XXL- wenn du gezwungen bist, ein passendes Oberteil für dein Gehirn zu finden.

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Blick nach links. Ein gelber Linienbus fährt im Augenblick die Downstreet hoch, im selben Augenblick schlägt Mrs. Morrison ihre Zeitung auf, während sie auf den teuflischhinkenden Bus wartet. Ich frage sie nach der Zeit, sie nennt mir die exakte Uhrzeit, 9:45, sie widmet sich wieder ihrer Beschäftigung. Ich bin enttäuscht. Es ist immer dasselbe.

Die Leute im Bus sind wenige, ungefähr die Hälfte von diesen Wenigen starrt mich an, ein Viertel wiederum rümpft spielerisch seine Nase. Aus Arroganz oder weil ich nach Benzin stinke ?

Die ganz hintersten Reihen sind die exklusiven. Hier sitzt niemand, der Platzangst hat, oder womöglich eine Phobie gegen Leute mit Zahnersatz, oder noch schlimmer, jemand der generell Angst hat. Der sitzt nirgendwo außer vielleicht Zuhause auf dem Klo und...

Weiter komme ich nicht. Deanstreet. Meine Haltestelle. Vor mir verabschiedet sich Mrs. Morrsion vom Fahrer. Ich will ihr hinterher, als der Fahrer, irgendein schmieriger Lateinamerikaner die Türen schließt.

Perplex drehe ich mich um und dabei fällt mir Kleingeld, dass ich in meiner Hand festumschlossen hatte, auf den Boden. Das kurze Rauschen eines Millionärs geht wie ein scheuer Wind durch den Bus. Ich halte den Atem an und starre in das gelbliche Gesicht meines Gegenübers, in seinen Augen erkenne ich feine rote bizarre Linien. Und wieder das Gesamtbild anschauend, merke ich, dass nicht nur sein Auge dabei ist zu explodieren.

,, Bist du wahnsinng! ", schreit er dann nach schierer Unendlichkeit. Seine Finger krallen sich in das Lenkrad und sein Blick welchselt von schockiert zu ungläubig. Höchstwahrscheinlich weil ich auf seinen Ausbruch hin mit einem schiefen Lächeln reagiere.
Eigentlich muss doch ich derjenige sein, der empört ist.

,,Würden sie mich jetzt rauslassen", frage ich freundlich, ohne darauf einzugehen, warum er aprubt die Türe verschloss.

,,Du wärst um ein Haar tot! Hast du das Auto etwa nicht gesehen?", fragt er schockiert.

Ich winke ab und lege ihm, mein wieder aufgesammeltes Kleingeld auf die mittevierziger Brust, die ächzt wie eine Achterbahn.

,,Sie haben den Hasen gesehen. Ich bin heute aus einem mir unerfindlichen Grund sehr gnädig. Öffnen sie also bitte diese Tür", verweise ich ihn daraufhin so sanft, wie wenn jemand aus dreimeter Höhe in das Wasser springt.

Er öffnet die Tür, ich schultere meine abgemerzte Tasche und lasse das Spektakel hinter mir.

,,Chase!"
Ein verdammt widerliches Klopfen ertönt. Das müssen kräftige Hände sein, und diese Person ist womöglich sehr aufgebracht, vermutlich weil ich nicht aufgemacht habe, also wäre es jetzt sinnvoll die Tür aufzumachen, zumindest wenn ich den Zorn dieser Person nicht maximieren will, dennoch wird das, was mir diese Person sagen wird, entweder gut oder schlecht sein, das Neutrale findet keinen Teppich in meiner Familie. Gut oder Schlecht. Böse oder Gut. Schwarz oder Weiß. Ich lege zwischen die Seiten von Krieg und Frieden ein Kontoauszug und öffne dann die Tür.

,,Du musst raus, Junge", sagt Dad autoritär.

,,Wieso kommst du nicht rein?"

,,Chase Doyle du bewegst deinen Arsch nach draußen"

,,Meinem Arsch ist kalt und draußen ist es kälter, willst du das ich krank werde?", zitiere ich einen Satz aus einem Film.

Dads Augen werden blass, insofern Augen blass werden können. Er scheint fast wie eine Fatamorgana. Etwas dass meinen Organismus ungemein stört.

,,Also gut", sagt er anschließend. Dann kreist er um meinen Schreibtisch und zieht die Vorhänge auf. Licht durchflutet uns und erst jetzt kann ich das Ernste in seinem Gesicht sehen.
Er setzt sich und starrt eine Weile auf das Linoleum.
Eine Weile danach unterbreche ich ihn.

,,Tut mir leid, Junge", räumt er ein.

,,Deinen Skiurlaub kannst du vergessen"

Ich nicke leicht. Er scheint verwirrt, weil er denkt, dass ich mich darauf gefreut habe. In Wahrheit war mein einziges Ziel dort das Treffen mit einem Techniker, Ronald Mason wollte mich unbedingt kennen lernen und das habe ich seiner taubstummen Schwester zu verdanken.

Dad wälzt sich tiefer in meinen fragilen Schreibtischstuhl und sinkt langsam. Von außen wie von Innen.

,,Dieses Wochenende kommt Amanda zu Besuch", sagt er dann ganz typisch, als wäre es normal das wir irgendeinen Besuch bekämen.

,,Sie wird erstmal bleiben. Und du sollst dich solange um sie kümmern, Chase", fügt er schnell hinzu.

Ich blende alles aus. Der Filter ist nicht immer verlässlich, denn ein hässliches Sie wird erstmal bleiben und ein hässliches Du wirst dich um sie kümmern, brechen mir fast das Trommelfell.

,,Willst du Orangen?", frage ich ihn.

,,Chase!", mahnt er mich.

,,Ich hab gefragt ob du Orangen willst?", erwidere ich etwas lauter.

,,Hast du mir überhaupt zugehört, Junge?", fragt er gekränkt.

,,Die Sache ist die.. deine Cousine, Amanda, wird hier wohnen bleiben. Du räumst deinen Baukasten auf und überlässt ihr das Zimmer. Ich will, dass du dich benimmst. Keine Sprüche, keine Unverschämtheiten, kein Geplänkel über irgendwas und das wichtigste sei nett zu ihr, haben wir uns verstanden?"

,,Du willst mir meine kleinen Freiheiten zerstören wegen einer Verwandten?", bringe ich lachend heraus.

,,Das Zimmer kann sie gern haben. Es ist eh viel zu warm. Wenn's hochkommt quetsche ich mich zum Schlafen zwischen die Regale im Supermarkt, Dad. Und ja ich werde nett zu ihr sein, sofern sie mich überhaupt zu Gesicht bekommt".

Damit mache ich einen Abgang und hinterlasse eine fette Staubwolke. Dads Gesicht wird blasser, aber er steht nicht vom Stuhl auf, mault mich auch nicht an und hält mich auch nicht auf, nicht typisch für ihn.

Draußen geistere ich durch die Deanstreet ohne ein wirkliches Ziel. Es ist Sonntag. Ein Tag, den viele Menschen hassen, auch wenn ich nicht weiß warum. Wahrscheinlich weil sie den ganzen prächtigen Sonntaglang an Montag denken müssen, dann sind sie so frustriert, dass sie den Sonntag schwarzmakern wie die Amerikaner den 13.

Auf halbem Weg in ein nahes Cafe klingelt mein Handy. Es macht nicht etwa unästhetisch summ...summ..oder tut... tut.. nein, es hat so einen melodischen Klang, dass ich erst Sekunden später auf annehmen drücke.

Ja hallo ? Welche Unannehmlichkeit darf ich mir gefallen lassen?

,,Hey Chase"
,,Hey Ronald"
,,Hast du dich schon orientiert?"
,,Nein, mein Zimmer ist Hühnerkacke"
,,Dein Zimmer ? Ich rede von deinem Koffer"
,,Nein, ich komme nicht"

Pause.
Pause.
Pause.

,,Chase?"
,,Dran"
,,Wieso was ist passiert?"
,,Amanda ist passiert", sage ich absichtlich genervt.
,,Oh ah etwa eine Bekannte von dir?", fragt er dann.
,,Nicht direkt. Sie ist entfernt mit uns verwandt. Dad hat erst heute mitgeteilt dass sie nächstes Wochenende hier ankommt".

Pause.
Wieder Pause.
Pause.
Dann höre ich seine kraztige Stimme. Leiser als vorhin.

,,Okay schade.. bis dann Chase und viel Glück"
Ich lege auf und jogge nachhause. Dad ist nicht da. Ein fetter Abdruck auf meinem fragilen Stuhl den er hinterlassen hat.
Ich blicke aus dem Fenster in die Nachbarhäuser. Mrs.Morrison hat die Lichter gelöscht und dann sehe ich gelangweilt auf die Uhr. 24:46 und wieder nichts gemacht. Ich lasse die Farce, die ich Ronald erzählt habe kurz in Gedanken durchgehen.

,,Ja sie ist krank und ihre Eltern haben sie zur Kur an Land geschickt. Du kennst das doch, den Großstadtstaub und diesen Trubel. Ein Kranker ist da eben bedroht"

Und verfasse sie auf einen separaten Notizzettel. Nach weiteren drei Kapiteln lasse ich Tolstoi unter mein Bett verschwinden. Die russische Gesellschaft in einem Chipsteich.
Und dann schließe ich die Augen, obwohl die Energie sich bis in meine Venen frisst. Und ich versuche nicht an Morgen zu denken. Denn Morgen ist mein Feind.

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