Blasphemie

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Ich habe Liv einholen können. Fast emotionslos steht sie am Geländer vor dem Krankenhaus. „Ich bin nur eine Schlagzeile", flüstert sie still und schaut ins Weite.

Die Straße ist viel befahren und es zieht ein starker Wind auf, total normal für diesen Ort.

Ich möchte ihr sagen, dass es nicht so ist. Was auch stimmt, genau genommen habe ich nicht einmal darüber nachgedacht, wie es wäre wenn die Zeitungen über unsere Beziehung diskutieren. Genau gesagt, weiß keine Presse dass ich noch hier bin, also noch immer behandelt werde. Denn wie lange möchte man einen angeblichen Schwächeanfall vortäuschen? Aber davon weiß Liv nichts.

Am liebsten möchte ich sie in den Arm nehmen. Aber wieder habe ich das Gefühl es ist nicht richtig.

„Das stimmt nicht!", gebe ich fast schon wütend hervor. Wütend nicht auf Liv, sondern auf meinen Vater. Diese Wut ist plötzlich aufgekommen und lässt mein Blut brodeln. Es fühlt sich einfach falsch an. Wie ein abgekartetes Spiel und Liv ist ein Teil davon. Sie schaut mich nicht an, aber in ihrem Blick ist etwas seltsames. Ich schaue mir ihre grünen Augen noch mal an, bis ich es erkenne. Es ist keine Wut, wie bei mir, sondern dieser Blick als hätte ich einen süßen Hundewelpen vor ihren Augen getreten oder schlimmeres. Sie ist eine Weile still und starrt auf die Fenster des Krankenhauses. „Jeden Tag fahren zig Menschen hier vorbei. Sie starren zu diesem Haus und sagen, ihnen würden die Patienten Leid tun, die lange Zeit hier verbringen. Sie fahren weiter, wissen nicht was drinnen vor sich geht. Denken kein weiteres Mal daran, denn sie haben ihr eigenes Leben, mit eigenen Problemen.
Aber immer wenn sie hier wieder vorbei fahren, schenken sie ein wenig Mitgefühl". Sie starrt wieder zur Straße. Ich bin mir nicht sicher, was sie mir damit sagen möchte. Ehrlich gesagt, habe ich mir noch nie darüber Gedanken gemacht, wie es den Menschen und besonders Kindern im Krankenhaus geht. Wenn wir in unserem abgedunkelten Auto sitzen und Joe und Kevin sich gegenseitig runter machen und aus Spaß beleidigen, fehlt es mir an nichts.

Ich habe so viele andere Gedanken, die Tour, neue Texte und Mädchen. Aber das es hier in meiner Umgebung Menschen gibt, die sich den ganzen Tag den Kopf zerbrechen, wie es mit ihnen weitergeht, habe ich mir nie ausgemalt. Kinder die nur einen Gedanken haben, gesund werden.

Da ich aber nichts sage, redet Liv weiter. „Weißt du was mich traurig macht? Andauernd werden hier Menschen herum geführt, als wären wir eine Attraktion. Uns wird eingetrichtert so traurig und krank wie möglich auszusehen, damit wir genug Geld bekommen. Zunächst habe ich mitgemacht, aber wir haben nie etwas von dem Geld gesehen. Der Keller ist seit 3 Jahren so, wir müssen die Leinwände die wir bemalen, danach wieder weiß über pinseln, damit der nächste auch mal kann".

Mein Mund bleibt förmlich offen stehen. „Wo bleibt dieses Geld?", ist das einzige was mir auf der Zunge liegt. „Ich weiß es nicht. Noch nicht". Liv dreht sich zu mir um. „Wir werden es raus finden". Dieses Mädchen ist echt für eine Überraschung zu haben. Wir reden einige Zeit über unseren Plan. Die Wut an meinem Vater ist so plötzlich verschwunden, wie sie gekommen ist. Ich denke nicht an ihn, auch nicht daran, dass er wahrscheinlich gerade ungeduldig in meinem Zimmer sitzt.

Als wir die Lobby des großen hellen Krankenhauses betreten, weiß ich plötzlich wo das ganze Geld hin ist. Nicole nicht- Kidman, ihren richtigen Namen habe ich vergessen, steht mit einem Furch B61-4CM Akustik Bass vor meiner Nase und fuchtelt damit herum. „Für meinen Rockstar nur das beste! Der Boden und die Zargen sind aus Sapeli, der Hals perfekt verarbeitet aus Mahagoni und das Griffbrett auf reinstem Ebenholz". Sie sagt das alles, als wollte sie jemanden damit verführen, oder nein. Sie erinnert mich an einen dieser Staubsaugervertretern. Dieses Teil kostet 15 Mal so viel, wie eine ganz normale Konzertgitarre, die es auch getan hätte. Ich reagiere nicht, sondern starre den Bass nur an. „Ist diese wunderschöne Gitarre nicht pittoresk?", fragt sie. Nein, jetzt weiß ich woran sie mich erinnert. An eine diesernDamen, die nachts auf dem Sender laufen und Sahne auf ihrem Bauch 5sprühen und Kirschen essen. Ha! Genau.

Auch Liv steht steif neben mir. Ich suche den angewiderten Blick in ihrem Gesicht, den ich wahrscheinlich gerade aufgelegt habe. Eine Frechheit, das Geld, wahrscheinlich die Spende der Jonas Brothers, so aus dem Fenster zu schmeißen. Ich denke sie muss noch ein wenig zappeln. Ziemlich teuflisch, oder etwa nicht? In ihrem Sprachgebrauch, ziemlich diabolisch. Obwohl eigentlich nicht. Aber ich fühle mich trotzdem wahnsinnig gut.

Einen Moment durchsuche ich meinen Sprachwortschatz, in dem hoffentlich noch einige Fremdwörter sind. „Die ist ziemlich blasphemisch, meinen sie nicht Nici? Ich darf sie doch so nennen?". Ich lege ein wohlwollenden Blick auf. Zunächst starrt sie entsetzt auf den schönen Bass und dann wieder zu mir. Ich wäre auch ziemlich entsetzt. Aber was solls.

Sie wird ein wenig bleich. „Aber natürlich. Es tut mir leid. Sie dürfen gerne sardonisch zu mir sein, ich habe es verdient! Natürlich werde ich sofort los und eine neue holen". Sofort macht sie auf dem Absatz kehrt und stöckelt davon. Absätze im Krankenhaus? Ziemlich impertinent, das heißt doch unpassend oder? „Blasphemisch- eine öffentliche Bloßlegung oder Gotteslästerung. Glaubst du nicht das ist ein wenig sehr hoch angesetzt, dich zu beschreiben?". Sie sagt es wie der Pokedex, bei der Serie Pokemon, wenn sie die Trainer über ein Pokemon aufklären, gelangweilt und kalt. Aber sie kichert und dreht sich um. Ich kann nur mitlachen, nicht nur das ich sie zum ersten Mal lachen höre, sondern weil ich nicht weiß, was ich darauf erwidern soll.

Be different (Nick JONAS) *beendet* Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt