"Steht sie auf der Liste?", sah ich meine Mom einen Arzt fragen.
"Ja, ich versichere Ihnen, dass sie die Erste sein wird, sobald ein geeigneter Spender vorhanden ist."
Ich erkannte an seinem Gesicht, dass er log. Kleine Schweißperlen liefen ihm über die Stirn. Nervös knickte er eine Ecke des Blattes hin und her, das er mit einem schwarzen Klemmbrett in beiden Händen festhielt, doch meine Mutter schien all diese Anzeichen nicht zu bemerken.
"Was passiert, wenn die Spende zu spät, oder gar nicht eintrifft?", wollte mein Vater wissen.
Kleine Stirnfältchen verrieten mir seine Besorgtheit.
Um so mehr Worte sie wechselten, desto verwirrter wurde ich.
"Machen Sie sich keinen Kopf! Wir wissen was wir tun."
Obwohl es um mich ging, schien mir niemand etwas verraten zu wollen.
Vorsichtig stand ich auf und lief einen weiten Korridor entlang. Menschen in weißen Kitteln gingen von Tür zu Tür. Krankenschwestern teilten Essen aus oder assistierten den Ärzten. Nicht eine Person schien mich zu bemerken.
In diesem Wissen ging ich auf ein offen stehendes Zimmer zu und lehnte mich gegen den Türrahmen. Ein junges Mädchen lag in Mitten des Raumes, doch ihr Gesicht blieb mir verborgen. Neben ihr saß ein Junge mit dunklem, gelockten Haar. Seine Händen umfassten ihre rechte Hand und ein kleines Lächeln huschte ihm über die Lippen. Sie schlief, doch das hielt ihn nicht davon ab zu erzählen, wie er in das Krankenhaus geeilt war, nur im sie zu sehen.
Ein Mann und eine Frau, höchstwahrscheinlich die Eltern des Jungen, stellten einen gut geschmückten Strauß aus orangenen und gelben Blumen auf den Nachtisch des Mädchens. Ich hatte das Gefühl, die Erde würde sich langsamer drehen, um diesen wunderschönen Moment einzufangen. Alles schien ruhig und sicher, bis zwei Ärzte und Schwestern an mir vorbei rannten, direkt zu der Patientin. Die Geräusche des Herzmonitors wurden schneller und die Ärzte hektischer. Das Mädchen hatte ihr Bewusstsein verloren und bekam auf Befehl des Arztes eine Spritze.
"Ohne Spender hält sie nicht mehr lange durch!", bestätigte ein etwas rundlicher Mann.
Dem Jungen liefen kleine Tränen über die Wangen.
Sein Blick wurde ernster, bis er sich schließlich äußerte: "Bitte lasst sie nicht sterben! Ich wäre bereit eine Niere zu spenden."
"Nein, das wirst du nicht!", rief die Mutter des jungen Mannes.
"Mom, bitte! Sie wird sterben. Außerdem habe ich zwei gesunde Nieren und sie nicht einmal eine. Bitte!", flehte er.
"Junge, das funktioniert nicht so einfach, wie du dir das vorstellst.", warf der Arzt ein.
"In eurer Erwachsenenwelt muss immer alles so kompliziert sein. Sie nehmen eine meiner Nieren und setzen sie ihr ein. Das werden Sie doch wohl schaffen, oder?", fragte er angespannt.
"Eure Blutgruppen müssen übereinstimmen. Außerdem ..."
"Sie stimmen überein!", unterbrach er den Mann im weißen Kittel.
Die Eltern des Jungen und der Arzt warfen sich skeptische Blicke zu.
"Bitte!", bettelte er erneut.
"Warte, Haz!", rief sein Vater.
Haz? War das sein Name?
Die Schwestern kümmerten sich um das Mädchen, deren Zustand sich von Minute zu Minute verschlechterte, während die Ärzte sich mit den Eltern berieten.
Haz' Kinn zitterte. Er versuchte die Offenbarung weiterer Tränen mit aller Kraft zu verhindern.
Seine Mom schien das Gespräch beendet zu haben und ging zu ihrem Sohn. Sanft legte sie eine Hand auf seine rechte Schulter und sagte: "Schatz, wir erlauben dir schweren Herzens eine Niere zu spenden. Alles andere haben wir mit den Ärzten besprochen. Ich frage dich ein letztes Mal. Bist du dir absolut sicher, dass du das machen möchtest?"
"Ja, Mom! Ja!"
Der Junge folgte den Anweisungen des Arztes, während die restlichen Schwestern das Mädchen zur Tür fuhren.
Ich wusste nicht wieso, aber mich packte die Neugier. Ich wollte unbedingt sehen, wer sie war.
Langsam rollte das Krankenbett auf mich zu. Ich trat ein Stück zurück, um Platz zu schaffen und sah sie. Ein kalter Schauer lief mir den Rücken hinunter. Ich blieb wie versteinert an ein und derselben Stelle stehen. Wie konnte das möglich sein? Bildete ich mir das nur ein? Sie war ich.