Aller Abschied ist schwer

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Ich lag zusammengekauert in einer Ecke meines leergeräumten Zimmers.

Tausende Gedanken schwirrten mir durch den Kopf. Fragen über Fragen türmten sich auf, so das es schon schmerzte. Doch das schlimmste war die immer geringer werdende Hoffnung auf Antworten.

Ich saß schon seit Sunden auf der selben Stelle. In dieser vermoderten Ecke meines Zimmers in der sich schon vor Jahren Schimmel gebildet hatte. Doch es war mir bis heute nie aufgefallen. Aber jetzt wo mir sein beisende Geruch die Tränen in die Augen trieb war es schwer ihn zu ignorieren.

Ich versuchte die Tränen zurückzuhalten. Der Trauer nicht nachzugeben. Stark zu sein, so wie sie es mir immer beigebracht hatten. Doch jetzt war es schwerer als je zuvor.

Der einzigste Grund dafür das ich es schafte keine Träne zu vergießen war die Tatsache das ich Stark sein wollte.Ich musste stark sein, für ihn. Er würde noch größeren Verluste erleiden müssen als ich. Ich durfte nicht weinen. Ich durfte ihm nicht noch mehr sorgen bereiten als er ohnehin schon hatte.

Ich hielt die Augen geschlossen um den Tränen keinen Weg nach draußen zu bieten.

Für Außenstehende sah ich wahrscheinlich wie jemand aus der nicht mehr alle Tassen im Schrank hatte. So wie ich hier saß und immer wieder den gleichen Satz vor mich hin murmelte. Ein Satz der mir schon seit Stunden durch den Kopf schwirrte und einfach nicht verschwinden wollte.

"Wie konnte es so weit kommen?"

"Wie konnte es so weit kommen?"

flüsterte ich immer zu vor mich hin und ich hatte immer noch keine Antwort darauf.

Wie ich es hasste keine Antworten zu bekommen! Doch im laufe meines Lebens hatte ich mich daran gewöhnen müssen.

In meinen Gedanken versunken flüsterte ich wieder diesen kleinen unbedeutenden Satz der mir so Kopfschmerzen bereitete.

"Wie konnte es so weit kommen?"

"Wie konnte es so weit kommen?" .......................

"Ich weiß es nicht."

Die verweinte, doch ruhige Stimme meiner Mutter lies mich aufschrecken. Sie stand im Türrahmen meines Zimmers und zwang sich ein Lächeln auf die Lippen. Ihre tiefen Augenringe und die roten, glanzlosen Augen verrieten mir das sie geweint hatte. Ich hatte meine Mutter noch nie so zerstört gesehen. Normalerweise sprühte sie nur so vor Lebenslust aber heute war sie nur ein trostloses Stück elend. Es tat weh sie so zu sehen. Ich wollte sie in den Arm nehmen, ihr über die Haare streichen und ihr sagen das alles wieder gut wird. Doch als ich versuchte mich aus meiner verschränkten Stellung zu erheben, gaben meine Beine nach und ich sackte wieder zusammen. Ich konnte nicht aufstehen. Ich war zu schwach.

"Das hat man davon wenn man seit Tagen nichts gegessen hat."

verspottete mich mein Gewissen. Es hatte recht. Meine letzte Mahlzeit war Tage her. Denn seit dem die schlimme Nachricht unser kleines abgelegenes Dorf erreicht hatte, bekam ich keinen Bissen mehr runter. Diese Nachricht die das Leben, so wie ich es kannte, von jetzt auf gleich voll und ganz zerstörte.

Leise Schritte rissen mich aus meinen Gedanken. Sie kamen von meiner Mutter die sich vom Türrahmen entfernt hatte, auf mich zu kam und sich neben mich hockte. Ich hörte ihren unruhigen Atem und wie sie ansetzte um etwas zu sagen aber dann doch abbrach. Ich schloss meine Augen wieder und drehte meinen Kopf weg, um ihr nicht ins Gesicht sehen zu müssen. Ansonsten wäre ich womöglich in Tränen ausgebrochen.

Plötzlich spürte ich zwei Arme die sich um meinen Körper schlangen. Im Normalfall hätte ich mich gegen diese Umarmung gewehrt, doch jetzt grade gab sie mir das Gefühl von Geborgenheit. Es fühlte sich an als würden die Arme meiner Mutter mich beschützen vor dem was außerhalb meines Zimmer vor sich ging. Als könnte nichts dieser schrecklichen Dinge an mich herankommen. Wir hatten alle viel veloren aber aus irgendeinem Grund konnte ich damit am wenigsten klarkommen.

So verharrten wir in dieser verschränkten Haltung bis es sich schon anfühlte als wären Stunden vergangen. Es herrschte Totenstille. Das einzigste was man hören konnte waren das peitschen der Weide vor unserem Haus. Ich lauschte dem säuseln des Windes bis meine Mutter das schweigen brach.

"Er ist da und wartet vor dem Haus auf dich um sich zu verabschieden."

damit sprach sie die Worte aus vor denen ich mich so fürstete. Ich wusste das es früher oder später so weit ist aber das machte es nicht einfacher. Abschied war nie schön aber auf eine Art wie diese war es einfach nur brutal. Nein, das Wort "brutal" konnte die Tatsache das mir der wichtigste Mensch auf Erden genommen wird nicht mal annähernd beschreiben.

Ich befreite mich aus der Umarmung meiner Mutter und zog mich an meinem Schreibtisch hoch, welcher neben meinem Bett das einzigste war was von meinem Zimmer noch übrig geblieben ist. Auf wackligen Beinen verlies ich das Zimmer und lies meine Mutter in diesem zurück. Ich ergriff das Geländer der Treppe und stieg die hölzernen Stufen hinab. Es fühlte sich an als würde ich meinen gang zum Galgen antreten.

Mit zitternder Hand ergriff ich die Klinke unserer Haustüre und drückte sie runter. Sie sprang sofort auf und mir wehte der kalte Frühlingswind ins Gesicht. Wir hatten Mitte März und es war für diese Zeit schon relativ warm, aber immer noch zu kalt um ohne Jacke aus dem Haus zu gehen.

Doch das war mir egal. Weshalb ich auf Socken und ohne Jacke unsere Veranda betrat. Mein Blick schweifte durch unsere Nachbarschaft. Kein Mensch war zu sehen, kein Auto fuhr die Straße entlang und keines der vielen Häuser war bewohnt. Sie waren alle weg. Weggegangen, nachdem auch ihnen diese schreckliche Nachricht zu Ohren gekommen war. Wir waren die letzten. Aber nicht mehr lang.

Mein Blick streifte den alten Spielplatz auf dem mein Bruder und ich den größten Teil unserer Kindheit verbracht hatten.

Das Haus auf der gegenüberliegenden Straßenseite in dem mein bester Freund noch bis vor kurzem gewohnt hatte.

Und zum Schluss blieb er an der alten Weide vor unserem Haus hängen auf der wir als Kinder geklettert sind und uns vorstellten wir währen Menschen die in den Bäumen lebten.

Dort stand er und lehne sich an den Stamm des großen Baumes. Ein warmherziges lächeln umspielte seine Lippen, so wie ich es schon lange nicht mehr gesehen hatte. Erst zögernd, doch dann immer schneller rannte auf ihn zu und schmiss mich in seine Arme. Ich liebte seine Umarmungen. Sie gaben mir ein Gefühl von Geborgenheit. Meinen Kopf vergrub ich in seiner Schulter und für einen kleinen Moment fühlte ich mich glücklich. Die Welt um mich herum war wie ausgeblendet. Ich erwachte erst wieder als ich merkte das er leise vor sich hin sprach.

".........Ich werde dich so unendlich vermissen......... Ich kann nichts daran ändern das ich gehen muss, aber ich wünschte ich könnte es........... Du bedeutet mir so unendlich viel und jetzt werde ich dazu gezwungen dich zu verlassen...Du wirst das alles durchstehen. Für mich. Wir werden uns wiedersehen.......Es wird alles gut werden. Versprochen."

Seine sanften Stimme fand ihren weg in mein Ohr und sie verriet mir das er mit den Tränen kämpft. Meine Kehle war wie zugeschnürt. All die Gefühle die sich in den letzten paar Tagen aufgestaucht hatten drangen jetzt an die Oberfläche. Mein Blick wurde langsam aber sicher mit jedem Wort das über seine Lippen kam verschwommener. Bis das mir heiße, salzige Tränen die Wangen runterliefen. Ich versuchte ihm zu Antworten aber bekam kein Wort raus, weshalb ich nur leicht nickte.

"Bitte weine nicht meine Süße."

Seine Hand legte sich auf meine Wange und mit Hilfe seines Daumens wich er mir die Tränen weg.

Er nahm mich noch einmal feste in den Arm. Gab mir einen Kuss auf die Stirn und nachdem er mir noch ein letztes Mal tief in die Augen sah, drehte er sich um und ging in Richtung des braun-grün gemusterten Geländewagens welcher vor unserem Haus parkte. Er ging zum Kofferraum, lud sein Gepäck ein und bevor er ins Auto stieg drehte er sich noch einmal zu mir um. Er schenkte mir ein lächeln und stieg dann ins Auto ein um sich auf den Weg zu seinem Stützpunkt an der Grenze des Landes zu machen. Dort würde er ab heute für unser Land dienen und im Krieg kämpfen so wie alle Männer die älter als 25 waren.
Ich stand nun ganz alleine unter der Weide in unserem Vorgarten und konnte nicht glauben das das wirklich die Realität war.

"Ich werde dich vermissen, Dad."

Flüsterte ich noch, in die Stille welche mich umgab, bevor ich mich umdrehte und zurück ins Haus ging.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Apr 03, 2018 ⏰

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