13.

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Die Zeit flog nur so dahin. Woche um Woche war verstrichen. Monat um Monat war vergangen und der Sommer erreichte seine heißeste Phase.
Ich hatte aufgehört, die Tage zu zählen, die ich mit stundenlangem Üben auf der Elementinsel verbrachte. Strukturiert arbeitete ich den Stoff nach, der mir im Elementunterricht fehlte und hatte die unglaubliche Tierarten kennengelernt. Heil- und Giftpflanzen entpuppten sich als mein Lieblingsthema und wie versessen freute ich mich auf jedes noch so kleine Detail über die für Menschen unentdeckte Flora. Mittwoch abends absolvierten wir die praktischen Stunden im Wald. In dieser Mondnacht sollten wir das besondere Nebelkraut ausfindig machen, das nur durch die Mondstrahlen sichtbar wurde.
Herr Kohn, Professor der Kräuterkunde, erklärte uns das nähere Vorgehen.

"Kennzeichen für die Lutonis Herba Krima sind ihre durchscheinenden Blätter, die wie Nebel wirken. Denkt daran, eure Hände erst mit der Salbe, die ich euch gegeben habe, einzureiben, bevor ihr die Pflanze vorsichtig abtrennt. Seid gewarnt, sonst bekommt ihr einen unangenehmen Hautausschlag. Bitte vergesst auch nicht, immer in euren Zweiergruppen zu bleiben und bedenkt: Nur eine Stunde habt, in welcher sich die Lutonis Herba Krima zeigt. Die Gruppe, die mir zuerst diese wunderbare Pflanze bringt, erhält eine kleine Belohnung." Herr Kohn schaute zufrieden in die Runde und seine langen Rastalocken wirbelten um seinen Kopf.

Zugegeben, am Anfang hatte ich ihn für verrückt gehalten. Die gedrehten Dreads reichten ihm bis unter die Schulterblätter und seine warmen, brauen Augen huschten immerzu hin und her, um seine ganze Umgebung einzufangen. Er war ein groß gebauter Mann, doch keinesfalls fühlte ich mich eingeschüchtert. Er bewegte sich immer flink durch den Unterrichtsraum, murmelte seltsame Bezeichnungen vor sich hin und wirkte in sich gekehrt. Doch im nächsten Moment fing dich sein Blick ein und er führte seine Ausführungen fort.
Ich hatte Sympathie gegenüber diesem schrägen Kautz entwickelt, denn er half mir viel des verpassten Stoffes nachzuholen. Zusammen mit ihm und Kyle hatte ich bald meine Mitlehrlinge eingeholt.

Der singende Ruf eines Vogels ertönte und Herr Kohns Hand deutende suchend durch die Schülermasse.

"Wer weiß es? Wer weiß es?", rief er begeistert und schnell tasteten sich seine braunen Augen über die Lehrlinge.

Neben mir schoss die Hand eines Jungen in die Höhe. Übereifrig klatschte Herr Kohn in die Hände, als die richtige Antwort Kohlmeise ertönte. Er gestikulierte weiter mit seinen Händen.

"So Kinderchen, dann verteilt euch schön rasch und sucht die Lutonis Herba Krima." Seine Hände wedelten scheuchend in der Luft herum und die ersten Grüppchen liefen los. "Enttäuscht mich bloß nicht." Herr Kohn kicherte hinter vorgehaltener Hand. "Aber das würdet ihr ja nicht.", fügte er lächelnd hinzu.

Er verhielt sich oft eigenartig, aber genau das mochte ich an ihm. Bevor ich aufbrechen konnte, rief er mich zurück.

"Cora, warte doch Liebes." Er winkte mich näher. "Es ist ganz einfach. Lausche meinem Hinweis und überlege gut, bevor die anderen das Kraut zuerst entdecken: Zu finden die Pflanze am knorrigen Baume bei Mondeslicht, wo Efeu wuchert und Moos darauf trifft. Doch nur wenn der Mondstrahl gebrochen fällt, wird sich offenbaren die Nebelwelt."

Ich lauschte gebannt auf sein Rätsel. Gewissermaßen war ich zu seinem Lieblingslehrling mutiert und, wann immer er konnte, flüsterte mir Herr Kohn Ratschläge zu, die mich leichter ans Ziel bringen sollten. Zu meinem Bedauern brauchte es aber meist zu viel Zeit, seine Rätsel zu entschlüsseln, bevor sie mir helfen konnten. Schummelei könnte man es nennen. Doch zu bedenken war, dass ich mich gegen Lehrlinge behauptete, die Kräuterkunde seit ihrem dritten Lebensjahr nahmen.

Dieses Mal durchfuhr mich die Entschlossenheit, zuerst die Pflanze zu finden. In der letzten Mitternachtsstunde hatte jeder von uns schon einen Blick auf ein mitgebrachtes Exemplar werfen können und ich hatte es mir tief eingeprägt.
Nein, nicht nur das Aussehen des Gewächses, sondern das Gefühl, welches es aussendete. Man könnte es als Aura bezeichnen, die jedes Lebewesen individuell umgab. Kyle hatte es mir wie mit der Seele eines jeden Menschen erklärt, die uns unverkennbar zeichnete. Und neben den Chemie und Sportnachhilfestunden hatte er mir beigebracht, diese Auren von Flora und Fauna zu speichern und wieder abzurufen. Es war harte Arbeit gewesen, doch von Stunde zu Stunde hatte es besser geklappt und sowohl Kyle als auch Herr Kohn lobten mich oft als Naturtalent.

Lodernde BlüteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt