5. Vergangenheit.

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"Du weißt nicht, was mir vorhin passiert ist."

Violet, meine beste Freundin seit fast einem Jahr, setzt sich neben mich auf die Bank. Sie hat ihre braunen Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden und ihr grünes Kleid betont ihre Augen, die der Farbe einer Tanne im Sommer entsprechen. Viele kleine Sommersprossen zieren ihr Gesicht und lassen sie unglaublich süß aussehen.

Obwohl es schon Anfang Oktober ist, sitze ich draußen im Schulhof, um dort meine Pause zu verbringen und über Dinge nachzudenken, über die ich eigentlich nicht nachdenken sollte.

"Nein, tatsächlich weiß ich das nicht, aber ich kanns kaum erwarten, es zu hören."

"Sarkasmus?", fragt sie.

"Nein, wie kommst du denn darauf? Ich und Sarkasmus? - Niemals. Du musst doch wissen, dass ich immer-"

"Ja, ja, schon gut, Rose. Lass mich einfach erzählen. Also ich bin so schnell ich konnte den Gang entlanggerannt, um noch rechtzeitig zum Bio-Unterricht zu kommen, als ich mit voller Wucht gegen jemanden stieß."

So ist Violet immer. Erstens, macht sie sich immer erst in der letzten Sekunde auf den Weg zu ihrem Unterricht und zweitens, baut sie immer eine unangebracht lange Stille ein, wenn sie eine Geschichte erzählt. Und das meistens an der spannendsten Stelle.

"Und weiter?" frage ich. Sie beißt in ihren Apfel und kaut genüsslich. Und lange. "Violet!"

"Okay, also ich bin den Gang entlanggelaufen und dann heftig mit Daniel zusammengestoßen."

"Daniel Joseph?", frage ich. Daniel Joseph ist ein Junge im Jahrgang über uns. Er ist 17 und deshalb ein Jahr älter als ich. Mit seinen dunkelblonden Haaren und den meergrünen Augen, ist er sehr attraktiv. Außerdem spielt er Fußball und ist total beliebt. Daniel ist einer der besten Freunde von ihm.

"Natürlich war es Daniel Joseph. Oh Gott, wusstest du das er gut riecht? Irgendwie nach Rosen. Unglaublich." Sie scheint in Erinnerung an seinen Geruch zu schwelgen und plötzlich seufzt sie laut.

"Naja, jedenfalls wäre ich auf ihm gelandet, hätte er mich nicht festgehalten. Und dann haben wir eine Weile miteinander geredet. Ob du es glaubst oder nicht, er hat mich zu einer Party eingeladen."

Tatsächlich, ist das nicht überraschend. Mit ihrem schönen Äußeren und ihrem Charme, zieht Violet viele Jungs in ihren Bann. "Und dich natürlich auch", fügt sie nach einer Weile hinzu.

Verwundert schaue ich sie an. "Warum sollte Daniel mich zu seiner Paty einladen?", frage ich sie vollkommen verwirrt. "Er kennt mich doch gar nicht wirklich."

"Naja, er kennt dich schon, ein wenig. Und außerdem ist es eigentlich eine Party für einen Typen, den du sehr gut kennst." Ich schaue sie an.
"Es ist eine Überraschungsparty für Josh, zu seinem Geburtstag."

Heute ist der 3. Oktober. Ich weiß, dass Josh am 7. Geburtstag hat, das könnte ich nicht vergessen, aber ich kann nicht zu seiner Party gehen. Vor allem, da ich weiß, dass nicht er mich eingeladen hat, dass er mich nicht da haben will. Ich schüttle nur den Kopf.

Violet weiß alles darüber, was einst zwischen mir und Josh war. Ich habe sie kennengelernt, als meine Freundschaft mit ihm schon zu bröckeln begann und als schließlich alles vorbei war, war sie die Einzige, mit der ich über alles reden konnte.

Violet war die Einzige, bei der ich einfach weinen konnte, als mein Leben sich so schnell veränderte.

Seit ich bei unserer ersten Begegnung meinen Kakao über ihr T-Shirt schüttete, sind wir beste Freundinnen.
Und ich hoffe, dass das auch so bleibt, da ich nicht weiß, was ich ohne sie machen würde.

"Ich kann nicht. Das weißt du", sage ich schließlich.

Violet seufzt und legt ihre Hand auf meine, die auf der Bank zwischen uns liegt. "Rose, ich weiß, dass alles was passiert ist, nicht leicht für dich war. Aber immerhin, hat Josh Geburtstag. Er wird 17. Und ich bin mir sicher, dass du das eigentlich nicht verpassen willst."

Natürlich will ich es nicht verpassen. Josh und ich verbrachten seit unserem 10. Lebensjahr all unsere Geburtstage zusammen. Bis auf letztes Jahr, als er seinen Geburtstag bei irgendwelchen anderen Freunden feierte und den ganzen Tag nicht Zuhause war. Auch an meinem Geburtstag dieses Jahr, war er nicht bei mir.

Er ist im Oktober geboren, ich im Mai. So ist er immer ein halbes Jahr älter als ich. Josh hat mir immer an dem Tag nach seinem Geburtstag erzählt, wie es ist, nun ein Jahr älter zu sein.

Und sobald er ein Jahr älter wurde, wollte ich auch so schnell wie möglich eins älter werden, damit wir dieses Lebensjahr gemeinsam verbringen konnten. 

Aber jetzt ist alles anders, jetzt haben wir bereits zwei Geburtstage ohne einander verbracht und ihn scheint es nicht wirklich zu kümmern. Er wurde ohne mich 16 und ich auch ohne ihn.

Ich würde alles dafür geben, seinen 17. Geburtstag mit ihm zu feiern. Naja, eigentlich würde ich alles dafür geben, dass er seinen 17. Geburtstag mit mir feiern will, doch das wird nicht passieren.

"Rose, ich weiß nicht, was genau du gerade denkst, aber ich kann sehen, dass es nichts Gutes ist, also hör auf damit und sag einfach, dass du mit auf die Party kommst", Violet sieht mich bittend an.
"Es ist mir klar, dass es nicht leicht ist. Mir ist klar, dass es sogar ziemlich schwer ist, aber du musst jetzt weitermachen und Josh vergessen. Ich weiß, dass er dein bester Freund war und du seine beste Freundin. Aber die Zeit ist vergangen und die Umstände haben sich geändert. Ihr habt euch auseinandergelebt. Glaub mir, ich kenne mich damit aus. Du weißt ja, was mit mir und Adam passiert ist."

Natürlich weiß ich das. Adam war Violets bester Freund, bis er eines Tages wegzog. Sie erhielten die Freundschaft noch eine Weile, bis sie schließlich auseinanderbrach. Aber mit mir und Josh ist es anders. Er is noch immer da. Ich sehe ihn jeden Tag. Er wohnt verdammt noch einmal gegenüber von mir.

"Was ich damit sagen will ist, dass Freundschaften nunmal kaputt gehen. Du musst darüber hinwegkommen und genau deshalb gehst du mit mir auf diese Party."

Ich verstehe ihren Punkt nicht ganz, weshalb ich sie verwirrt ansehe.
"Rose, so wie es im Moment zwischen dir und Josh steht, kannst du echt nicht weitermachen. Euer Verhältnis ist einfach total angespannt. Also du machst Folgendes: Du gehst mit auf die Party, feierst mit all den anderen Leuten und mir den Geburtstag eines alten Bekannten, hast Spaß und schließt mit der Vergangenheit ab. Glaub mir, nur so kommt ihr vielleicht zu einem normalen, unangespannten Verhältnis. Allso bitte geh mit mit zu seiner Geburtstagsfeier, okay?"

Genau das ist der Punkt: Ich will kein normales, unangespanntes Verhältnis zu Josh.

Ich will ein besonderes Verhältnis zu ihm. Ich will so ein Verhältnis, wie wir es all die Jahre hatten. Ich möchte dahin zurück, wo wir einst waren. Dahin zurück, wo ich ihm alles sagen konnte und er mir immer zuhörte. Dahin, wo wir gemeinsam alleine waren.

Doch das ist nicht möglich.

Nie mehr können wir dorthin zurück, wo wir einst waren. Dafür haben wir uns einfach zu sehr voneinander entfernt. Violet hat Recht: Vergangenheit ist Vergangenheit.

Wir können sie nicht ändern oder dorthin zurückkehren, so funktioniert das Leben nicht. Das Einzige, was ich tun kann, ist zu versuchen, Josh wenigstens wieder ansehen zu können, ohne mein dämliches Herz und den Schmerz so stark zu spüren.

Weil es die einzige Möglichkeit ist, trotz allem noch mit Josh Zeit verbringen zu können, ohne irgendwelche verdammten Gefühle; weil wir nur so vielleicht einfach zwei Menschen mit einem normalen, unangespannten  Verhältnis zueinander sein können, sage ich zu Violet: "Okay. Ich komme mit. Aber du musst dafür sorgen, dass ich gut aussehe."

Violet kichert. "Natürlich, Süße. Dafür sind beste Freundinnen ja da."

Alone TogetherWo Geschichten leben. Entdecke jetzt