tierquälerei. Cupid hielt mir die Dose hin, ein bisschen angewidert nahm ich einen Wurm raus und hielt ihm den kleinen Vogel hin der noch in einem Teil der kaputten Eierschale saß. Gierig schnappte er nach dem Wurm, sobald er in Reichweite war und schlang ihn hinunter.

Neugierig hob ich meinem Finger an und tippte kleinen Vogel mit meiner Fingerspitzen an. Mit einem empörten tschiepen kippte er zur Seite und fiel fast von seinem Kissen. 'Ups das wollte ich nicht!' Eigentlich wollte ich ihn nur streicheln, doch das war für den kleinen Vogel wohl zu heftig. In letzter Sekunde fing ich ihn auf. Beleidigt über meine Grobheit pickte er mir so fest er konnte in die Hand, jedoch tat das nicht wirklich weh, da sein Schnabel noch sehr weich war.

Ohne das ich etwas tun konnte übermannte mich auf einmal ein unbekanntes Gefühl. Das Gefühl auf dieses kleine Wesen aufzupassen egal was es mich kostete. "Ich geh dann mal. Du solltest ein bisschen Zeit mit ihm haben." Ich brachte nicht mehr als ein kurzes "Mhm" raus. Nach einem kurzen Abschied war ich allein. Behutsam setzte ich den kleinen Vogel auf sein Kissen zurück.

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Nachdem der Aski satt und zufrieden eingeschlafen war, lief ich unruhig im Büro auf und ab. Wo diese plötzliche Unruhe her kam wusste ich nicht, doch es fühlte sich absolut nicht gut an. Deshalb versuchte ich um mich davon abzulenken einen Namen für den Vogel. Doch bis auf Mina oder Mio war mir nichts eingefallen was mir gefiel und such diese Namen hatten irgendwie nicht das richtige etwas.

Während ich so auf und ab lief, fiel mir der erste Abend in der Villa meiner Eltern wieder ein. Wie Daryl und ich auf dem Sofa gesessen hatten und die beiden Huskys ihre Namen bekommen hatten. Doch da war mir das irgendwie leichter gefallen, ich musste nicht über den Namen nachdenken, er kam einfach. Vor dem Spiegel blieb ich stehen.

Mein Aussehen kam mir selber so fremd vor. Mittlerweile waren auch meine Haare vollständig ergraut. Ob die anderen mich so direkt wieder erkennen würden? Mir selber kam es so vor als würde mich eine komplett Fremde Person anschauen. Nichts an diesem Spiegelbild kam mir vertraut vor.

Wie würde es wohl sein wenn ich wieder auf die Gruppe treffen würde? Ob sie mich hassen würden weil ich nicht sofort zurück gekommen bin? Oder würden sie sich freuen mich wieder zusehen? Das schlimmste das ich mir vorstellen konnte war, das es ihnen einfach egal war ob ich da war oder nicht. Automatisch krampfte sich mein Herz zusammen. Nein! Es wäre ihnen nicht egal, Chris, Rick, Carol, Sasha, Daryl... Alle wären froh mich wieder zu sehen.

Daryl. Meine Gedanken blieben bei ihm hängen. Wie es ihm wohl gerade ging? Noch immer blickte ich mein eigenes Spiegelbild an. Doch das Bild veränderte sich auf einmal. Es schlug Wellen, wie Wasser wenn man einen Stein hinein warf. Ganz langsam verschwamm mein Spiegelbild und gab den Blick auf ein anderes Bild frei. Ich erkannte am Anfang nur weiß und etwas Braun, es war wie als ob Nebel darüber liegen würde. Jedoch verzog sich dieser Nebel bald und das Bild klärte sich. Was ich dort erkannte ließ meinen Atem Stocken.

Blau. Diese wunderschönen blauen Augen würde ich überall wiedererkennen. Auch wenn sie jetzt nicht mehr so strahlten wie früher. Sie waren verhangen und leicht trüb und sein Kastanienbraunes Haar war stumpf. Schon vorher war an ihm kein Gramm Fett gewesen, nun wirkte er als hätte er abgenommen. Ich legte meine Hand auf seine Wange, sie wirkte leicht eingefallen, doch meine Hand berührte nur das kalte Glas. Ich würde alles geben um nun bei ihm zu sein. Langsam rollte mir eine Träne über die Wange.

Ihn so zu sehen schmerzte einfach unendlich. Er sah so unglaublich zerbrechlich aus. Alles in mir verzehrte sich nach seiner Nähe. Ich wollte ihn trösten, ihm zeigen das ich da war. Ich wollte mich an seine Brust drücken und seine Lippen auf meinen spüren.

Plötzlich spürte ich wie ich von dem Spiegel angezogen wurde. Wie ein Staubsauger der im Begriff ist eine Spinne einzusaugen. Ein wenig ängstlich schloss ich die Augen, doch ich ließ es geschehen. Vielleicht würde es mich auf den direkten weg zu ihm bringen.

The Angel Who Watches Over MeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt