Von Proletariern mit Schwanzverlängerung und 1000PS

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Die Zeit mit Joonas im Studio verging wie im Flug. Er hatte wirklich Ahnung, von dem was er tat und wir hatten eine Menge Spaß zusammen. Das wir teilweise bis spät in die Nacht arbeiteten macht uns beiden überhaupt nichts aus und Joonas hatte sichtlich Spaß bei der Arbeit und die Band, die Alex mir aus LA geschickt hatte war toll. Die Jungs waren alle sehr nett und freuten sich in Europa arbeiten zu können. Joonas und ich hatte ihnen ein wenig die Stadt gezeigt und waren das ein oder andere Mal zusammen mit ihnen feiern gewesen. Von Samu hatte ich nichts mehr gehört und ein wehleidiger Blick in den Tourplan verriet mir, dass er aber wohl in Helsinki sein musste, wenn er nicht zwischendurch irgendwo in die Sonne geflogen war. Ich konzentrierte mich einfach auf die Arbeit, tat was ich konnte und skypte jeden Tag mit Alex, um mich mit ihm über die Aufnahmen auszutauschen. Er freute sich, dass ich so Feuer und Flamme für den Job war und das Desaster mit Samu in den Hintergrund gerückt war.
„Montag und Dienstag kann ich nicht kommen." Meinte Joonas und lehnte sich mit seinem Kaffee im Sessel hinter dem Pult zurück. „Da bin ich auf einem Festival in Turku und mache da den Ton. Mittwoch bin ich wieder hier und dann ziehen w die Woche durch. Kriegen wir das hin?"
Turku. Ich wusste, dass Sunrise Avenue am Dienstag dort einen Gig hatten und war froh, dass die Zeit es nicht zuließ auf dumme Gedanken zu kommen. Obwohl ich Samu gern gesehen hätte, wusste ich, dass es mich um Wochen zurückwerfen würde.
„Kein Problem. Wenn du mir das bis dahin alles einstellst, krieg ich das ohne Probleme hin."
„Mach ich. Kein Thema."
Ich hielt mich zurück mit Fragen über seinen Job dort und verdrängte auch am Tag des Konzerte den Gedanken immer wieder.
Bis Joonas am Mittwoch zurückkam und von seinen 2 Tagen dort berichtete.
„Waren ein paar coole Bands dabei. Aber ich hab auch viel Quatsch gesehen."
„Zum Beispiel?"
„Ich sag jetzt besser nicht." Grinste er.
„Weiso?"
„Samu Haber war doch letztens hier im Studio. Seid ihr Freunde oder so?"
„Nein. Nicht direkt."
„Aber ihr habt mal zusammen gearbeitet."
„Ja. Vor vielen Jahren mal."
„Also ich hab mir die Show von Sunrise Avenue angesehen und das war totaler Schrott. Was für ein flacher Scheiß. Die Texte sind seichtes Geschmalze und der Kerl singt mit Autotunes. Aber bis zum Anschlag."
„Damit wäre er wohl nicht der einzige."
„Das mag sein. Aber was er sich da zusätzlich auf seiner Gitarre zusammenschrammelt... Naja. Ich habe schon besseres gesehen."
„Er ist ja jetzt vielleicht auch nicht unbedingt Gitarrist. Den Job macht da ein anderer."
„Ja und der war auch gut. Weiß gar nicht, was der in der Band da zu suchen hat."
„Die sind Freunde. Meinst du Riku nimmt seine Gitarre und sagt „Samu, du bist ein schlechter Gitarrist, ich geh woanders hin."?"
Ich musste grinsen.
„Die Texte sind auch totaler Quatsch."
„Nicht unbedingt alle." Gab ich leise zurück.
„Bye bye Hollywood Hills, I'm gonna miss you wherever I go? Sehr lyrisch. Das krieg ich auch noch hin. Wo ist mein verdammtes 4er Caprio?"
Ich biss mir auf die Zunge und sah wieder aufs Pult. Musste er sich jetzt ausgerechnet diesen song rauspicken und darauf rumreiten?
„Der war mir schon direkt unsympathisch als er mit seiner 1000PS-Schwanzverlängerung auf dem Parkplatz vorgefahren ist."
„218."
„Was?"
„218 PS."
„Im Studio hat er ja noch ganz nett gewirkt, da hab ich allerdings auch zu spät geschnallt, wer das war. Jedenfalls fuhr er dort mit seiner dicken Karre vor. Dach auf, Sonnenbrille, Kaugummi im Mund, laute Musik von James Brown und stolzierte mit seiner hässlichen, schwarzen, proletenhaften Ballonseidenjacke über den Platz. Wie son Gockel. Als hätte die Welt nur auf ihn gewartet."
„Er fährt mit seinem eigenen Wagen knapp 1,5 Stunden zu einem Auftritt. Finde ich jetzt erstmal relativ bodenständig. Da wird niemand eingeflogen oder mit ner Stretch-Limo chauffiert."
„2 Stunden."
„Was?"
„Nach Turku fährt man 2 Stunden."
„Glaub mir, er hat nur 1,5 gebraucht."
Joonas sah mich fragend an, redete aber weiter.
„Jedenfalls ist das echt n eigenartiger Typ. So proletenhaft und er wirkte arrogant, wie er da über den Platz schlich und Kaugummi kaute. Immer das Iphone in der Hand, als würde die Welt sich um ihn drehen."
Ich musste grinsen und versank etwas in Gedanken. War Samu prollig? Ja. Manchmal schon, aber das durfte man nicht so ernst nehmen. Er lachte darüber selbst am lautesten. Wahrscheinlich hatte er die ganze Fahrt über wie ein Junge auf dem Sitz gewippt, mitgesungen, auf dem Lenkrad getrommelt und sich gefreut, genug Zeit zu haben mit dem Wagen selbst zum Konzert zu fahren. Auf den ersten Blick wirkte er vielleicht etwas arrogant, wenn er mit dem Wagen dort vorfuhr. Manchmal war das sicher auch von ihm provoziert. Aber auch darüber lachte niemand so laut wie Samu selbst.
„Ich bin in LA auch einen Range Rover gefahren. Trotzdem sitzt du hier mit mir und zerreißt dir nicht das Maul darüber. Du tust so, als sei dem das allen in den Schoß gefallen. Der hat auch für sein Geld gearbeitet und da gehört ein wenig mehr zu, als „Hollywood Hills" auf der Gitarre zu schrammeln."
„Stehst du etwa auf die Songs?" fragte er empört.
„Ich kenne die Jungs aus der Band alle und ich weiß, dass keiner von denen ein prolliger Arsch ist, dem irgendetwas in den Schoß fällt."
„Samu fällt sicher so einiges in den Schoß, so wie die Weiber sich nach dem umgedreht haben oder vor der Bühne abgegangen sind." Lästerte er.
Langsam war ich tatsächlich etwas angesäuert. Ich fühlte mich irgendwie gezwungen die Jungs und gerade Samu zu verteidigen. Er war weder arrogant, noch ein schlechter Mensch. Was ihm in den Schoß fiel und was nicht, wollte ich gerade gar nicht wissen und hoffte, dass Joonas mir da nicht noch andere Dinge eröffnete. Die Vorstellung Samu mit einer anderen zu sehen, würde mich schneller auf den Boden der Tatsachen zurückholen, als mir lieb war.
„Erstens ist hier auch ein Weib anwesend und zweitens haben wir keine Zeit uns über Mainstream-Musik zu streiten. Schlechte Musik hat sich schon immer gut verkauft."
„Du findest den Kram also auch Scheiße."
„Wenn du wüsstest." Dachte ich. Ich kannte jeden verdammten Song und hatte den ein oder anderen mehr als einmal in der Rohversion aus dem Wohnzimmer mitten in der Nacht gehört, wenn ich aufgewacht war und Samu zugehört hatte. Eine Sache, die mir unendlich fehlte. Nachts aufzuwachen und ihm zuzuhören. Das war ein Stück Zuhause. Manchmal war ich aufgestanden, hatte mir was zu trinken geholt, mich zu ihm aufs Sofa gekuschelt und war dort wieder eingeschlafen, bis Samu mich irgendwann wieder mit ins Bett genommen hatte. Es hatte ihn nie gestört, dass ich zuhörte und ich glaube er hatte diese Vertrautheit genauso genossen wie ich. Oft hatte er versucht leise zu spielen, bis ich ihm irgendwann gesagt hatte, dass es mich nicht störte und ich es sogar schön fand ihm zuzuhören. In den letzten Wochen hatte ich oft darüber nachgedacht, wie sehr mir das fehlte, wenn ich nachts im Bett lag und nicht schlafen konnte. Die CD mit der ersten Version von „Hollywood Hills", die er damals auf dem Balkon aufgenommen hatte, lag zu Hause in einer Schublade. Ich hatte es bisher nicht übers Herz gebracht sie anzuhören. Zu viele Erinnerungen. Zu viel Schmerz. Vielleicht würde ich sie heute mal rausholen.
„Ich finde es nicht Scheiße. Natürlich ist nicht jeder Song meins und auch nicht jeder mein Stil, aber die haben halt auch ihre Daseinsberechtigung und haben dafür hart gearbeitet. Dich findet bestimmt auch nicht jeder geil."
„Hallo? Mich?"
Er deutete an sich herab.
„Wer sagt denn dazu „Nein"?"
„Ich weiß nicht. Was sagen die Frauen denn so?"
„Ja, was sagen sie denn?", er sah mich grinsend an.
„Du bist n Spinner."
„N hübscher Spinner. Mit sehr viel Charme."
„Das streite ich nicht ab."
„Siehst du?"
„Und wo ist die Frau die sich in deinem Licht sonnt?" lachte ich.
„Im Moment werfe ich nur Schatten und verteile nur ab und zu ein paar Sonnenstrahlen."
„Too much information."
Joonas lachte.
„Ach komm. Du bist sicher auch kein Kind von Traurigkeit und das es da im Moment keinen Kerl gibt, habe ich schon rausgehört."
„Nein. Gibt es nicht. Will ich derzeit auch gar nicht."
„Das klingt nach einem gebrochenen Herzen."
„Ja. Das kann man so sagen. Geht vorbei."
„Noch frisch?"
„So etwa 6 Wochen."
„Autsch."
„Ja. Autsch."
„Seit wann bist du hier?"
„5 Wochen."
„Uuuuh. Da muss man ja nur 1 und 1 zusammenzählen."
„Das heißt?"
„Das er in LA geblieben ist."
„Sozusagen."
„Das haben wir alle schon mal erlebt. Ich hatte auch lange eine Fernbeziehung mit einem Mädchen in Berlin. Als ich mich entscheiden musste zwischen ihr und dem Job, hab ich mich für den Job entschieden und bin in Helsinki geblieben."
„Klingt auch nach nem gebrochenen Herzen."
„Ja. Ich habe bis zuletzt gehofft, dass sie herkommt. Sollte nicht sein."
Wir schwiegen eine Weile und starrten auf unsere Bildschirme.
„Was soll's. Wir sollten feiern."
„Feiern?"
„Ja. Wieso nicht. Erstens hat sowieso irgendwo jemand Geburtstag und zweitens hab ich eine Einladung. Du brauchst soziale Kontakte, um Fuß zu fassen und das Studio voranzubringen und ich kann n paar Drinks vertragen."
„Die könnte ich allerdings auch vertragen."
„Übermorgen ist eine Party im „Maxine Oy". Social Media, Music, blabla... Ein wenig Bussi Bussi, Kontaktpflege und Dresscode."
„Dresscode?"
„Ja. Das heißt wir schwingen unsere süßen Hintern in einen heißen Fummel und gehen ne Runde tanzen. Und wenn es uns zu blöd ist, betrinken wir uns auf Kosten des Veranstalters."
„Klingt ganz gut."
„Ich hol dich ab. 20:00Uhr."
„Deal."

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