"Mutter, das ist Thomas Reed"

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Wie sollte ich das jetzt nur meiner Mutter erklären?

Der Applaus der Leute um uns herum verebbt langsam und die Menge löst sich auf. Zurück bleiben ich- eine überglückliche Animat- mein Verlobter Thomas Reed und meine drei neuen Freundinnen Cassandra, Julia und Mildred. Wobei Julia der Ohnmacht noch nicht entkommen ist. Thomas Arm ist noch immer um meine Taille geschwungen und ich bin nicht dazu bereit, diese von mir lösen zu wollen. Monatelang habe ich auf diese Berührungen gehofft, habe von ihnen geträumt. Musste mich stundenlang im Bett hin und her wälzen um Schlaf zu finden. Doch jetzt steht wahrhaftig Thomas Reed vor mir. Der Mann, der mein Herz erwärmt hat. Der Mann, der es mir schmerzlich gebrochen hat. Der Mann, den ich gewillt bin zu heiraten.
Das quiecken von Cassandra und Mildred reißt mich aus meinen überaus schönen Gedanken, die sich immer noch wie verrückt freuen, dass Thomas Reed endlich an meiner Seite ist. Die zwei haben Julia aus ihrer Ohnmacht befreien können und kommen nun mit einem glücklichen Grinsen im Gesicht zu uns und beglückwünschen uns, zu dem eben geschehenem. Nach einiger Zeit beschließe ich jedoch, dass es Zeit wird, mich meiner Mutter zu stellen. Eine Gänsehaut überzieht meine Haut und ich fröstel leicht, trotz des warmen Frühlingswetters und meinem Mantel, wenn ich nur an meine Mutter denken muss. Wir verabschieden uns höflich von meinen Freundinnen und gehen stillschweigend nebeneinander her. Erst als Thomas mir seinen Arm anbietet, werde ich aus meinen Gedanken gerissen, die sich damit beschäftigt hatten, zu überlegen, wie ich es Mutter am feinfühligsten und besten sagen könnte. Ihre Reaktionen könnten vielfältig ausfallen. Zum einen würde sie mich wohl überglücklich umarmen wollen, doch zum anderen würde sie vermutlich an Thomas Reeds Lebensstandard zweifeln. Ich kann meine Mutter in dieser Hinsicht recht schlecht einschätzen, was mich wirklich wütend macht und ich am liebsten einmal erbost mit dem Fuß aufgestampft wäre. Doch das gehört sich nicht für eine Dame.
Thomas Reed entspricht nicht dem Mann, den Mutter sich für mich vorgestellt hat. Statt einem reichen ansehnlichem Mann, gebe ich ihr nun einen mürrischen Bibliothekaren, der mit unhöflichen Kommentaren nur so um sich wirft. Den ich jedoch von ganzem Herzen liebe, genauso wie er ist. Seine mürrische, schroffe und verschlossene Art birgen Abenteuer. Außerdem hat er in seinem inneren einen solch weichen Kern, dass ich drohe dahin zu schmelzen, wenn ich auch nur an die Kinder denken muss, die er unterrichtet. An seine aufopferungsgabe für die Bücher und die Bibliothek und für seine doch so schwungvollen Launen, mit denen er mich jedes mal aufs neue fasziniert. Er ist ein Mann mit Anstand, Mut und Herzensgüte.
Voller Euphorie hake ich mich bei Thomas Reed ein und lächle ihn glücklich an. Auch in seinem Gesicht kann ich ein leichtes lächeln und ein glückliches strahlen in den Augen erkennen. Die Leute um uns herum mustern uns neugierig und tuscheln hinter vorgehaltender Hand. Ich bin mir sicher, morgen weiß die ganze Stadt von meinem Männerbesuch bescheid.

Einige Minuten später stehen wir vor der Tür, an welcher wir uns nach 3 Monaten zum ersten Mal wieder begegnet waren. Wenn er heute morgen nicht vor dieser Tür gestanden hätte, wie wäre dann nur alles verlaufen? Wäre ich mit jemand anderem glücklich geworden?
Ich klopfe und keine Minute später wird mir von Mary-Ann die Tür geöffnet.
Wir werden hereingebeten und einer ausgiebigen Musterung unterzogen. Mein und Mr. Reeds Mantel wird uns von Mary-Ann abgenommen. Bevor ich nach Mutters derzeitigen Standort fragen kann, dringt ihr Stimme aus dem Salon und innerlich bereite ich mich darauf vor, ihr zu erzählen, dass ich heiraten werde.
Mit Thomas an meiner Seite schreite ich in den Salon, wo Mutter mich schon freudig mustert. Doch ein kurzer argwöhnischer Blick bleibt für einige Sekunden auf Mr. Reed hängen, bevor ihre Augen sich wieder auf ihre Tochter richten. "Animat, da bist du ja, mein Schatz!" Verlegen räusper ich mich und schenke meiner Mutter ein leichtes Lächeln. "Mutter, dass ist Thomas Reed." Bringe ich nervös hervor. Thomas nickt freundlich, gibt ihr die Hand und bringt sogar ein kleines Lächeln zustande. "Sehr erfreut" erwidert er und auch meine Mutter scheint minder beeindruckt. Sie deutet uns an, uns ihr gegenüber zu setzen. Diese Aufforderung nehme ich nur zu gerne an und auch Mr. Reed nimmt neben mir Platz. Daraufhin mustert Mutter uns, sagt jedoch nur: "Entschuldigen Sie Mr. Reed wenn ich unhöflich erscheine, aber hat es einen Grund, weshalb sie sich außerhalb Londons aufhalten? Wenn ich recht in Erinnerung liege, haben sie eine Bibliothek in London zu führen? " Thomas ringt mit sich, so will er mir vermutlich die Entscheidung überlassen, dass ich es meiner Mutter erzähle, also unterbreche ich ihn. Ungeschickt und mit schwitzigen Händen nehme ich seine Hand in meine und schaue zu meiner Mutter. "Ich denke es ist an der rechten Zeit damit raus zu rücken. Ich weiß Mutter, die letzten Monate habe ich mich sehr zurückhaltend und ruhig verhalten. Mutter, du hast geahnt, wie es zu dieser Zeit um mein Herz stand. Nun, das lag daran, dass es bitterlich verletzt wurde, als ich mich einer Zurückweisung stellen musste. Doch dies ist vorbei, denn Mr. Reed, der Mann dem ich mein Herz geschenkt habe, hat mich um etwas gebeten. Mutter, wir wollen heiraten!" Jetzt ist es endlich gesagt und ich spüre wie eine last von meinen Schultern fällt. Thomas drückt aufmunternd meine Hand. Eine Wärme durchflutet mich von oben bis unten und in diesem Augenblick weiß ich, dass ich angekommen bin. Kein Buch der Welt, kann mich dies fühlen lassen, wie es Thomas Reed tut. Lange und intensiv schauen wir uns in die Augen, bis ich mich dazu durchringe, meinen Blick wieder auf meine Mutter zu richten. "Animat..." bringt sie erschrocken und fassungslos hervor. Sie ringt mit den Händen und weiß vermutlich nicht, was sie nun sagen soll. "Mutter..." fange ich verzweifelt an, werde jedoch von Mr. Reed unterbrochen, der beruhigend über meine Hand streichelt- mir somit versichert, dass er bleiben würde, egal was nun kommen mag- und meine Mutter entschlossen anblickt. "Miss Crumb, mit Verlaub, wenn ich dazu etwas sagen könnte. Ich weiß, ich werde nie dem Standard entsprechen, den sie sich für ihre Tochter gewünscht haben. Jedoch kann ich ihr ein Heim bieten, ich arbeite und verdiene genug. Und wenn das nicht ausreichen sollte Miss Crumb, ich versichere ihnen, dass ich ihre Tochter wirklich sehr Liebe und keine bösartigen Gedanken hege. Wenn ich das so sagen darf Miss Crumb, sie werden mich nicht los, denn ich kann und werde nicht ohne ihre Tochter nach London zurückkehren." Diese ehrlichen Worte durchfluten mein Herz, dass wild in meiner oberen Brustgegend schlägt. Das glückliche grinsen lässt sich nicht mehr vermeiden. Meine Gedanken wandern zurück nach London. Wie wir uns kindisch in dem Schrank vor Miss Brendon-Welderson versteckt haben, wie wir zusammen in Mr. Reeds Wohnung die Köpfe zwischen Büchern versteckt hielten, wie ich ihn gesund gepflegt habe oder wie er mich im Archiv erschreckt hat und ich mich angstvoll an ihn hatte geklammert. Meine Mutter bringt noch immer keinen vernünftigen Satz zustande, nur fassungslose geflüsterte Wortfetzen dringen an mein Ohr. "..Nachbarn denken...wohlhabend...Animat verliebt..glücklich...was..Vater sagen..."
Um ihr noch deutlicher zu machen, wie wichtig mir dieser Mann ist, sage ich nun mit leiser Stimme:"Mit Verlaub Mutter, dieser Mann ist mein Leben, so wie es die Bücher früher waren." Meiner Mutter stehen die Tränen plötzlich in den Augen und ich schwanke zwischen einem guten Gefühl und einem schlechten. Doch ihre nächste Reaktion, die doch so undamenhaft und plötzlich kommt, lässt mein Herz erwärmen. Meine Mutter steht innerhalb Sekunden auf den Beinen, kommt mit einem schnellen Schritt auf mich zu und umarmt mich ganz fest. Liebevoll streichelt sie meinen Rücken und leise Worte, durch einige Schluchzer geprägt, dringen an mein Ohr. "Oh Animat, ich bin so glücklich, dass du jemanden gefunden hast, den du lieben kannst. Glaub mir, ich habe schon fast aufgegeben, dich verheiratet zu sehen Ani, doch das gerade dieser, wie sagen die Leute doch alle -mürrische Bibliothekar- dein Herz erwärmt, damit habe ich beim besten Willen nicht mit gerechnet. Doch ich stimme dieser Hochzeit zu, denn ich sehe wie glücklich er dich macht!" Mit diesen Worten löst sie sich von mir, streicht mir zart über die Wange und wendet sich dann mit einem Tränenverschleiertem Gesicht an Thomas. "Mr. Reed, ich als Mutter habe mir immer einen Mann für meine Tochter gewünscht, bei dem ich weiß, dass sie in guten Händen ist. Ich kann nicht sagen, ob sie es bei ihnen ist, doch sie ist glücklich und das ist mir das wichtigste auf der Welt, weshalb ich dieser Verbindung ohne Ausnahme zustimmen kann!"
Weitere Worte bedarf es nicht und so verschwindet Mutter geschwind aus dem Salon, um uns alleine zu lassen.
Liebevoll schauen wir uns in die Augen. Stille breitet sich zwischen uns aus, bis Mr. Reed diese bricht. "Animat" flüstert er bedacht. "Ich Liebe dich!"

Lin_Rina
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Ende

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