OS »Für immer«

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Das Geschrei eines Kindes riss mich zum zweiten Mal in dieser Nacht aus dem Schlaf, übernächtigt und schlecht gelaunt setzte ich mich im Bett auf und wollte gerade aufstehen, als ich eine Hand auf meinem Rücken spürte.

»Lass gut sein, Schatz, ich kümmere mich um ihn«, hörte ich TIms sanfte Stimme und lächelte dankbar, auch wenn er es in der Dunkelheit wohl nicht sehen konnte. Ich hörte ihn die Nachttischlampe anknipsen und aufstehen, zu dem kleinen Kinderbett an der Wand gehen und Emilio herausheben. Leise auf den Kleinen einredend verließ er das Schlafzimmer und ich konnte seine Schritte bis ins Wohnzimmer verfolgen. Erschöpft ließ ich mich wieder in das plattgelegene Kissen fallen, fand jedoch keinen Schlaf mehr. Genervt tastete ich nach dem Wecker auf meinem Schreibtisch und ließ mir die Uhrzeit ansagen, fünf Uhr neunundfünfzig. Da ich wohl eh nicht mehr einschlafen können würde, fasste ich einen Entschluss und stand auf. So leise wie möglich, um die Mädchen nicht zu wecken, tapste ich barfuß in die Küche. Tim hätte in einer halben Stunde eh aufstehen müssen, so konnte ich ihm wenigstens noch Frühstück machen. Die Fliesen unter meinen Füßen waren kalt, so dass ich meinen rechten Fuß auf meinem linken platzierte, um möglichst wenig Standfläche auf dem kalten Boden zu haben. Gerade schnitt ich das Brot auf, als Tim sich mir von hinten näherte. Ich wendete mich leicht zu ihm um, als er auch schon zu sprechen anfing:

»Milo ist wieder in seinem Bett, er schläft wieder. Tut mir leid, dass er dich geweckt hat.«, erklärte er mir. Ich konnte nicht anders als glücklich zu lächeln.

»Ist doch nicht deine Schuld. Danke, dass du dich um ihn gekümmert hast. Außerdem haben wir beide zusammen entschieden, dass wir ihn wollen.«, versuchte ich, ihn zu beruhigen und drückte ihm einen kurzen Kuss auf die Lippen, bevor ich mich wieder dem Brot widmete. Ich spürte Tims Arme, die sich von hinten um meine Taille legten und vor meinem Oberkörper verschränkten und seinen warmen Atem auf meinem Nacken.

»Ich glaube, ich sage dir viel zu selten, dass du wirklich der Allerbeste bist«, hauchte er in mein Ohr und automatisch wanderten meine Mundwinkel nach oben. Schließlich gab ich das Brot ganz auf, legte das Messer beiseite und drehte mich in Tims Umarmung ganz zu ihm um. Vorsichtig strich ich mit einer Hand seine Gesichtszüge nach, genoss das Gefühl seiner weichen Haut unter meinen Fingern.

Wie gerne ich ihn einfach angesehen hätte, wenn ich gekonnt hätte. Leider war das unmöglich. Andererseits hätte ich ihn damals ohne meine Blindheit wohl nie so gut kennengelernt. ›Damals‹... Es war ganze zehn Jahre inzwischen her, dass Tim mir in der schweren Zeit nach meiner Erblindung zur Seite gestanden ist, zehn Jahre, seitdem ich ihn das erste Mal geküsst habe. Zehn Jahre, in denen er nicht nur mein bester Freund war, sondern auch mein fester Freund. Meine große Liebe. Und auch wenn inzwischen fast nichts mehr wie damals war, das würde sich nie ändern.

»Ich liebe dich«, lächelte ich ihn glücklich an, stellte mich etwas auf die Zehenspitzen, um ihm einen sanften Kuss auf die Nasenspitze zu drücken. Ich konnte hören, wie ernst er es meinte, als er glücklich zu einer Antwort ansetzte:

»Ich dich auch, mein kleiner Dino, ich dich auch«, versicherte er mir, was ich eh schon längst wusste, was er mir jeden Tag zeigte.

Irgendwann lösten wir uns wieder voneinander und Tim wollte mir mit dem Frühstück helfen, doch ich schickte ihn ins Bad. Ich war eh schon fast fertig und so ging ich leise zurück ins Schlafzimmer, als die letzten Griffe erledigt waren. Vorsichtig beugte ich mich über das Kinderbett und lauschte den gleichmäßigen Atemzügen des Einjährigen. Emilio schlief. Lautlos schloss ich die Tür wieder hinter mir, bevor ich ins benachbarte Zimmer huschte. Dort tastete ich nach dem Lichtschalter und legte ihn um, worauf sofort ein Murren vom Bett aus ertönte.

»Morgen, Lou«, strahlte ich Louna glücklich an. Die Siebenjährige war seit zwei Jahren unsere Tochter und ich war jeden Tag aufs Neue unglaublich stolz und glücklich über sie.

Blindes Vertrauen ~ #StexpertWo Geschichten leben. Entdecke jetzt