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Der Mann mit den leuchtend grünen Augen ließ mich auch die nächsten Tage in Ruhe. Derek hatte scheinbar verstanden, dass keine Entschuldigung etwas bei mir bewirken konnte und gab es auf.

Nach dem Lagerfeuer, als die Nachtruhe herrschte, schlich ich mich trotzdem heimlich raus und lief zum Bootshaus. Obwohl das Bootshaus Erinnerungen an Derek weckte, die ich nicht heraufbeschwören wollte, mochte ich die Atmosphäre. Man kam sich vor, als wäre man von der Welt abgeschottet, da man nur gedämpft Geräusche von draußen hörte. Mein Tagebuch hatte ich sicherheitshalber zwischen Lattenrost und Matratze gelassen, so konnte ich es diesmal nicht erneut verlegen und vergessen.
Ich schloss meine Augen und blendete alles um mich aus. Mit meinem Rücken gegen die Wand, neben der Tür, gelehnt, wollte ich an nichts denken. Weder an Derek, noch an die Liebesgeschichte von Mom und Felix. Einfach mal nichts tun.
Die Müdigkeit und der Stress, der letzten Wochen, holte mich jetzt langsam aber sicher ein. Meine Augen wollten sich nicht mehr öffnen lassen, so schwer fühlten sich die Lider an.
Wie gerne ich jetzt auf der Decke einschlafen würde, schoss mir durch den Kopf. Doch genauso schnell verwarf ich den Gedanken auch. Ich sollte nicht hier einschlafen. Am Ende würde Felix noch eine Vermisstenanzeige rausschicken, da sicherlich niemand daran denken würde, dass ich im Bootshaus wäre. Eher würden sie glauben, ich sei von Bären entführt worden.
Gerade als ich mich zwingen wollte aufzustehen, kam jemand durch die Tür herein. Ich betete, dass es jeder war, außer dieser ganz bestimme Person, wurde jedoch nicht erhört. Na vielen Dank auch!
„Oh, sorry. Wusste nicht, dass du hier bist", sagte Derek und wollte wieder gehen.
„Schon okay. Kannst ruhig bleiben, ich gehe. War schließlich lange genug da." Ein gequältes Lächeln brachte ich trotz meiner Wut über die Lippen und huschte dann an ihm vorbei. Ich hatte mich schon einige Meter von dem Bootshaus entfernt, als ich am Handgelenk festgehalten wurde. Derek brachte mich zum Halten. Genervt blickte ich ihn fragend an. Begannen die endlosen Diskussionen etwa wieder von vorn? Langsam aber sicher musste er meine Entscheidung akzeptieren, das sollte ihm und seinem Erbsenhirn eigentlich nicht zu schwer fallen. Aber manchmal siegte eben doch die Dummheit.
Ich wehrte mich gar nicht, als ich wieder ins Bootshäuschen gezogen wurde, denn ein Streit IM Bootshaus würde wesentlich weniger Aufmerksamkeit erregen, als wenn wir lautstark im Freien stritten.
Derek schloss hinter sich die Tür und ich sah ihn erwartungsvoll an. Sollte er ruhig den ersten Schritt machen, ich würde warten.
„Können wir das Ganze nicht wie Erwachsene klären?", fragte er mich.
„Das haben wir doch! Du hast dir meine Seite der Geschichte angehört und ich mir sogar deine. Ich habe Recht und somit ist die Sache für mich geklärt. Ende."
Mürrisch blickte er mich an und verschränkte die Arme vor seiner Brust. „Ich verstehe dich einfach nicht", murmelte er leise, aber so laut, dass ich es hören konnte.
„Du musst mich auch nicht verstehen. Ich will gar nicht, dass du mich verstehst."
Verzweifelt raufte er sich seine dunklen Haare. Seine Gefühlslage konnte ich nicht verstehen, da es für mich einfach war, unsere ‚Beziehung' ruhen zu lassen. Man ging sich aus dem Weg, sprach ein wenig miteinander und alles war gut. Warum machte er aus einer Mücke einen Elefanten?
„Ich will dich aber verstehen, weil ich dich mag, okay?"
Plötzlich fiel ich in schallendes Gelächter aus. Tränen schossen mir in meine blauen Augen und ich war der festen Überzeugung, dass er einen schlechten Scherz riss. Eher hatte er einen Samenstau, als das er mich mochte.
Als ich mich langsam beruhigt hatte, sah ich, dass Derek verletzt aussah.
„Du... hast das ernst gemeint...?", fragte ich ihn vorsichtig.
„Nein, war alles nur ein Spaß. Alles was ich sage ist gelogen, nicht wahr?", untermauerte er sarkastisch. „Wenn du jemanden verurteilst und die Gefühle anderer ignorierst, willst du nur dich selbst schützen. Deine Mitmenschen sind dir scheißegal! Die einzig wichtige Person in deinem Leben bist du selbst. Wenn du dich nicht mal jemandem öffnest, dann wirst du immer alleine bleiben. Für mich war's das."
Das hatte gesessen. Ehe ich etwas erwidern, geschweige denn seine Worte wirklich realisieren konnte, war er schon durch die Tür verschwunden.
Gott, ich war so dumm. Und er hatte verdammt nochmal recht, auch wenn es sicher nicht das war, was ich hören wollte. Natürlich wollte ich mich selbst schützen, indem ich niemanden an mich ran ließ, aber jemanden dadurch zu verletzen war nicht meine Absicht.
„Derek!", rief ich ohne nachzudenken nach ihm. Er drehte sich nicht um, also sprintete ich zu ihm und holte ihn auf. „Scheiße, es tut mir Leid, okay? Ich wollte dich nicht verletzen."
Er schnaubte verächtlich: „Sagst du das zu jedem?"
Dieser verdammte Mistkerl benutzte meine eigenen Worte gegen mich. Doch er führte mir vor Augen, wie er sich die ganze Zeit über gefühlt hatte, wenn ich ihn fortgestoßen hatte. Es war kein schönes Gefühl und auch wenn es mir schwerfiel, das zu gestehen, da ich Derek immer noch nicht mochte, aber es tat mir ehrlich leid.
Derek ignorierte mich weiter und wollte weitergehen und das war für mich schlimmer als jede Beleidigung. Wenn mich jemand ignorierte, verletzte mich das sehr. Da ich dann nicht wusste, was die Person dachte. Lieber sollte sie mir sagen, dass ich ein Arschloch war.
„Bitte...", flehte ich ihn zum Stehen bleiben an. Doch noch immer lief er weiter. Dann tat ich etwas, wovon selbst ich überrascht war. Ich holte ihn ein, stellte mich vor ihn und küsste ihn. Hart presste ich meine Lippen auf seine und hoffte, dass er mich nicht wegstieß. Immerhin blieb mir das erspart, Derek drückte mich näher zu sich und küsste mich wild. Atemlos blickte ich ihn an und er schien mit sich zu ringen, wie es weitergehen sollte. Mit einem „Ach, scheiß drauf" hob er mich hoch, sodass ich meine Beine um seine Hüfte schlingen konnte. Er brachte uns ins Bootshaus und wir ließen uns von unseren Gefühlen übermannen.

Der Sex mit Derek zeigte eigentlich nur auf, dass wir nicht miteinander reden konnten, ohne uns gleich an die Gurgel zu gehen. Das war nicht gut, aber es ging nicht anders. Wir waren wie Feuer und Wasser. Völlig verschieden, es passte einfach nicht. Trotzdem konnten wir nicht ohneeinander und dieser Gedanke gefiel mit nicht. Noch nie hatte ich mich vollständig auf eine Person eingelassen und ihr mein Inneres anvertraut. So hätte man etwas gegen mich in der Hand, konnte mich manipulieren und verletzen. Aber das dieser Weg nicht der richtige war, hatte mir Derek nun klar und deutlich vermittelt.
War er die richtige Person, mit der ich es wagen konnte? Ihm erzählen, wer ich war, was ich mochte und hasste?
Das Camp ging noch weitere vier Wochen, was wäre danach? Würden wir uns wiedersehen, eine richtige Beziehung führen können?
Diese Fragen könnte ich nur beantworten, wenn ich es versuchte. Wer wusste schon, ob er nicht vielleicht die Person war, nach der ich mich sehnte?
„Über was zerbrichst du dir dein hübsches Köpfchen?", unterbrach er meine Gedanken. Sanft fuhr ich kleine Kreise mit meinem Finger über seine trainierte Brust.
„Es ist nichts, nur... Keine Ahnung wie ich es in Worte fassen kann, ohne mich zu blamieren", gab ich ehrlich zu. Derek animierte mich dazu, es zu versuchen. Ich zierte mich erst, doch dann begann ich los zu reden. Ich erzählte ihm Kleinigkeiten über mich und dann unterhielten wir uns so lange, bis die Sonne aufging.

Indiana in OhioWo Geschichten leben. Entdecke jetzt