Volker zuckte mit den Schultern und trank ein paar Schlucke von seinem Bier. Aus seiner Mimik sprach nicht gerade Begeisterung, doch mich ließ das kalt. Ich wollte Antworten und ich konnte spüren, dass sie zum Greifen nahe waren.
"Es wird nicht lange dauern", mischte sich Tristan nun ein.
"Zeit habe ich eh genug." Fast meinte ich, Verbitterung in Volkers Stimme zu erkennen. Aber vielleicht bildete ich es mir auch nur ein.
"Früher warst du nicht mit den anderen Jugendlichen aus dem Ort befreundet, oder?", fragte ich sofort. Dass das sehr direkt formuliert gewesen war, interessierte mich kaum.
Volker legte die Stirn in Falten und fuhr sich mit der Hand darüber, als wolle er sie einen Moment später wieder glätten. "Stimmt. Ich bin lieber alleine. Ein paar Mal bin ich mit ihnen zum See gefahren, habe aber schnell festgestellt, dass es nicht zu mir gepasst hat. Die waren nicht so wie ich und wir hatten eigentlich nichts gemeinsam, außer das wir alle im selben Dorf gewohnt haben. Also habe ich nichts mehr mit ihnen unternommen, warum sollte ich auch?"
"Aber warst du dann nicht einsam?", hakte ich nach und stützte mich mit den Ellenbogen auf den Tisch.
"Manchmal, aber mich hat es nicht wirklich gestört", erwiderte Volker und kratzte sich an seinem Bart. Es sah aus, als hätte er sich schon mindestens eine Woche lang nicht mehr ordentlich rasiert.
"Das heißt, du hattest eigentlich kaum etwas mit ihnen zu tun?", stellte ich klar.
Bevor er einen weiteren Schluck Bier nahm, nickte er und ich hätte am liebsten einen Fluch ausgestoßen. Ich hatte wenigstens auf eine spektakuläre Geschichte gehofft, die erklärt hätte, warum er nicht in der Clique gewesen war. Aber bei verschiedenen Interessen hatte er wahrscheinlich nicht viel von den anderen gewusst. Und gerade auf dieses Wissen brannte ich regelrecht.
Doch wenigstens einen Versuch wollte ich wagen. "Waren meine Mutter und David eigentlich jemals ein Paar?"
Erneut zogen sich Volkers buschige Augenbrauen zusammen. "Yvonne und der?"
Meine Hände verkrampften sich und ich presste die Lippen aufeinander, während ich hektisch nickte. Ich wollte seine Antwort hören, aber ich hätte mir auch am liebsten die Ohren zugehalten. In mir fühlte ich nichts, außer den Wunsch, dass die beiden keine Beziehung gehabt hatten.
Während ich Mühe hatte, vor Wissensdurst überhaupt noch stillsitzen zu können, trank Volker seelenruhig weiter. Das trieb mich beinahe zur Weißglut und ich musste mich zwingen, ruhig zu bleiben und ihm nicht an die Kehle zu springen, um die Antwort aus ihm herauszupressen.
Sag es endlich!, hätte ich ihn am liebsten angeschrien. Stattdessen spürte ich, wie sich mein Gesicht rot färbte und mich eine Hitzewelle überrollte. Ob sie von der Aufregung oder der Wut auf Volkers Gelassenheit stammte, konnte ich selbst nicht genau bestimmen. Vermutlich von beidem etwas.
Wahrscheinlich sah ich gerade aus wie ein spanischer Stier, dem man mit dem roten Tuch vor der Schnauze herumwedelte, denn Tristan legte unter dem Tisch beruhigend eine Hand auf mein Knie. Seine blauen Augen musterten mich besorgt und ich schob seine Hand unauffällig weg.
"Mitbekommen habe ich ja nicht viel", meinte Volker und seine Worte zogen sich wie Käsefäden in die Länge. "Uwe, bring mir noch ein Bier. Und am besten einen Schnaps dazu!" Wie konnte er nur diese Ruhe aufbringen und sich noch etwas bestellen, während ich neben ihm fast explodierte? Jeder Muskel in meinem Körper war zum Zerreißen gespannt und ich knirschte mit den Zähnen.
"Was war denn nun?", fragte Tristan und legte den Kopf schief. In diesem Moment hätte ich ihm nicht dankbarer sein können.
Mit jeder Sekunde schienen meine Augen größer zu werden, bis Volker endlich den Mund aufmachte. Gedehnt sagte er: "Keine Ahnung."
Mit dem vernichtenden Blick, mit dem ich ihn bedachte, hätte ich problemlos eine ganze Kirchengemeinde ins Jenseits befördern können. Aber Volker bemerkte das gar nicht. Seine ganze Aufmerksamkeit wurde von Uwe beansprucht, der ein weiteres Bierglas vor ihm abstellte.
Wieso hatte er keine Ahnung? Hatte er so in seinem anderen Universum gelebt, dass er wirklich gar nichts gewusst hatte? Oder war er vielleicht schon damals die ganze Zeit so betrunken gewesen, dass er die Welt um sich herum nicht richtig wahrgenommen hatte?
"Hast du nie etwas gehört?", ergriff Tristan erneut das Wort. Anscheinend hatte er bemerkt, wie sehr mich Volkers Antwort auf die Palme brachte und dass ich nicht fähig wäre, einen Satz herauszubringen, ohne Volker ins Gesicht zu brüllen.
Dieser zuckte nur mit den Schultern. "Denkst du, ich habe mich für so etwas interessiert? Wenn ja, dann liegst du definitiv falsch."
"Das meine ich nicht. Aber man hat doch bestimmt etwas davon gehört, wenn sich zwei Leute sehr gut verstanden haben, oder?", verbesserte Tristan sich und ich bewunderte ihn für seine Beherrschung.
"Ja, schon", erwiderte Volker und saugte den Schaum von seinem Bier herunter. Etwas davon blieb an seinem Bart hängen und ich schob ihm wortlos und mit Nachdruck eine Serviette von der anderen Seite des Tisches zu. Musste er sich denn alles so aus der Nase ziehen lassen?
"Und?" Tristan hob die Augenbrauen und ich hätte seine Frage am liebsten wiederholt. Konnte Volker nicht einfach Klartext reden? Oder ging das ab einer bestimmten Promilleanzahl etwa nicht mehr? Ich verschränkte die Arme und beobachtete ihn, wie er sich mit der Serviette über den Mund fuhr.
"Genau weiß ich es nicht", meinte er gemächlich. "Aber die Yvonne hätte ja schließlich jeder gern gehabt."
Scharf sog ich die Luft ein. Wollte er damit sagen, dass viele Männer meiner Mutter schöne Augen gemacht hatten?
Sofort kam mir wieder Davids Liebesbrief in den Sinn. Die Wortgewalt, in der er verfasst war, traf mich noch immer und ließ mich zusammenzucken. Hatten etwa noch andere Jungs sie so geliebt? Hätten dann nicht noch viel mehr Leute ein Mordmotiv, als wir zuerst vermutet hatten?
Tristan schien etwas Ähnliches zu denken, denn er warf mir einen seiner typischen Blicke zu. "Hatte sie denn irgendwann einmal einen Freund? Oder gab es jemanden, mit dem sie besonders gut befreundet war?"
"Woher soll ich das denn wissen? Kann sein, kann aber auch nicht sein", antwortete Volker und klang genervt. Als wolle er sich beruhigen, kippte er gleich etwas Bier hinterher.
Ich atmete ein paar Mal tief durch. Die Luft in der Gaststätte war schon etwas stickig und der Geruch nach Bier, Frittierfett und gebratenem Fleisch setzte sich in meiner Nase fest. Von der Gruppe Menschen ein paar Meter weiter drang Lachen herüber.
"Was war mit dir? Mochtest du meine Mutter auch so gerne? Hättest du sie auch gerne gehabt?", fragte ich und benutzte absichtlich denselben Wortlaut, von dem Volker eben schon Gebrauch gemacht hatte.
Er überlegte kurz. "Sie war hübsch, intelligent und hilfsbereit, was will man mehr?" Ein Lachen drang über seine rissigen Lippen.
"Hat David das auch so empfunden?" Die Worte kamen nur mit Mühe aus meinem Mund. Volker war anscheinend wirklich nicht in der Lage, mir eine klare Antwort auf meine Frage zu geben. Vielleicht hatte er ja wirklich in seiner eigenen Welt gelebt oder sich so sehr von allen abgegrenzt, dass er überhaupt nichts mitbekommen hatte.
Dieses Mal schaute Volker mich direkt an. "Yvonne und der? Ne, bestimmt nicht."
Erneut lachte er. "Sie war doch mindestens ein bis zwei Jahre älter als er. Glaubst du wirklich, sie hätte sich für jemanden in seinem Alter interessiert?"
Fast fiel mir ein Stein vom Herzen und ich konnte mich wieder entspannen. Meine Gliedmaßen fühlten sich etwas taub an und ich schüttelte meine Arme und Beine unauffällig aus.
Doch Volkers Gesichtsausdruck wurde plötzlich ernst. "Wobei, wenn ich mir das recht überlege: Ich habe die beiden wirklich ziemlich oft zusammen gesehen. Und die Dorfgruppe hat ja auch sehr viel Zeit miteinander verbracht. Eigentlich wäre das tatsächlich gut möglich."
Nun rutschte mir das Herz in die Hose. Meine Hoffnung sank und ich brachte meine gesamten schauspielerischen Künste auf, um mir nichts anmerken zu lassen.
"Die beiden haben sich wirklich gut verstanden und es könnte gut sein, dass zwischen ihnen mehr als nur Freundschaft war", fügte Volker hinzu und griff nun zu seinem Schnaps. Wahrscheinlich musste selbst er die Erkenntnis, die er soeben gewonnen hatte, erst einmal verdauen.
Ich lehnte mich zurück und schloss kurz die Augen. Dieses Gespräch raubte mir wirklich meine ganze Kraft und ich konnte trotzdem nicht abschätzen, ob Volker tatsächlich richtig lag oder nur etwas in die damalige Situation hineininterpretierte. Das hielt ich nicht für ausgeschlossen, auch wenn viel dafür sprach, dass Mama und David wirklich ein Paar gewesen waren.
"Warum wollt ihr das eigentlich wissen?", fragte Volker plötzlich und schaute misstrauisch zwischen Tristan und mir hin und her.
Langsam setzte ich mich wieder auf. "Du erinnerst dich ja an meine Schwester. Man hat den Mordfall bis heute nicht aufgeklärt. Und wir wollen ihren Mörder finden", erwiderte ich wahrheitsgemäß. Dass diese Antwort nicht unbedingt die beste war, wurde mir erst einen Augenblick später klar.
Volker hielt einen Moment lang inne und zuckte mit keiner Wimper. Dann brach er in schallendes Gelächter aus und drehte sich zu dem anderen, besetzten Tisch um. "Hey", rief er den Leuten dort zu und deutete auf uns. "Die beiden suchen nach dem Mörder von der Kleinen!"
DU LIEST GERADE
Lavendelblütenmord
Mystery / ThrillerWie in jedem Jahr verbringt Isabelle die Sommerferien bei ihren Großeltern in dem Dorf, wo ihre Schwester vor über sechzehn Jahren grausam getötet wurde. Dort stößt sie auf den gleichaltrigen Tristan, der es sich zum Ziel gesetzt hat, den ungelösten...