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Nervös warf Hermine einen Blick zurück, doch sie blieb nicht stehen. Sie dachte, da wäre etwas, doch sie hatte sich anscheinend geirrt. Da war nur die dunkle, schwere Schwärze der Nacht, sonst nichts. Kein Schatten, keine Gestalt, nur die Dunkelheit. Mit schnellen Schritten eilte sie durch die Gasse, das Klacken ihrer Schuhe hallte von den großen grauen Betonwänden wieder. Sie konnte sich nicht erklären, warum sie dort etwas, einen Schatten, gesehen hatte - sonst hatte sie auch keine Angst in der Dunkelheit. Umso mehr besorgte sie, dass sie plötzlich welche verspürte.

Die Nacht war kalt, sie zog ihren Mantel enger und kein Mondlicht erhellte den steinernen Weg, er wurde von dunklen Wolken verdeckt. Ihr ganzer Körper war angespannt und wartete nur auf irgendein Zeichen, um entweder zu kämpfen oder zu fliehen. Hermine wusste nicht warum, doch dieses Gefühl der Unwissenheit hatte sie beschlichen und sie konnte es nicht abschütteln, so sehr sie es auch versuchte. Sie fühlte sich, als wäre sie in einem schlechten Krimi das naive Opfer, welches jeden Augenblick umgebracht werden würde.

Ihr Gehirn fand für die Unwissenheit, die Angst keine Erklärung und genau das ängstigte sie noch mehr. Noch nie hatte ihr Gehirn sie im Stich gelassen, immer hatte sie sich darauf verlassen, darauf vertrauen können. Lies es sie jetzt etwa im Stich?

Hinter ihr regte sich etwas, sie konnte es hören, doch sie drehte sich nicht um und ging stur weiter, die Arme um den Körper geschlungen. Eine leise Vorahnung beschlich sie und jagte ihr eine Gänsehaut ein, die dafür sorgte, dass sich alle Härchen auf ihrem Körper steil aufstellten.

Schritte erklangen hinter ihr.

Hermine presste die Lippen zusammen und zwang sich, nicht stehen zu bleiben und sich umzudrehen. Wenn sie nur schnell genug wäre, könnte sie dem, was ihr anscheinend bevorstand, vielleicht entgehen...

Die Schritte schienen sie zu verfolgen und sie war sich ganz sicher, dass genau hinter ihr eine Gestalt war, die nichts gutes im Sinn hatte. Alle Alarmglocken in ihrem Körper schrillten und brüllten sie an, flehten beinahe, zu rennen, so schnell sie konnte. Doch ihre Beine fühlten sich wie betäubt an, nur schwer konnte sie ihr schnelles Tempo beibehalten. Noch immer versuchte ihr Gehirn, ihr einzureden, dass sie sich das alles nur einbildete, doch Hermine wusste, spürte mit jeder einzelnen Faser ihres Körpers, dass das nicht wahr war.

Es war garnicht so ungewöhnlich, jeden Tag wurden unzählige Menschen überfallen, gefoltert und ermordet, die Chance, dass sie die Nächste sein könnte, war gar nicht so gering. Und doch hoffte sie unbewusst, dass sie sich irrte, dass sie es nicht besser wusste und sie sich alles nur einbildete...

Wieder wagte ihr Gehirn einen Versuch, sie zu beruhigen, doch wieder war es vergeblich. Auch wenn Ruhe bewahren das Klügste in dieser Situation war, konnte sie es nicht. Die Unruhe, die von ihr Besitz ergriffen hatte, nagte an ihr und quälte sie gnadenlos.

Am liebsten würde sie rennen, doch sie konnte nicht.

Am liebsten würde sie schreien, doch sie durfte es nicht.

Am liebsten würde sie aufwachen, doch sie war nicht in der Lage dazu.

Denn es war kein Traum. Es war Realität.

Hermine war dankbar dafür, dass ihre Sinne die Situation, in der sie sich unweigerlich befand, so schnell erfasst hatten. Doch gleichzeitig verdammte sie jene, denn sie wusste unterbewusst, dass sie keine Chance hatte. Der Zauberstab steckte in ihrem Schuh, ihre Kleidung hatte keine Taschen. Ihre Sinne warnten sie und wollten sie gleichzeitig zu einem unnützen Versuch anstiften, flüsterten ihr ein falsches Gefühl der Hoffnung ein.

Sie ging weiter, setzte mühsam einen Fuß vor den anderen und versuchte, eine selbstbewusste Haltung, eine Fassade, die ihre Angst versteckte, aufzubauen, während die Schritte hinter ihr weiter auf dem schmutzigen Stein erklangen, sich dem Takt ihrer perfekt anpassten.

Plötzlich wurden jene lauter und sie spürte, wie sich ihr jemand von hinten näherte. Ihr Atem, der vorher schwer und laut gekommen war, kam nun stoßweise. Panisch drehte sie sich um - und sah in das Gesicht einer Maske. Sie war weiß, zog sich bis zum Mund und ließ nur zwei kleine Schlitze für die Augen übrig, welche in der Dunkelheit der Nacht schwarz zu sein schienen und ebenfalls zwei für die Nase. An den Seiten war sie mit einem roten Muster verziert - blutrot.

Die Hände der Person schossen vor und versetzten ihr einen Schlag ins Gesicht. Hermines Kopf wurde zur Seite geschleudert und ihre Wange pochte schmerzhaft und brannte ob der Gewalt. Noch bevor sie Zeit hatte, ihren Stab aus dem Stiefel zu holen, spürte sie kaltes Metall und gleich danach einen noch schlimmeren Schmerz auf ihrer Stirn. Etwas heißes tropfte ihr ins Auge und sie wusste, was es war - Blut.

Ihre Stirn brannte, als wollte sie zerspringen und ihre Gedanken ließen keinen Platz mehr für anderes übrig, konzentrierten sich einzig und allein auf den Schmerz, ohne, dass sie etwas dagegen tun konnte. Angst und Verzweiflung, wie sie sie noch nie gespürt hatte, stiegen in ihr auf und trieben ihr die Tränen in die Augen.

Keuchend blinzelte sie und sah auf - als der Täter ihr beide Hände um den Hals legte und zudrückte. Hermine spürte, wie sie keine Luft mehr bekam und röchelte. Ihre Panik mischte sich mit dem Schmerz, mit dem Blut und drohte, sie zu ersticken. Sie hatte keinen Platz mehr, wurde erdrückt, spürte nur noch die Pein auf ihrer Stirn und die scharfen Fingernägel, die sich in ihr Fleisch gruben und es aufrissen.

Es war kein Traum, kein Alptraum, aus dem sie aufwachen konnte. Es war die pure Wahrheit, der sie nicht entfliehen konnte.

oOoOoOo

Grinsend sieht er auf die reglose Person vor ihm auf dem Boden hinab. Ihre Haut ist blass, die Lippen blutrot, die braunen Locken um das Gesicht verteilt. Ihre Augen sind geschlossen, dafür aber die vollen Lippen leicht geöffnet. Die Arme sind zu beiden Seiten ausgestreckt, die Beine angewinkelt, ihre Brust hebt und senkt sich regelmäßig.

Eine Wunde ziert ihre Stirn, Blut tropft in ihr linkes Auge. Er beugt sich hinunter und sucht ihre Kleidung ab, bis er schließlich einen braunen Zauberstab aus ihrem rechten Stiefel hervorzieht. Nun kann sie sich nicht mehr wehren, wenn sie erwacht.

Er richtet sich auf, atmet tief ein und genießt das Gefühl der Macht. Oh, diese Süße der Vergeltung! Darauf hatte er zehn Jahre gewartet. Zehn verdammte Jahre, in denen er nichts tun konnte und jede einzelne Stunde gezähl hat, die verstrichen ist.

Doch nun würde er es tun: sich dafür rächen, was ihm vor über einem Jahrzent angetan wurde.

Tortured [Abgebrochen]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt