1.Kapitel

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"Ich muss los. Wir sehen uns morgen!" verabschiedete ich mich von Consti. Canstantin Stenger war 18 Jahre alt, mein bester Freund und wir gingen beinahe jeden Tag gemeinsam Basketball spielen. Und in einer Woche würden wir beide auf einen fünf Wochen langen Tripp nach Berlin fahren und so richtig einen drauf machen und unsere Freiheit geniessen. Die Abi-prüfungen hatten wir bereits alle hinter uns und geplant war der Tripp auch schon auf genauere Einzelheiten.

Gerade hatten wir unser heutiges Training beendet und ich stand auf meinem Longboard auf dem Weg nachhause. Meine Mutter hatte gesagt ich solle mich beeilen, damit wir früher zu Abend essen können, weil sie später noch einiges zu tun hätte. Ich lief die Treppe zur Einganstür hinauf, schloss die Tür auf, klemmte mir das Longboard unter den Arm und ging etwas gemütlicher die letzte Etage hoch. Vor unserer Wohnungstür blieb ich stehen und wollte gerade aufschließen, als ich bemerkte dass sich auf der anderen Seite der Tür zwei Leute miteinander streiteten. Ich schloss leise auf und betrat das Vorzimmer, zog meine Schuhe aus und versuchte nicht zu genau zuzuhören. Ich hielt mich am liebsten immer aus den Streiterein meiner Eltern raus. "Jonas, du bist ja schon zuhause." meine Mutter hatte mich anscheinend bemerkt und versuchte schnell so zu tun als wäre nichts passiert. Sie strich sich eine Strähne aus dem Gesicht. Ihr Lächeln war sehr bemüht, aber man merkte ihr die Müdigkeit an. Seit einem halben Jahr vergrub sie sich Tag für Tag mehr in ihrer Arbeit und mein Vater hegte seitdem den Verdacht sie würde ihm untreu sein. Dabei schufftete sich meine Mutter echt ab. Denn mein Vater hatte vor einiger Zeit seinen Job aufgegebn und machte nur hier und da eine Kleinigkeit um Geld zu verdienen. "Ja bin ich. Gibt's Abendessen?" Ich legte das Longboard und meine Tasche ab und nahm sie kurz in den Arm. "Steht schon auf dem Tisch." antwortete sie mit einem nicht ganz so echtem Lächeln. Die Arbeit und die ständige Streiterei schien ihr das Mark aus den Knochen zu saugen. Ich setzte mich auf meinen Platz und wollte gerade etwas sagen als die Tür zuknallte. "Anscheinend essen wir heute alleine." meinte sie bedrückt. Ich nickte und fing schweigend an zu essen.

"Wir lassen uns scheiden." Ich musste husten weil ich gerade ein Stück Toast in den Mund genommen hatte. Ich hatte zwar gewusst dass sich meine Eltern in letzter Zeit immer öfter streiteten aber das hätte ich irgendwie nicht erwartet. Wir saßen beim Frühstückstisch und mein Vater hatte mir gerade die Nachricht verkündet. "Seit wann steht dass fest?" fragte ich möglichst teilnahmelos um nicht Mitleid erregend zu wirken. "Schon seit einigen Wochen aber wir wollten dich nicht damit belasten weil du ja noch mit deinem Abi beschäftigt warst." gab er ehrlich zu. Ich nickte nur, stand auf und verließ das Esszimmer. Ich nahm mir mein Longboard, Handy, Schlüssel und etwas Geld und verließ ohne mich zu verabschieden die Wohnung. Noch fünf Tage bis ich mit Consti wegfahren würde. Die Zeit würde ich noch überstehen.

Als ich spät abends zurück kam saß meine Mutter weinend am Esstisch. Sie schien mich nicht bemerkt zu haben, deshalb ging ich direkt auf mein Zimmer. Ich konnte schließlich nichts mehr an der Situation verbessern. Ich konnte sie wahrscheinlich nur noch verschlimmern und das wollte ich eigentlich nicht. Also war es wohl besser wenn ich mich einfach zurückzog und ein unbeteiligter Zuschauer blieb. Auch wenn mir die Scheidung meiner Eltern etwas zu setzte.

Zwanzig Minuten später lag ich geduscht und umgezogen im Bett am Handy. Consti hatte mir die Nummern von zwei Mädels geschickt die er letztens auf einer Party kennen gelernt hatte. Ich schaute mir die Profilbilder der beiden Mädchen an und entschied mich für die jünger aussehende aber deutlich hübschere.

>Hey, ich bin ein Freund von Consti und er hat mir deine Nummer gegeben :)<

>Hei, hat mir schon davon erzählt ^^ Was machst du grad so? ;)<

>Ich lieg im Bett und schreib mit einem recht hübsch scheinenden Mädchen ;)) gibt's da vllt. noch mehr Fotos von? ;)<

Sekunden später erschienen auf meinem Display mehrere Fotos wo sie drauf war. Ich grinste. >Hübsch, hübsch, die Klamotten stören ein wenig, wenn du weißt was ich meine? ;)<

>Weist du ich bin grad alleine zuhause... Vllt. können wir uns die Fotos ja sparen?<

>wo wohnst du denn?<

eine halbe Stunde später hatte ich mich wieder umgezogen und war möglichst leise aus der Wohnung verschwunden. Ich genoss den kühlen Nachtwind auf meinen Armen während ich mit meinem Longboard die Straßen entlang fuhr. Wenige Minuten später war ich schon bei der besagten Adresse. Ich klingelte und ein eher schüchtern wirkendes Mädchen öffnete die Tür. Ich wollte gerade fragen ob ich richtig bin als eine Stimme rief dass sie mich hereinlassen soll und nach oben bringen soll. Ich dachte sie wäre alleine zuhause? Egal. Ich zog meine Schuhe aus und folgte dem Mädchen nach oben. Dort erwartete mich schon eine deutlich weniger schüchtern wirkende Annabeth. "Hey" meinte ich und lächelte sie an. "Du kannst gehen" meinte sie zu dem Mädchen bevor sie sich mir zu wand. "Komm mit." meinte sie grinsend und zog mich in ihr Zimmer.

Es war schon kurz nach vier als ich unten in der Küche von "Bethy" stand, sie hatte mich gebeten sie so zu nennen. Ich trank ein Glas Wasser und sah raus, als ich bemerkte dass jemand ins Zimmer kam. Ich drehte mich um und sah das Mädchen von vorhin. "Willst du mir nicht deinen Namen sagen?" meinte ich freundlich doch sie schüttelte nur zurückhaltend den Kopf und ging schnell wieder. Ich biss mir auf die Lippe. Hatte ich irgendwas falsch gemacht? Oder hatten sie die diversen Geräusche von vorhin verstört? So alt sah sie ja noch nicht aus. Vielleicht fünfzehn. Süß, dachte ich mir und musste grinsen.

Als ich am nächsten Tag wieder mit Consti auf dem Basketballfeld stand erzählte ich ihm von vergangender Nacht. Das schüchterne Mädchen ließ ich allerdings weg. "Bethy ist echt scharf. Aber sie kommt mir etwas zu offen für alles jeden vor." meinte er. "Aber hört sich ja nett an" er grinste mir zu und ging zum Spielfeldrand um etwas zu trinken. Ich folgte ihm. "Wie sieht es eigentlich bei dir mit Mädels aus?" "Uff. Ich weiß nicht. Ich schreib zwar mit ein paar hübschen aber so richtig was draus geworden ist es bei keiner was." Ich klopfte ihm auf die Schulter. "Das wird schon noch werden."

Die folgenden zwei Tage verliefen relativ ereignislos. Nur einmal hatte es geheißen ich müsste mich noch vor meiner Reise nach Berlin entscheiden zu wem ich ziehen möchte. Eigentlich nicht vermutend dass mir diese Möglichkeit gegönnt werden würde schlug ich vor ausziehen zu dürfen. Meine Eltern sahen sich kurz an nickten sich dann gegenseitig zu. Dann ergriff mein Vater das Wort. "Wenn du es schaffst dir bis Studiumbeginn eine bezahlbare Wohnung zu organisieren übernehmen wir die ersten zwei Mieten und helfen dir beim Umzug. Ich starrte die beiden an. Das war doch nicht deren Ernst, oder? Monatelang hatte ich immer wieder gefragt ob ich ausziehen dürfte aber das Geld reichte nicht und meine Eltern wollten mich auch nicht so richtig gehen lassen. Aber jetzt auf einmal war es in Ordnung? "Okay." Ich musste anfangen zu grinsen. Wie viele Möglichkeiten mir das eröffnete. Endlich alleine wohnen. Tun und lassen könnten was ich wollte.
Der Gedanke gefiel mir. Wenn ich geahnt hätte was diese Entscheidung für mein Schicksal bedeutet hätte, hätte ich den Vorschlag niemals gemacht. Doch hellsehen konnte ich leider nicht.

Gefangen im eigenem LebenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt