(71) 02.11.1004 - nightcall

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Die Tage vergingen wieder recht schnell. Der Unterricht war dadurch auch rasch vorüber gezogen. Die Essenssituation in der großen Halle ließ ich öfters in Vergessenheit geraten. Da ich mich nach einigen seltsamen Tagen sehr darüber freute auf die Sitzgelegenheiten in der Bibliothek Platz zu nehmen und die Welt um mich herum zu vergessen konnte. All die Tage waren nichts im Vergleich zu dem, was ich lernen wollte um später all die großartige Magie in ein breites Spektrum zu benutzen. Ich wollte auch die Dunkelheit kennen lernen, weil man bekanntlich sagte, dass man das Licht erst durch die Dunkelheit wertschätzte.

All die Jahre bevor Professor Coléur kam, war ich mir sicher, dass die Freundschaft zwischen Vanessa niemals an die Privatstunden mit ihrem Großvater zerbrechen würde. Schließlich war sie oft auch anwesend und teilte mit mir die Liebe zur Dunkelheit. Sie kam mit mir zu Salazar und verließ ihn mit mir. Sie lernte mit mir und ich half ihr bei den anderen Tätigkeiten. Wir waren ein Geben und Nehmen. Wenn ich jedoch nun zurück dachte, dann würde es eher so aussehen, dass sie mich für das hasste, was sie von ihrem Großvater nie bekommen hatte.

Anerkennung für mein herausragendes Talent und die von ihm hochgelobte Gabe auch ohne Zauberstab zu hexen. Aufmerksamkeit, weil er mir jeden kleinsten Fehler wahrnahm und mir zeigte, wie es richtig ging. Achtung für das was ich erreichen wollte und bereits hatte. Salazar hatte in diesen Lehrstunden nur Augen für mein Talent und für mich. Ich hatte es aber in all der Zeit nicht gesehen oder realisiert, weil Vanessa immer weiter in den Hintergrund gedrungen war. Ich hatte alles versucht um ihr zum Bleiben zu bewegen. Doch sie war stur und auch sauer auf mich, weil ich in ihren Augen der absolute Liebling von Salazar war.

Die Jahre hatte ich gar nicht verstanden, weswegen sie so von mir dachte. Doch durch Coléur wusste ich, was hier gewaltig nicht stimmte. Salazar Slytherin wollte nicht mich begehren - sondern meinen Körper. Anscheinend weil er noch jünger und filigraner war als die seiner Frau. Aber all das verstand ich nicht, wieso hatte er mich auserkoren um mir zu zeigen, dass die Welt in der ich aufwuchs nicht die war, in die ich gehörte. Und weil ich noch dumm und naiv war, glaubte ich diesen Professor nicht und stattdessen rannte ich immer tiefer ins Unglück hinein. Immer wieder suchte ich die Gespräche mit meinen Lehrer für die Schwarzmagischen Zauberer. Immer wieder fing es mit einer praktischen Aufgabe an. Und immer wieder endete es in Streit und in körperlichen Übergriffen. Ich ließ es jedoch zu, weil ich das Gefühl hatte, dass ich es mitmachen musste. Es waren andere Zeiten und die Frauen wurden ungerecht behandelt. In jener Zeit gab es an jeder Straßenecke mehrere Frauen, die es mit jedem Mann trieben, weil sie ihr Leben sonst nicht leisten konnten. Auch gab es Frauen an jeder Ecke, die von einem Mann bereits vergewaltigt wurde.

Und an solchen Tagen wünschte man sich eine gute Freundin her um sich einfach bei ihr auszuweinen. Doch wenn man hier etwas darüber verlauten ließ, war die Frau die Dumme und daher war ich stumm geblieben. Mir blieb nichts anderes übrig, als das ich die Gespräche irgendwann mit dem neuen Professor führte, weil er glaubte, ich wäre zu sehr von anderen Dingen abgelenkt als mich auf den Unterricht zu konzentrieren. Wen er wüsste, dachte ich mir stetig. Obwohl ich mir manchmal dachte, dass er leicht in mein Kopf herumstochern konnte, wenn die Blockade nicht wäre. Brillant war dieser Kerl schon und zum anderen faszinierte er mich auch ein bisschen. Was verbarg er hinter seiner unsichtbaren Erscheinung? War er hässlich? Seine warme Stimme passte jedenfalls nicht zu diesem Schema.

Grübelnd bekam ich nichts von dem in den Kopf, was ich in diesem Buch lesen würde. So merkte ich auch gar nicht, die leisen Schritte, die sich zu mir herantraten. Murmelnd gab ich mein Unwohlsein hervor und war kurz davor meine Haare zu raufen. Im Moment schweiften meine Gedanken mehr um diesen Professor als um das was ich lernen sollte. Mehr oder weniger war ich kurz davor mein Gefühle freien Lauf zu lassen; als mich etwas Einhalt bot.

„Miss Gryffindor, solltet Ihr nicht schon längst in Euren Gemächern sein."
„Wie Ihr seht lerne ich noch und wo kann man sich besser konzentrieren wie in der Nacht in der Bibliothek, Professor Coléur."

Statt eines Fluchens seinerseits, hörte ich nur das hinwegschieben eines Stuhles. Interessiert sah ich vom Buch auf und sah in die leere Bibliothek. Ungläubig sah ich ihn an. Es fiel mir nun einfacher sein Standort zu lokalisieren. Vor einigen Wochen fiel mir schwer, den Ort seiner Stimme zu finden. Doch nun achtete ich wohl mehr auf ihn und seine fürsorgliche Ader mir gegenüber. Warum war er nur so zu mir? Er kannte mich doch noch nicht einmal von der Person. Und ich war auch nur einer seiner vielen Schülerinnen; die ihn nicht dauerhaft belagerten und irgendwelche dämliche Fragen zu ihm vordringen ließ. Ich wollte nur eine Antwort auf meine stumme Frage: Was in Merlins Name suchte er in meiner Nähe? Was suchte der Professor aus dem Hause meiner Feinde mitten in der Nacht bei mir?

„Professor, was wollt Ihr hier?"
„Es war mir einfach danach. Wahrscheinlich nur um zu sehen, wie Ihr etwas lernt."
„Oh, eine Ehre." säuselte ich ihm entgegen.

Ich widmete mich wieder das Buch in meiner Hand, welches immer noch die Seite aufzeichnete auf der ich gelesen hatte.

„Es ist ziemlich ungewöhnlich Euch beim Lernen zu sehen."
„Gewöhnlich lerne ich nachts besser."
„Wenn Ihr meine Erklärung ein Ohr schenken möchtet, so könnte es doch sein, dass Euch nachts so langweilig sein würde, dass ihr freiwillig lernt. Aber dann würde ich doch gerne wissen, warum Ihr Euch im Unterricht nicht beteiligt und manchmal nur teilnahmslos in diesem sitzt?"

Ich lächelte ihn überlegen an und seufzte. Ich legte mein Buch weg, beugte mich etwas zu ihm.

„Weil ich mein Wissen nun mal nicht mit jedem teilen möchte."

Ich klimperte noch einmal mit meinen Augen, bevor ich mein Buch wieder nehmen wollte. Doch es wurde mir weggenommen. Der Professor musterte das Buch - so schien es mir. Es sah komplett verhext aus - als er das Buch in seinen unsichtbaren Händen hielt und herum blätterte. Es faszinierte mich immer wieder, wie er zu solchen Handlungen fähig war. Natürlich warf er auch oft Kreide nach geschwätzigen Schülern; die damit nicht rechneten. Vor allem faszinierte es mich, dass er egal welches Buch er hielt, jedes behandelte als wäre es ein ganz besonders großer Schatz. Mochte er etwa auch die Vielfalt des Wissens? Mochte er auch die Weisheit über Weiß und Schwarz, die Ideologie über Gut und Böse oder die Leidenschaft sich zwischen Dunkelheit und dem Licht hin- und her zu bewegen?

„Wie kommt Ihr zu einem Buch aus der Verbotenen Abteilung?"

Expecto PatronumWo Geschichten leben. Entdecke jetzt