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Die meisten Leute vergessen, was für ein gutes Gefühl es sein kann, wenn man Geheimnisse endlich lüftet. Es mögen schöne oder auch schlimme sein, zumindest sind sie nicht mehr verborgen. Ob es einem nun gefällt oder nicht. Wenn die Geheimnisse ans Licht gekommen sind, braucht man sich nicht mehr hinter ihnen zu verstecken.
Das Problem mit Geheimnissen ist: Selbst wenn man denkt, man hätte alles im Griff, täuscht man sich.
- Meredith Grey

Ob jemand gut oder schlecht ist, entscheidet nicht das Ausehen, sondern seine Taten. Sie beweisen, wer wirklich mutig oder wer falsch ist. Unser gutes Ausehen überdeckt nur die wahre Grausamkeit die sich in uns verbirgt.
-by L.A
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Hass. Er definiert mein derzeitiges Empfinden genau. In mir lodert der ungezähmte Hass auf alles und jeden, der mich je verletzt hat. Ich kämpfe. Mit mir, denn ich will ihn nicht spüren, ich will diese Euphorie spüren, mich völlig dem Rausch hingeben, doch ich bin gefangen. Meine dunkle Seite will hassen und ich habe das Gefühl, dass sie Siegen wird und das macht mir schreckliche Angst. Eine Weile habe ich nur dank des Hasses überlebt. Er ist zu meinem ständigen Begleiter geworden, hat mich mit Sauerstoff versorgt mir Wärme gegeben und mich beschützt. Der Hass war mein Beschützer vor Gefühlen, denn sie waren meine eigentlichen Feinde. Meine Mutter habe ich einst geliebt, doch nach ihrem Verschwinden hatte sich diese Liebe in tiefen Hass verwandelt. Mir ist klar warum.

Wenn uns etwas wehtut sagen wir sofort, wir hätten Schmerzen, aber woher kommt dieses Wort überhaupt? Hat sich damals jemand verletzt und das erste das ihm in den Sinn kam, war das Wort 'Schmerz' oder was verbirgt sich dahinter? Wie kommen Menschen überhaupt auf diese Begriffe?
Was ist Schmerz überhaupt?
1.
Jede Form leidvollen seelischen Empfindens.
"der Schmerz der Enttäuschung"
2.
Eine unangenehme körperliche Empfindung, die von einem Körperteil/einer Körperregion ausgeht.
"Seit wann spüren Sie diesen stechenden/starken/bohrenden Schmerz in der Schulter?"
Ok, es gibt also zwei Arten des Schmerzes, beide tuen wahnsinnig weh. Doch welche Art ist denn schlimmer?

Ich empfinde beide Arten des Schmerzes, zum einen habe ich mich aufgrund des Schreckes auf die Nase gelegt und ja, ich spüre den stechenden Schmerz in meinem Knie und an meinen Händen. Wahrscheinlich bluten sie auch, aber meine einstige Liebe zum Blut hatte sich in den letzten Wochen in ein unglaubliches Unwohlsein umgewandelt, weshalb ich es vermeide auch nur einen Blick auf meine Hände zu werfen. Der Schmerz der sie durchzuckt, reicht mir vollkommen aus um zu wissen das es mehr als ein Kratzer ist. Und dann wäre da noch der Schmerz der zweiten Sorte, der des seelischen leidvollen Empfindens und ich glaube er wird mich heute umbringen. Er drückt mir die Luft aus meinen Lungen und presst jedes Gefühl das ich je empfunden habe an die Oberfläche. Ich will das alles nicht mehr fühlen, es fühlt sich falsch und doch richtig an.
Eigentlich dachte ich, dass ich ihr nach dem Treffen mit Scott besser verzeihen kann, doch wie es scheint habe ich mich darin getäuscht. Ich wollte sie nie wieder sehen und doch steht sie jetzt genau vor mir. Ihre schwarzen Haare trägt sie lockig und offen, sie sind länger geworden. Ihre blauen Augen glänzen in der Sonne und verleihen ihr einen anmutigen Touch. Sie ist eine wahre Schönheit, doch das ändert nichts an dem Schmerz den ich empfinde, wenn ich an sie denke. "Il mio Sole", sie streckt ihre Hand aus um mich zu berühren, doch ich entziehe mich ihrer beinah Berührung. Meine Augen blicken sie kalt an, "Nenn mich nie wieder so!", meine Stimme fühlt sich in meinem eigenen Mund so fremd an das ich mir nicht mal sicher bin, ob ich wirklich spreche.

Meine Gedanken spielen verrückt. Auf meine Fragen, die ich vorhin noch stellen wollte, habe ich immer noch keine Antwort, dafür sind jetzt noch mehr aufgekommen. Was macht sie bei meinem Vater? Wusste er hiervon? Hat er ihr verziehen? Ich kann mir letzteres kaum vorstellen, er war nach ihrem Weggang am Boden zerstört. Er würde ihr nicht einfach so verzeihen. Wenn selbst ich es nicht schaffe, dann kann er es erst recht nicht. Sie ist damals einfach verschwunden, von einem auf den anderen Tag ist sie nicht mehr nach Hause gekommen. Ich bin noch zu klein gewesen, mein Dad hat mir erzählt sie wäre auf einer wichtigen Geschäftsreise. Die Tage, Wochen und Monate vergingen und ich habe mich nicht mehr getraut ihn zu fragen, jedes Mal ist er traurig geworden und manchmal sogar wütend. Irgendwann habe ich gewusst das sie weg ist und irgendwann habe ich sie verdrängt.

"Henni, kommt doch erstmal mit herein. Es ist wirklich kalt und ich möchte nicht das ihr euch erkältet", meiner Väter berührt mich sanft an meiner Schulter. Er dreht mich ein Stück in die Richtung der Tür, doch ich kann nicht. Tyler greift meine Hand und verschränkt sie mit seiner. Ich sehe zu ihm hinauf und kann in seinen Augen nur Liebe erkennen und ich weiß ich bin bereit. Wir betreten unseren Flur, er sieht anders aus. Über der Kommode hängt ein Spiegel und auf ihr steht ein Bild meiner vergangenen Familie. Hier hat immer nur ein Foto gestanden- das meiner Einschulung. Als ich das Wohnzimmer sehe wird mir schlecht. Unsere rote-grüne Einrichtung ist verschwunden, dafür ist jetzt alles in einem edlen Weiß- Grau gehalten. Mein Vater liebt bunte Farben, er würde das Wohnzimmer nie so erwachsen gestalten. Was ist hier nur passiert. Mir ist klar, wer für das hier verantwortlich ist. Francesca Morgen, hat diese Veränderung hervor gerufen. Ich sehe es in Dad's Augen, die mich schuldbewusst anblicken und mich anflehen nicht durch zudrehen, denn er weiß welches Chaos in mir herrscht. Sanft werde ich auf das Sofa gedrückt und schaue direkt in die Augen die mich nächtelang verfolgt haben. "Wir müssen reden das weiß ich, aber vielleicht erzählst du erstmal wie es dir ergangen ist. Und wer ist überhaupt deine Begleitung?", in Christian's Stimme schwang ein Hauch von Witz, doch ich konnte nicht lachen. Mir war das Lachen schon vor so langer Zeit vergangen.

Ich habe gesagt, dass der Schmerz mich am Leben halten würde, doch ich habe gelogen. Ich habe Angst, dass wenn ich nicht mehr hasse, sie mich nochmal verlässt. Ich könnte es nicht ertragen, wenn ich Nichteinhaltung Gefühle für sie zulasse und sie mich verletzt. Sie ist meine Mutter, doch ich könnte es nicht ertragen, wenn sie mich noch einmal verlässt, denn tief in meinem Herzen wusste ich schon immer, dass ich sie nicht hassen kann.

The Way of Life (Anorexia Nervosa)✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt