Logik ist des Asburys Steckenpferd

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Wenn man genau hinsah, konnte man Linda lächeln sehen. Die Mundwinkel ihres zunächst ausdruckslosen Gesichts, waren zu einem leichten Lächeln verzehrt, das sich langsam in ein Grinsen verwandelte. Dann lachte sie. Es war ein Lachen, dass ganz gut als Psycholache in einem Film herhalten hätte können und wenn man wusste, weshalb sie so lachte, wäre diese Psychopathensache gar nicht mehr so abwegig gewesen. Da wir das aber nicht wissen können, müssen wir die Situation wohl oder übel für's Erste weiter beobachten. Jetz gerade hatte sie den Kopf mehr oder weniger sanft (eher weniger) auf die Tischplatte fallen lassen und grinste. Ihr Lachen kam jetzt nur noch stoßweise. Vergleichbar mit einem startendem Motorrad.
,,Brendon, mein lieber Cousin... ich habe gewonnen'', obwohl niemand im Raum war sprach sie als überzeugte Selbstgesprächeführerin laut. Dann begann sie einige Verwünschungen auszustoßen, die beunruhigend ernst gemeint wirkten. Und beunruhigend brutal. Um das Rating nicht erhöhen zu müssen, wollen wir uns an dieser Stelle, bereits genanntem Brendon zu wenden.

Brendon war das, was man im Allgemeinen als Armleuchter bezeichnet (und damit ist nicht der Kerzenständer bei ,,Die Schöne und das Biest'' gemeint, sondern wenn man sowas wie ,,DU AR... mleuchter'' sagt). Er war ein schlechter Verlierer, wie jeder aus der Familie, aber zusätzlich war er auch noch ein schlechter Gewinner. Für ihn gab es drei Sachen im Leben, die oberste Priorität hatten: 1. Zahnplege. Brendon war sehr stolz auf seine Zähne, kleine strahlend weiße Dinger, mit denen er nur in Dinge biss, bei denen er sich sicher war, sie würden ihnen nicht schaden. Dazu später mehr. 2. Alle zwei Wochen einen neuen Kleidungsstil auszuprobieren. Ihr könnt euch sicher vorstellen, dass das auf Dauer ganz schön teuer wird, wenn alle paar Wochen der Kleiderschrank komplett neu gefüllt wird. Aber Brendon war schon immer ein bescheidener Junge. Während andere fünfjährige Kinder sich Süßigkeiten kauften und auf Spielplätzen spielten, hatte er sich Zahnseide mit Erdbeergeschmack gekauft (3,98 in der Drogerie) und die alten Faschingkostüme seiner Geschwister geklaut. Auch jetzt mit 18 Jahren sind seine Ausgaben gering, schließlich wohnt er noch in der Familienvilla, muss also keine Miete bezahlen und hat einen gut bezahlten Job (in einem Familienbetrieb). Im Moment eifert er fleißig Sherlock Holmes nach und ist damit bereits überfällig, denn er trägt das Cape schon seit knapp 3 einhalb Wochen. Kommen wir zu Punkt 3: Linda übertreffen. Egal was es ist. Beruf (unentschieden), ausgefallenes Aussehen (unentschieden), Beliebtheit bei Oma (unentschieden) oder Feindschaft mit der angeheirateten Tante (leicht im Rückstand): Linda und er pflegten eine ausgeprägte - und laut bereits genannter Großmutter außer Kontrolle geratene - Feindschaft. Sie hassten sich mit so einer Inrunst, dass es schon fast wieder wie Freundschaft war. Dummerweise hatte Lizbeth, Brendons reizende Tante und damit Lindas Mutter, mal etwas Ähnliches ausgesprochen. Was folgenden Ausgang nahm:
,,Ich kann nicht sagen ob sie die besten Freunde oder die ärgsten Feinde sind'', Lizbeth lachte und hielt sich dabei für außerordentlich gescheit. Linda sog scharf die Luft ein.
,,Brendon Asbury...'', zischte sie.
,,Linda Asbury...'', erwiderte dieser düster.
,,Ich weigere mich mit demselben Nachnamen wie du angesprochen zu werden''
,,Linda Dumpfbacke...'', Brendon grinste. Normalerweise, war er derjenige der Lindas Witzen unterlag. Das schien diese auch zu merken und war ein wenig beleidigt. Denn wie bereits erwähnt ist jeder in der Familie ein schlechter Verlierer. Das ganze endete... nicht, denn seid diesem Tag waren sie noch erbittertere Feinde als zuvor, sie unterschrieben sogar eine Todfeindes-Erklärung mit ihrem Blut (was eine Betäubungsspritze und fünf Stiche ins Handgelenk zur Folge hatte). Außerdem schaffte Linda es so lange die Beleidigte zu spielen, bis ihre Mutter ihr eine Taschengelderhöhung einräumte. Sie konnte damals auch eine ganz schöne Zicke sein, einen Charakterzug den sie mit ihrem fünfzehnten Lebensjahr größtenteils ablegte.
Besagter Brendon Asbury saß im Garten der Familie auf einer Steinmauer. Er hätte auch in die Stadt gehen können, aber heute fehlte ihm der Elan. Irgendwer im Haus lachte auf beunruhigende Asbury Art und Weise. Vermutlich Linda, die mal wieder vor einem ihrer Videospiele hockte. Es interessierte ihn auch nicht wirklich, er hatte Wichtigeres zu tun. Zum Beispiel arbeiten. Was er im Moment nicht tat aus Gründen der Überanstrengung. Er arbeitete oft zu lang und zu viel und merkte erst, dass er völlig gestresst war, wenn er kurz davor war zu explodieren (manchmal auch erst danach). So wie heute. Also genoss er die Stille der Natur. Er war froh wieder zu hause zu leben. Vor einem halben Jahr hatte er noch für einige Monate direkt in London gewohnt, aber hier einige Kilometer von der Stadt entfernt am Waldrand fühlte er sich am wohlsten. Gedankenversunken spielte er an einem Zigarettenstummel rum. Hier war die Raucherecke des Gartens. Oft gingen Besucher trotz des Raucherzimmers im Haus in den Garten, wenn sie Rauchen wollten. Er konnte das Bedürfnis nach Freiraum gut verstehen und so ging er oft mit nach draußen, um ihnen Gesellschaft zu leisten. Was im allgemeinen zeigte, dass er zwar das Bedürnis nach Freiraum verstand, nicht aber wenn man Freiraum von ihm brauchte. Jedenfalls war Brendon der Auffassung, das Menschen viel entspannter und angenehmer waren, wenn sie rauchten. Wie schade, dass Linda nicht rauchte. Brendon selbst rauchte übrigens auch nicht, schließlich war das schlecht für die Zähne und außerdem war er auch so schon angenehm genug. Trotzdem saß er hier in der Raucherecke. Hier lagen zwar überall Zigarettenstummel rum, aber dafür gab es hier so bequeme Sitzplätze wie diese kalte, harte Steinmauer. Nur weil Brendon etwas tat, hieß das noch lange nicht, dass es auch logisch war.
Auf einmal hörte er die Tür hinter sich auf und zugehen. Ohne sich umzudrehen, erkannte er an der Schwere der Schritte, dass es sich dabei um seinen Vater handelte. Er stellte sich wortlos neben seinen Sohn und holte seine Pfeife raus.
,,Hallo Brendon'', begrüßte er seinen Sprössling.
,,Hallo'', erwiderte Brendon nur und schaukelte mit den Beinen wie ein kleiner Junge. Probehalber pustete sein Vater einmal durch die Pfeife, bevor er begann sie zu polieren.
,,Stress mit Mum?'', fragte Brendon nach und war stolz auf seinen teilnahmsvollen Ton. Sein Vater seufzte und lehnte sich gegen die Mauer, ungeachtet der Tatsache, dass sein Jacket dabei dreckig wurde.
,,Es ist immer das Gleiche'', er seufzte erneut, ,, sobald ein Familientreffen ansteht, beginnt sie alles und jeden anzufauchen. Als hätte jeder Staubfussel ihr persönlich Unrecht getan. Ich verstehe immer noch nicht, warum sie sich nicht einfach ein Hausmädchen anschafft.''
Das war allerdings unverständlich. Das Haus der Asburys war gigantisch mit seinen unzähligen Zimmern und Geheimgängen. Aber sobald man Alice Asbury ein Hausmädchen vorschlug, pflegte sie zu sagen: ,,Wozu habe ich zwei gesunde Arme und Beine? Das bisschen Hausarbeit werde ich doch wohl ohne Hausmädchen schaffen!'' Was soviel hieß wie: ,,Wozu habe ich Kinder, die die Arbeit genauso gut und viel preiswerter erledigen können?'' Das Endresultat war, dass alle Räume, die Alice nicht zwangsläufig betrat von zentimeterdicken Staubschichten eingedeckt waren. Oder aussahen, als wäre ein von Waschbären berittenes Pferd auf Crack einmahl durchgewalzt (oder so ähnlich...).
Brendon verzog das Gesicht bei dem Gedanken an das bevorstehende Familientreffen. Das einzige Positive an dieser Veranstaltung war, dass Linda sie noch mehr hasste als er selbst, was ihm die Möglichkeit gab, sie Wochen im vorraus zu ärgern.
Er nickte seinem Vater einmal verständnisvoll zu und starrte dann wieder in den Garten. Es war Frühling und die Bäume waren von einem zarten hellgrün, wie das im Frühling nun einmal üblich war. Er mochte den Frühling.
,,Benjamin!'', der Ruf kam aus dem Haus und gehörte niemand anderem als Alice Asbury. Die beschlossen hatte ihren Mann weiter zu foltern. Also mit Hausarbeit. Dieser ließ wieder einen äußerst theatralischen Seufzer hören (er war ein Fan vom Seufzen), hörte schließlich aber mit dem Polieren seiner Pfeife auf und streckte sie in das dünner werdende Tageslicht. Zufrieden mit dem Ergebnis - sie strahlte vor lauter Glanz wie ein Atomkraftwerk - steckte er sie wieder in seine Brusttasche und ging zurück ins Haus. Aus irgendeinem Grund polierte er seine Pfeife immer nur, rauchte sie aber fast nie. Warum er trotzdem noch nach Draußen ging, sobald er sie rausholte, wusste allerdings keiner. Asbury-Logik. Brendon währenddessen beachtete seinen Vater nicht weiter (er war ja auch nicht mehr da) sondern starrte weiter in den Garten. Das konnte er gut.

Linda war euphorisch. Sie hatte sich gut vorbereitet. Heute würde sie ihren ersten Fang machen. Und das vor Brendon. Uhh wenn sie sich sein Gesicht vorstellte... sie könnte wieder ihre Psycholache hören lassen. Würde sie aber nicht. Tat man sowas zu oft verlor es seinen Effekt. Breit grinsend stieß sie die Haustür auf. Ah, Frischluft! Die Nacht würde in ungefähr einer Stunde hereinbrechen. Perfekt für die Vampirjagd! Heute würde alles klappen. Sie kannte seinen Aufenthaltsort. Wusste wie alt er war. Ob er alleine war. Sie hatte sich gut vorbereitet. Sehr gut. Sie horchte in sich hinein, wollte dieses Gefühl festhalten, um sich für immer an den Abend erinnern zu können, an dem sie ihren ersten Vampir erlegt hatte. Es fühlte sich an wie ... Hunger.

Linda war euphorisch. Mit einem Salamisandwich in der Hand stieß sie die Tür auf. Jetzt war sie wirklich gut vorbereitet. Sie hatte alles, was sie brauchte. Ihr Schwert hing über ihre Schulter. Es war nicht die praktischste Waffe, aber durchaus tödlich. Außerdem hatte das Schwert Geschichte (auch wenn das nicht ihre Geschichte war, denn sie hatte das Teil von einem Videospiel nachmachen lassen. Ursprünglich gehörte es einem kleinem, blondem Helden, aber Linda fand sie hatte ein Anrecht darauf, weil sie ebenfalls klein, blond und eine (hust) Heldin war*). Sie hatte ihre braune Fliegermütze aufgesetzt, die Haare darunter zu einem dicken Zopf geflochten und den blonden Pony sorgfältig weggesteckt. Unter einem grauen, robusten Stoffmantel trug sie den obligatorischen hellgrünen Ärmellosen Hoodie, und eine Jeans. Linda wusste ihr durchschnittliches Erscheinungsbild mit ausgefallenen Accesoires zu kompensieren. Außerdem hatte sie Schokokekse eingepackt, die sie von ihrem kleinen Bruder Toby geklaut hatte. Schließlich wollte sie ihren Triumph gebürend feiern.




Benjamin hatte nie so ganz verstanden, warum die anderen Erwachsenen darauf bestanden, alle zusammen zu Abend zu essen. Den meisten war es sowieso schon genug, dass sie alle zusammen insagesamt nur drei Badezimmer hatten (mal ganz im Ernst: ein riesengroßes Haus, dreizehn Personen und es gibt nur drei Badezimmer?). Aber na gut. Er wollte nicht an allem etwas zum Mäkeln finden. Warte... es gab wieder nur Vegetarisches? Warum war er dann noch hier?! Himmel, hergott nochmal! Da könnte er ja genau so gut Waschbäreninnereien essen, als diesen Sch- huh ruhig Benjamin. Alles wird gut. Wie sagte noch gleich sein alter Kampfsporttrainer.
Genügsamkeit ist eine Tugend.
Okay, er musste sich nur zusammenreißen. Dann würde schon alles -
Ooookay diese Zuchini würde er auf keinen Fall essen. Das war zu viel. Einatmen, Ausatmen. Besser.
,,Benjamin, steck gefälligst dein Hemd ordentlich in die Hose!'', Alice begann an seiner Kleidung rumzuzupfen. Einatmen, Ausatmen. Er musste jetzt ein Vorbild bleiben.
,,Oh, danke Liebes, dass hatte ich glatt übersehen.'', er lächelte sie etwas gequält an, aber sie schnaubte nur pikiert.
,,Nun, jetzt, da wir alle beisammen sitzen. Guten Ap- wartet, wo ist Linda?'', er runzelte die Stirn. Seine Nichte ließ doch sonst keine Mahlzeit ausfallen. Lizbeth schüttelte nur ratlos den Kopf und stürzte sich auf ihr Essen. Also, vermutlich etwas eleganter, als man unter dem Wort stürzen verstehen würde. Das war wahre Mutterliebe.


Das Abendessen hatte genau Brendons Geschmack entsprochen. Es gab Möhrchen! Die waren nicht nur gut für die Augen sondern auch gut für ... äh für irgendwas waren die bestimmt gut. Linda war nicht da. Und das machte ihn misstrauisch. Im Grunde hätte es ihn auch misstrauisch gemacht, wenn sie sich normal verhielt. Er erlaubte sich in seinen Begründungen stets eine gewisse Flexibilität. Jedenfalls wartete er den ganzen Abend lang angespannt auf ihre Rückkehr. Zwei Stunden nach dem Essen war es dann so weit. Sie stand im Türrahmen. In der Hand ihr Schwert. Es war blutig. Seine Augen weiteten sich.
Entweder war sie auf einen tollwütigen Waschbären (die Familie hatte einen Waschbärfetisch) getroffen und hatte sich verteidigen müssen oder es war, dass wovon er dachte, was es war. Und worauf ihr Grinsen schließen ließ. Die Kinnlade klappte ihm runter und er begann das zu fühlen, was er immer fühlte wenn die Zahnpastatube leer war: Verzweiflung. Seiner Mutter schien es ähnlich zu gehen, denn sie sagte: ,,Linda, Liebes du tropfst den ganzen Teppich voll.''

Dann brach die Hölle los und für Brendon eine Welt zusammen.

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⏰ Letzte Aktualisierung: May 12, 2016 ⏰

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