Mutter, das ist Thomas Reed.

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Ich kann mich kaum auf mein Buch konzentrieren, was mir schon länger nicht mehr passiert ist. Allerdings scheint Thomas mir jederzeit meine Nerve rauben zu können; egal ob im positiven oder gar im negativen Sinn.

Meine Mutter ahnt gar nicht, wie aufgeregt ich über „eine alte Bekanntschaft aus London" bin, die ich zum Abendessen geladen habe. Sie hatte sich natürlich gewundert was der Grund meiner wirklich guten Stimmung war, hatte aber dennoch nicht weiter nachgefragt, was sehr untypisch für sie ist. Aber vermutlich denkt sie, ich hätte eine meiner Freundinnen zu uns bestellt. Elisa zum Beispiel, dessen Anwesenheit mich tatsächlich ziemlich erfreut hätte.

Aber ebenso kann ich nicht über die Gesellschaft meines Verlobten klagen.

Es ist nun genau einen Tag her, dass mich Thomas in aller Öffentlichkeit gefragt hat, ob ich seine Frau werden möchte und so überrascht ich zu diesem Moment darüber war, umso überraschter bin ich, dass es sich noch nicht bis zu meiner Mutter herumgesprochen hat, die doch tatsächlich ein Ohr für Gerüchte hat. Vor allem für Gerüchte die Tatsachen sind, in denen es darum geht, dass ihre Tochter zu heiraten gewillt ist. Allerdings habe ich auch alles darangesetzt, dass sie das Haus nicht verlässt, sodass es weiterhin eine Überraschung bleibt. Eine freudige Überraschung, wohl angemerkt.

Als es an der Tür klopft, liegt mein Buch bereits zugeklappt in meinen Händen und ehe ich einem anderen die Chance lasse, schreite ich die Treppe hinunter und drücke die Klinke nach unten, ehe ich in zwei Kastanienbraune Augen starre.

Thomas sieht verboten gut in seinem Anzug aus, welcher von einem Zylinder gekrönt wird, den er allerdings abnimmt, als ich ihn in unser Haus bitte.

Zu diesem Zeitpunkt bin ich bereits so vertieft in diesen Blick, dieses Grinsen und den unwiderstehlichen Geruch, der von dem Bibliothekar ausgeht, dass ich Mutter erst bemerke, als sie einen überraschten Laut von sich gibt.

Überraschung gelungen, würde ich zu behaupten wagen.

Und in diesem Moment schlägt mir die Nervosität auf den Magen.

Dennoch kann ich gar nicht anders, als mich lächelnd zu der Frau umzudrehen, die mich und Thomas ansieht, als würde sie träumen.

Das meine Mutter ganz offensichtlich ebenso begeistert von meinen Zukünftigen ist, wie ich es seit einigen Monaten bin, muss ich wohl nicht anmerken.

„Mutter, das ist Thomas Reed.", wage ich mich zu sprechen, „Mein Verlobter.". Und noch bevor ich besagtem Mann einen unsicheren Blick zuwerfen kann, wie ich es eigentlich vorgehabt hatte, stürmt meine Mutter auf uns und zieht uns - beide gleichzeitig wohl gemerkt - in eine Umarmung, die nur so vor Liebe sprüht. Und während dieser Umarmung spüre ich, wie mir eine Last von den Schultern weicht.

Denn egal was ich behauptet hätte, dass meine Mutter Thomas mag ist mir wichtiger als mein geliebter Sessel, der hoffentlich schon bald wieder nach London geschaffen wird.

„Und er hat mir ein Gedicht geschrieben.", diesen Trumpf muss ich einfach erwähnen, auch wenn ich eine Ohnmacht dafür ich kauf nehmen müsste - die Gott sei Dank allerdings nicht auftritt.

„Ein Gedicht?", Mutter schlägt sie die Hände vor ihren Mund und ich kann in ihren Augen Tränen ausmachen.

Und wenn sie die Tatsache nicht bereits überzeugt hat, dass es einen mehr als akzeptablen Mann gibt, der gewillt ist mich sein Leben lang zu ertragen, dann spätestens die, das eben dieser Mann zu solch kitschigen Taten bereit war, wie mir ein Gedicht zu schreiben. Welches ich zwar bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht gehört habe, das aber ganz bestimmt schrecklich romantisch ist.

„Das ist wundervoll, Ani.", Tränen der Freude laufen ihr über die helle Haut und dann vernehme ich zum ersten Mal an diesem Abend auch die Stimme von Thomas: „Ja, Mrs., das ist es. Einfach wundervoll, ganz wie Animant.".

Und nun bin ich es, die aufpassen muss, nicht vor Rührung in seine Arme zu kippen, wie ich es tatsächlich gerne tun würde, mich allerdings zurückhalte. Sei es, weil meine Mutter uns bei einem Moment der Zärtlichkeit beobachtet hätte oder aber, weil ich mich nicht traue.

Diese Überlegung wird allerdings von Mutter unterbrochen, die sich scheinbar ein wenig erholt hat und nun aufgeregt in die Hände klatscht, ehe sie uns in den Salon bittet.

„Dein Vater wird sicher gleichkommen, Animant. Und er muss einfach genauso begeistert sein wie ich. Wo hast du dir diesen Mann nur hergeholt?", erst als sie mich auffordernd ansieht kommt der Gedanke in meinen Kopf, dass sie ihre Begegnung mit dem Bibliothekar bereits vergessen haben könnte, weswegen ich zu erzählen beginne.

Und zwar die ganze Geschichte, die ich mich vorher nie zu offenbaren gewagt habe, nach der sie sich aber schon immer verzehrt hat. Und selbst als Vater den Salon betritt, in dem wir drei auf ihn warten, lasse ich mich nicht unterbrechen, bemerke aber dennoch, welch skeptisches Gesicht Vater zieht, ehe er sich an den Mann zu meiner rechten wendet. Und ich übersehe wegen meinem Redefluss auch nicht, wie sich dieses Gesicht immer weiter zurückzieht, ehe es einem seligen Lächeln weicht, das ich mir, ebenso wie Mutters Hochzeitspläne, aus tiefsten Herzen gewünscht habe.

Ein kleines Kapitel, das euch hoffentlich gefällt.

Lg.

Lin_Rina

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