Das Mädchen hinter den Spiegeln

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Ich sehe dir in die Augen. Mache alle deine Bewegungen nach, während du dich neu schminkst und dir die Haare aus dem Gesicht streichst. Es ist so unfair. Was würde ich dafür geben, die zu sein, die sich damit abmüht gut bei Freunden anzukommen, doch ich bin nur dein Spiegelbild. Das Abbild deiner Selbst und ich werde niemals zu etwas eigenem fähig sein. Du klimperst noch einmal mit deinen großen braunen Augen und ich mache es unwillig nach. Du glättest die Falten in deinem Kleid und atmest noch einmal tief durch. Dann gehst du von dem Spiegel weg und endlich kann ich mich wieder selber bewegen. Dann schaue ich mich um. Ich stehe in einem modernen Badezimmer und schließe daraus, dass du nicht zu Hause bist. Wahrscheinlich bist du bei einer Freundin und ihr schaut wieder einmal irgendwelche Liebesfilme, in denen eure Lieblingsschauspieler mitspielen, nur damit ihr die ganze Zeit von ihnen schwärmen könnt. Das musste ich schon wirklich zu oft ansehen, denn einer deiner unzähligen Spiegel hängt über deinem Bett und deswegen muss ich jede deiner Bewegungen und Gesichtsausdrücke nachmachen. Als ich mich gerade mich auf den Boden setzen will, spüre ich wieder das Ziehen und ich weiß, dass jetzt meine freie Zeit vorbei ist.

Der Raum verändert sich um mich und ich tanze in einer Menschenmenge. Also doch kein Besuch bei einer Freundin, sondern eine Party. Ich kann das nicht so recht unterscheiden, denn in meiner Welt gibt es keine Musik, keine Geräusche und auch keine Sprache. Wir ahmen zwar eure Mundbewegungen nach, doch kein Laut wird jemals unsere Lippen verlassen. Man kann sich nicht vorstellen, wie erdrückend diese Stille ist. Um mich herum sind andere Abbilder der Tanzenden, doch sie haben den Glanz in ihren Augen verloren und das bedeutet, dass sie keinen eigenen Charakter mehr haben, sondern einfach nur noch Schaubilder sind. Sie können nicht mehr von selbst denken wie ich und sie können sich auch nicht von alleine bewegen, sobald ihr ,,Zwilling" auf der anderen Seite nicht mehr sein Aussehen bewundert. Sie verschwinden einfach ins Nichts und tauchen wieder auf, sobald der ,,Andere'' in einem Spiegel zu sehen ist. Woher ich weiß wie es sich anfühlt? In einer wirklich schlechten Zeit ging es mir genauso wie allen anderen Spiegelbildern. Ich fühlte nichts mehr und die Zeit flog an mir vorbei. Doch jedes Mal, wenn ich sah, wie viel Spaß du hattest wurde mein Verlangen größer, das selbe zu erleben und genau das hielt mich davon ab zu so einem zombie zu werden, doch die Frage ,was wäre wenn...'lässt mich nicht los. Und je öfter ich daran denke, so unnötiger kommt mir meine Existenz vor. Langsam werde ich hier verrückt. Ich kratze meinen kompletten Willen zusammen, um das nächste zu tun. Ich wehre mich gegen die Fesseln, die man mir seid Anfang meines mikrigen Lebens auferlegt hat und schreie meine Wut, Verzweiflung, Angst und meinen Stolz in die Welt hinaus und das erste Mal höre ich meine Stimme, wie sie in dem so stillen Raum hallt und von den Wänden zurückgeworfen wird. Ich spüre wie meine Stimmbänder vibrieren und schreie noch lauter. Es fühlt sich gut an. Jeder, absolut jeder soll es hören. Ich falle auf die Knie und lege alle meine Kraft darein und da geschieht es. Alle Spiegel um Raum zersplittern in tausend Einzelteile, doch die riesige Schallwelle reicht weiter. Sie zerstört jeden Spiegel dieses Hauses, dieser Stadt, dieser Welt und ich kann nur an eine Sache denken. Freiheit

Hinter den SpiegelnWo Geschichten leben. Entdecke jetzt