1. November 2015

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Mein Handy reißt mich aus meinem Nickerchen. Ach ja, mein Date mit Vanessa. Das habe ich ja total vergessen! Müde stehe ich auf und beende den Alarm meines Handys und schaue mich erstmal etwas um. Im Spiegel erkenne ich meine dunkelblonden zerzausten Haare. Wie soll ich die auf die Schnelle nur in den Griff bekommen? Ich schnappe mir mein Gel aus dem Badezimmer und versuche meine Haare relativ ordentlich aussehen zu lassen. Und das mit Erfolg. Zum Glück! Ich ziehe mir meine Schuhe an und meinen schwarzen Mantel. Draußen sind es nur ein paar Grad, aber bald soll es wieder ein wenig wärmer werden. Allerdings zieht der Wind durch die Straßen und zerstört womöglich gerade meine Frisur. Ich laufe etwas schneller. Vanessa mag es nicht, wenn ich zu spät komme, was ich durchaus verstehen kann. Es ist einfach unhöflich.

Ich biege noch einmal um die Ecke, bevor ich vor einem griechischen Restaurant stehe, auf das der Ausdruck „klein, aber fein" hundertprozentig zutrifft. Und außerdem bevorzuge ich bei einem Date die vornehme griechische Esskultur, anstatt die üblichen deutschen Gerichte zu bestellen.

Als ich das Restaurant betrete und meine Jacke an die Garderobe hänge, fällt mir bei einem Blick auf die Uhr auf, dass ich tatsächlich zu spät bin. Es sind zwar nur fünf Minuten, aber diese fünf Minuten können sich sehr lange ziehen, wenn man wartet. Vanessa sitzt bereits an dem Tisch, den ich reserviert habe, und schaut sich gelangweilt um.

„Hallo, Schatz", begrüße ich sie und küsse sie kurz, bevor ich mich auf meinen Platz setze. „Es tut mir leid, dass ich zu spät bin." Eine Erklärung wüde jetzt eh nichts bringen.

„Das ist schon in Ordnung", lächelt sie.

Sie hat eindeutig gute Laune. „Also, was habe ich Spannendes verpasst, sodass du so lächeln musst?" Ein Lächeln steht ihr wirklich gut, aber sie lächelt viel zu selten. Doch heute strahlt sie mich regelrecht aus ihren grauen Augen an, Sterne funkeln darin und zwingen ihren Mund zu einem stärkeren Lächeln, sodass sie ihn schon fast öffnet. Sie kriegt keinen Ton heraus und wenn sie mich weiterhin so anstrahlt, wird sie bald anfangen, vor Lächeln zu weinen.

„Die Zusage ist heute angekommen. Sie haben schon eine Familie für mich gefunden, wo ich dann wohnen kann. Ich möchte in ein paar Tagen mit ihnen skypen. Liam, ist das nicht aufregend? Ich darf nach Kanada!" Sie erzählt es mit so einer Freude, wie ich es noch nie bei ihr erlebt habe, sodass ich mich einen Moment lang richtig für sie freuen kann. Sie hat sich so viel Mühe für ihre Bewerbung gegeben und sowieso seit Jahren von Kanada geschwärmt, dass jeder ihr dieses Auslandsjahr gegönnt hätte. Aber mein Lächeln verschwindet sofort, als ich ihre Worte realisiert habe.

„Du willst ein Jahr lang weg? Ich kann dich nicht besuchen kommen", spreche ich meine Gedanken aus.

„Liam, ich dachte das hätten wir geklärt", argumentiert sie. Und sie hat Recht. Deswegen haben wir schon öfter gestritten.

„Da blieb mir aber wenigstens die Hoffnung, du würdest nicht angenommen werden."

„Du hast es gehofft? Ich dachte, du würdest dich freuen." Ihre strahlenden Augen wirkten hasserfüllt und gleichzeitig so traurig. Enttäuscht. Und sofort bereute ich meine Wortwahl.

„Nein, so meinte ich das gar nicht. Ich will einfach nur, dass wir zusammen bleiben können, verstehst du? Ich kann mir ein ganzes Jahr ohne dich nicht vorstellen", erkläre ich. Vanessa schaut mich gedankenverloren an, als der Kellner die Stille unterbricht, sie aus den Gedanken und mich aus meinem Hoffen reißt.

Ich bestelle für uns einen Wein. Vielleicht lockert sich dann die Stimmung. Der Kellner verschwindet wieder und Vanessa und ich schweigen erneut. Dieses Mal schaut sie allerdings an mir vorbei, die Stirn konzentriert in Falten gelegt.

„Wir werden mal schauen", flüstert sie, kaum hörbar. Vier Worte, die soviel bedeuten wie „Ich lebe mein Leben und du fügst dich am Besten artig." Ich nicke nur. Ich will diesen Abend nicht zerstören, wo wir eh in letzter Zeit aufgrund meiner Arbeit wenig zusammen unternehmen konnten.

„Es tut mir leid, wie ich reagiert habe. Ich sollte mich wirklich für dich freuen, was ich ja auch eigentlich tue. Und außerdem haben wir noch ein paar Monate Zeit zusammen." Positiv denken, Liam. Sonst wird alles nur schlimmer.

„Ja, wir können noch so viel in den nächsten Monaten machen und wenn ich weg bin, können wir skypen oder telefonieren", schlägt sie vor, mir gleichzeitig erklärend, dass sie sich bereits entschieden hat und ich wohl oder übel ohne sie auskommen muss. Ich versuche diese Erkenntnis zu überspielen und mir erstmal nichts dabei zu denken.

„Wann fliegst du denn?", frage ich stattdessen.

„Wenn heute der erste November ist, in genau 10 Monaten und einem Tag."

Gut. Zweiter September. Bis dahin muss ich ihr meine Liebe bewiesen haben, damit sie nicht fährt. Mir hängt zu viel an ihr. Anfangs war es nicht leicht, sie für mich zu gewinnen, aber ich habe um sie gekämpft und bin wirklich glücklich mit ihr.

Ich hole mich selbst wieder zurück in die Realität und nicke schnell. Ich möchte jetzt einfach die wenige Zeit genießen, die wir haben. Als könne sie meine Gedanken lesen, wechselt sie das Thema.

„Wie läuft es mit der Arbeit?", fragt sie und zwingt sich zu einem Lächeln. Einem falschen Lächeln. Auf dieses Gespräch habe ich definitiv keine Lust mehr.

„Hervorragend. Ich habe heute nochmal mit Frau Doyle gesprochen. Vielleicht werde ich schon bald befördert", antworte ich und zwinge mich ebenfalls zu einem Lächeln, aber so deutlich, dass ihr sofort bewusst wird, dass ich sie durchschaut habe. Unruhig rutscht sie ein bisschen auf ihrem Stuhl herum und überlegt, was sie sagen könnte, doch ich komme ihr zuvor.

„Kommst du später noch mit zu mir?"

Sie nickt sofort. „Gerne." Gelassen streicht sie sich eine Haarsträhne hinter das Ohr und schaut mich mit ihren grauen Augen an. Der Kellner rettet die Situation ein wenig, indem er uns den Wein eingießt.

„Kann ich Ihnen schon die Speisekarte reichen?"

„Nein danke. Wir geben Ihnen gleich Bescheid", antworte ich höflich und warte darauf, dass er verschwindet. Anschließend lege ich meine Hand auf Vanessas, die sie zuvor auf den Tisch gelegt hat. Sie lässt mich einfach machen und zwingt sich zu einem Lächeln. Wahrscheinlich ist dies ihre Taktik, mich umzustimmen. Hat sie schon mal darüber nachgedacht, dass es mich so nur noch mehr verletzt? Ich werde sie nicht so leicht gehen lassen.

„Liam, bitte. Du weißt, wie lange ich schon von Kanada träume. Und ich habe es endlich geschafft, meinen Vater zu überreden, dass er die letzten Tausender auch noch bezahlt. Das ist meine große Chance. Mach mir das doch nicht kaputt", greift sie das Thema wieder auf. Ich seufze und gieße uns beiden etwas Wein ein. Ich möchte jetzt nicht darüber reden. Für mich steht fest, dass ich um sie kämpfen werde.

„Prost", wechsele ich geschickt das Thema und halte mein Weinglas hoch. Ihr scheint es nicht zu gefallen, dass ich nicht weiter auf ihr Thema eingegangen bin und kneift kurz ihre Lippen zusammen. Doch ich weiß genau, dass ich der König bin, denn ich bin noch nicht auf ihrer Seite, was ihr Auslandsjahr betrifft. Und deshalb tut sie jetzt alles was ich will. Normalerweise tut sie das selten. Sie macht es lieber einfach so, wie sie es gerne hätte. In diesem Falle würde es aber zu weit gehen. Wir waren über anderthalb Jahre zusammen. Sie könnte jetzt nicht einfach gehen.

„Prost", stößt sie schließlich doch hervor. Eine Spitze scheint von ihrem imaginären goldenen Krönchen abgebrochen zu sein. Wir stoßen an.

Angetrunken erreichen wir meine Wohnung. Vanessa klammert sich an meinem linken Arm fest, während ich versuche, mit dem Schlüssel in der rechten Hand das Schlüsselloch zu treffen. „Liam", grinst sie. „Ich will dich."


Don't you leave me lonelyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt