Die Schwester eines Musketiers

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Der Degen blitzte in meiner Hand, ich wirbelte herum und parierte Philippes Stich mit Leichtigkeit. Eine lockere Drehung aus dem Handgelenk und sein Degen fiel zu Boden. Heu stob auf, Staub erfüllte die Luft und die Geräusche der Tiere unseres Hofs, nicht weit von Paris, erfüllten den warmen Julimorgen mit der mir vertrauten Atmosphäre. Ich blickte dem Degen ungläubig hinterher, denn es war tatsächlich das erste Mal, dass ich auch nur ansatzweise an meinen älteren Bruder Philippe ran gekommen war. Und dann hatte ich ihn auch noch entwaffnet?
„Sieg!!“ jubelte ich, reckte meinen Degen in die Höhe und tanzte im Kreis um Phil herum.
„Gut gemacht Mae.“ grinste er, doch ich sah den Hinterhalt in seinen Augen aufblitzen, und rollte mich auf dem Boden ab, als er mit einem Salto über mich sprang, um seinen Degen wieder zu erlangen.

Der Degen meines Bruders war wunderschön, und sein ganzer Stolz, seit er vor über 10 Jahren in die Garde des Herrn von Treville eingetreten war. Mein zweiter, ebenfalls älterer Bruder Aramis hatte es ihm vor 3 Jahren gleich getan, und seit dem kehrten die beiden mit den tollsten Abenteuergeschichten zurück, die es in ganz Paris zu erzählen gab.
Phil kreuzte seine Klinge mit der meinen, und ich fokussierte mich auf seine Schwachstelle. Seine linke Hand ließ immer etwas Deckung offen, da er zwar mit beiden fechten konnte, aber eindeutig rechts stärker war. Momentan war er allerdings noch von einer alten Wunde gezeichnet, und konnte so nur mit links fechten, und das nutzte ich gnadenlos aus.

Trotz seiner schwächeren linken Hand war es mir bis heute nicht gelungen ihm auch nur ansatzweise gefährlich nahe zu kommen, und mein Sieg vorhin machte mich wagemutig.
Ich gab mir bewusst Blöße um ihn an mich heran zu holen, doch sobald er nah genug war, setzte ich zum Streich an, und parierte eisenhart seinen Schlag, der so nur eine weitere Schramme auf meinem Arm hinterließ.
Ich focht verbittert, denn wenn ich jetzt verlor, würde das vorherige nur als Glücksfall gelten, und das konnte ich mir nicht erlauben.

Doch kaum hatte ich Phil erneut so weit in die Ecke gedrängt, dass er sich geschlagen geben musste, hörten wir Maman rufen.
Ihre raschelnden Röcke kamen immer näher, und mit panischem Gesichtsausdruck warf ich den Degen in sein Versteck im hinteren Teil der Scheune, wo das Heu so hoch lag, dass niemand dort suchen würde.
Ich versuchte irgendwie mein Kleid zu ordnen und Phil zupfte meine Haare zurecht, doch Maman musste nur einen Blick auf uns werfen, um zweifelsfrei zu wissen, was hier stattgefunden hatte.
„Marie Christiné!“ schimpfte sie, und ich zuckte bei meinem mir verhassten Namen zusammen, war ich doch nur an das Mae meiner Brüder gewöhnt.
„Aber Mutter...“ versuchte ich zu widersprechen, doch sie schnitt mir mit einem bösen Blick das Wort ab, und schickte mich ins Haus.
Selbst Phils aufmunterndes Zwinkern konnte mich nicht vor der schlechter Laune und den Tränen retten, die mich, kaum das ich in meinem Zimmer war, anfielen.

„Wieso kannst du nicht verstehen, dass das heiraten für mich unwichtig ist?“ schrie ich meine Mutter wenig später an, als sie mir erneut die übliche, vorwurfsvolle Rede gehalten hatte, die ich bereits auswendig kannte. Phil war wieder zu Aramis in die Stadt geritten, da seine Wunde auskuriert war, und so konzentrierte sich alle Energie meiner Mutter wieder auf mich.
„Mein junges Fräulein. Eine junge Dame kann kein Musketier werden, und sie sollte auch nicht ansatzweise daran denken.“ zischte meine Mutter, und drückte meinen Arm noch ein wenig fester.
„Werd endlich wach und hör auf zu träumen.“ sagte sie, bevor sie meine Zimmertür schloss, und schwerfällig die Stufen hinab stieg.

Abends lag ich in meinem Bett, und blickte genau in das bleiche Angesicht des Vollmonds, der durch mein Fenster in mein Zimmer schien.
Getrocknete Spuren von Tränen ließen auf meinen Wangen ein seltsames Gefühl zurück, und ich fasste den Entschluss, den ich schon viel früher hätte fassen sollen.
Ich stand leise auf, öffnete meinen Schrank, und holte die schwarzen Kleider heraus, die ich über die letzten Monate genäht hatte. Eine schwarze Hose, ein schwarzes Leinenhemd und ein schwarzer, wollener Umhang. Dazu meine schwarzen, schmucklosen Lederstiefel und einen schwarzen Hut, an dem ich eine weiße und eine schwarze Feder befestigt hatte.
Leise zog ich mich an, nahm den Lederbeutel, in den ich über die Jahre all das Ersparte gesteckt hatte, was ich zusammen bekommen hatte und steckte in der Küche noch etwas Proviant ein.
In der Scheune holte ich meinen Degen und aus dem Stall meinen Hengst Alexandré. Sein pechschwarzes Fell schimmerte dunkel im silbernen Licht des Mondes. Ich saß auf und gab ihm das Signal zum losgaloppieren. Ohne noch einmal zurück zu blicken zog ich mir den Hut tiefer ins Gesicht, und machte mich auf den Weg nach Paris.

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