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Den Weg durch den langen Flur legten sie schweigend zurück, beide in Gedanken versunken, doch schon als sie den Ausgang erblickten, brach Alex die Ruhe zwischen ihnen. ,,Was ist dir denn über die Leber gelaufen?" ,fragte er verwirrt, als die beiden Freunde aus den großen Eingangstoren des Schlosses traten und hinein in dem hellen Morgenschein. Coreys Gedanken hangen dem gutaussehenden, aber dennoch tragischer Weise erblindeten, Lee hinterher, sodass ihre Gedanken sie daran hinderten, dass breite Grinsen auf ihrem Gesicht abzuschütteln, was Alex sehr merkwürdig fand. ,,Nichts." Corey wante den Kopf zu Alex, dessen Blick misstrauisch auf ihrem Gesicht klebte. ,,Wollen wir dann mal los?", war nur ihre enthusiastische Antwort, während sie beschwingten Schrittes den Eisentoren des Hofes entgegenkamen. Alex seufzte. ,,Klar." , erwiderte er, doch das aufkeimende eifersüchtige Gefühl in seinem Innern konnte er nicht verhindern, was ihn schwer schlucken ließ. Lee wird keine Bedrohung für mich darstellen, dachte er mit klopfenden Herzen. Hoffe ich. Beide liefen den Weg, den sie gestern gekommen waren, zurück und kamen schon bald am großen Marktplatz an, der jedoch wegen der frühen Uhrzeit menschenleer war, die Stille hing wie ein unsichtbarer Schleier über den Platz. Nervös klammerte sich Corey an ihre Rucksackträger, das fröhliche Grinsen von eben, war nun spurlos verschwunden und die altbekannte Unsicherheit breitete sich in ihren Körper aus. Ab und zu kamen ihnen Verfluchte entgegen, lächelten flüchtig oder hielten dem Kopf stur nach unten gerichtet. ,, Schlimme Zeiten." , hörte sie Alex murmeln, der eine kleine Frau, die gebückten Schrittes ihnen entgegenkam, beobachtete. ,, Warum?" Ein Seufzer entwich Alex Mund, Trauer und Wut war in sein Gesicht geschrieben. ,, Die Verrückten, also die Verfluchten, die nicht mehr ganz klar im Kopf sind, entführen immer mehr Bewohner. Und niemand sieht die Entführungen." Corey runzelte die Stirn. ,, Aber jemand muss doch etwas mitbekommen haben. Sie können sich nicht einfach in Luft auflösen." Ihr Freund lachte freudlos auf. ,, Oh doch. Ein Freund hatte mir gestern über den Stand der Dinge berichtet. Vor kurzem sah er einen jungen Knaben, er spielte auf dem Marktplatz mit seiner Schwester und am nächsten Tag wurde er als Vermisst gemeldet. So schnell kanns gehen." Corey war geschockt. ,, Und niemand kam bis jetzt zurück?" Ein Kopfschütteln von Alex reichte ihr und sie fragte nicht weiter nach und schwieg stattdessen während beide an den, noch zuen, Läden am Marktplatz weiter entlangliefen.

Sie pasierten das alte modrige Tor, auf dem oben noch immer die unheilverkündende Warnung stand, welches noch dreckiger als zuvor auszusehen schien und nahmen den gleichen und einzigsten Kiesweg, wie zuvor. ,, Wie viel Zeit ist jetzt wohl in der Menschenwelt vergangenen?" , fragte Corey sich, als ihre Gedanken mal wieder zu ihrer Mutter glitten, welche bestimmt schon verzweifelt, Zuhause, tonnen von Taschentücher vollheulte. ,,Wir sind jetzt seit ca. 12 Stunden hier.", erklärte Alex, während er mit großen Schritten den Kiesweg entlang lief, wodurch Corey nur schwer hinterher kam. ,,Also sind jetzt in der Menschenwelt ein einhalb Tage vergangen.", sagte er, ohne mit der Wimper zu zucken. Corey machte überrascht einen Satz nach Vorn, straucherte, fing sich jedoch, während sie mit verwirrter Miene Alex musterte. ,, Oh man.." , entkam es ihr, nachdem sie sich aufrappelte und weiterhin hastig hinter ihrem Freund hinterher lief. ,,Und warum bist du nicht dazu befugt mit mir über meinen Vater zu reden?", fragte Corey, der das Gespräch vom gestrigen Tag durch den Kopf jagte. ,, Er ist mein Vater und ich habe ein recht etwas über ihn zu erfahren!" Alex Hand legte sich auf die rechte Jackentasche, er zögerte unsicher, doch er öffnete sie trotzdem zum Vorschein kam ein, in Leder gebudenes, Buch. Corey hob fragend eine Braue, ehe sie nach dem Buch griff, das er ihr hinreichte. ,, Du hast auch irgendwie alles in deiner Jackentasche." Sie schlug im gehen neugierig den Deckel des Buches auf, wobei ein kleines zerknittertes Blatt herausfiel. Sofort blieb Alex stehen, bückte sich danach, neugierig und erwartungsvoll und legte es zurück auf das geöffnete Buch. ,,Danke..", murmelte Corey abwesend, denn sie hatte nun die altmodisch geschriebenen Buchstaben auf der ersten Seite des Buches entziffern können und das Ergebnis ließ ihren Atem gefrieren. Die Initialen J.M waren mit schwarzer Tinte auf das Blatt geschrieben und lösten sofort eine Erinnerung in ihrem Gehirn aus. Die Initialen J.M auf einer alten Schatulle im Schlafzimmer ihrer Mutter, welche sie seit Jahren sorgsam aufbewahrte. Die Initialen J.M , die auf einer Bronzemedaillie standen, welche in der Holzschatulle drinne, im Schlafzimmer ihrer Mutter, lag. ,, Dad." , entfuhr es Corey keuchend, nachdem sie sich kopfschüttelnd wieder ins Hier und Jetzt befördert hatte. ,, Das Buch ist von meinem Dad." Alex neben ihr nickte. ,,Mein Auftrag war es, dir dieses Buch zu geben, wenn du Fragen über das Dämmerungsland und deinen Vater stellst. Ich selbst weiß nicht was dort drin steht, oder warum man dieses Buch im Schloss aufbewarte, aber der Helfer der zweiten Auserwählten sollte ihr es überreichen. Das stand jedenfalls in der Schriftrolle, die dein Vater geschrieben und zum Buch dazugelegt hatte." Corey Augen überflogen die ersten paar Zeilen des Kapitels, welches den Titel "Einführung" vorwies, nachdem sie die Seite unschlug.

Einführung

Diese Worte sind einzig und allein für Corey McDiver, der zweiten Auserwählten und meiner leiblichen Tochter bestimmt und sollten von niemand anderen gelesen werden.

Corey schluckte schwer und blickte blinzelnd auf. ,, Mein Vater wusste, dass ich eine Auserwählte bin?" Heißt das, er kam nicht aus der Menschenwelt? ,,Dein Vater kam von hier, Corey. Er ist hier im Dämmerungsland aufgewachsen.", sprach der Katzenjunge ihre Gedanken aus. Corey klappte das Buch in ihren Händen zu, unfähig noch weitere Worte ihres Vaters zu lesen und ließ es in ihren Rucksack verschwinden. ,,Aber er verließ das Dämmerungsland und reiste in die Menschenwelt, wo er ab da an lebte. Nur ein paar Kreaturen trauen sich dies, denn die Schatten der verlorenen Seelen geistern immernoch in der Menschenwelt umher." ,, Und dort traf er meine Mutter." , rätselte Corey weiter. ,, Er verschwieg ihr, dass er anders war und beide heirateten.." ,, Nein.", unterbrach Alex sie harsch. ,,Deine Mom weiß, dass er eine Kreatur war, denn sie weiß auch über das Dämmerungsland bescheid. Eigentlich untersagt der König dies normalen Menschen zu erzählen, dennoch war dein Vater ehrenvoll. Alle Verfluchten sind das." Corey zuckte mit den Schultern. ,, Aber er hat es ihr gesagt und alles war so normal wie vorher. Der König hatte ihn nicht bestraft. Oder?" Das letze Wort warf sie unsicher dazu und sah vorsichtig zu Alex. ,,Ja schon, aber..", fing er an, doch wurde von dem Mädchen unterbrochen, was entschieden mit den Kopf nickte. ,, Na siehst du, kein Grund zur Sorge."

Die Landschaft um ihnen herum änderte sich allmählich und bald erkannte Corey die weiten grünen Rasenflächen, die voll von Blumen und Kräutern waren und weiter entfernt den großen Wald. Das muss dann wohl der Immerwald sein, dachte Corey. Den habe ich doch schon gestern gesehen. ,,Also.." fing sie zögerlich an, nachdem eine Zeit lang Schweigen zwischen ihnen geherrscht hatte. ,,Du kennst dich im Immerwald aus?" ,,Ich bin oft dort gewesen, als ich klein war.",erklärte Alex nachdenklich, den Blick in weiter Ferne starrend. ,,Zusammen mit Lee und Tatjana." Er schluckte kurz. ,, Sie sind beide deine Freunde, oder?" Er lächelte leicht. ,, Ja, wir lebten zusammen nebeneinander und trafen uns immer zum spielen. Als wir älter wurden, haben wir Arbeit im Schloss gefunden. Tatjana wurde eine Dienerin und Lee und ich Helfer der Auserwählten. Das war damals eine sehr große Ehre für uns." Aufmerksam hörte Corey Alex zu. ,, Ihr drei seit genauso alt wie ich, obwohl ich theoretisch älter sein müsste.", warf Corey dazwischen. ,, Die Zeit in der Menschenwelt vergeht doch viel schneller." ,,Wir sind vor dir geboren und der Zeitunterschied ließ dich schnell heranwachsen. Aber das ist jetzt nicht wichtig.", beendete Alex Coreys wildes Gerede. ,,Das wichtige ist jetzt, dass wir bald am Immerwald ankommen werden." Corey sah ihn skeptisch an. ,,Und du erinnerst dich wirklich noch an den Weg zum Orakel?", fragte sie. ,, Na hör mal.", lachte Alex leicht. ,, Ich hab das Orakel schließlich als einer der ersten entdeckt!"

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Das Lied der AuserwähltenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt