Die Nachricht

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«Das übliche» Sage ich, bevor mich der Barkeeper fragen kann. Wie jeden Abend sitze ich in meiner Lieblingsbar, welche aber auch die einzige in dem kleinen Dorf ist. Ist ja auch verständlich, schliesslich wohnen nur um die 100 Leute in dem Dorf, mich ausgeschlossen. Ich wohne nicht im Dorf. Nein ich lebe im Wald. Die Menschen hier wissen das, aber trotzdem habe ich Zutritt in ihr Dorf. «Hier bitte.» Die Bedienung stellt mir einen warmen Kakao hin und ich nehme das dampfende Getränk in meine klammen Hände. Der Winter steht vor der Tür und ich hoffe, das ich den Winter gut überstehen würde, nicht so wie letztes Jahr, wo ich mir letztens ein Zimmer einmieten musste, weil ich sonst erfroren wäre. Nachdenklich nippe ich an dem Getränk und mustere die Leute in der Bar. Meist waren in etwa dieselben Besucher hier, jedoch bleibt mein wachsamer Blick an einem neuen hängen. Ihn hatte ich noch nie gesehen. Langsam erhebe ich mich von meinem Lederüberzogenen Sessel und gehe, meine Tasse fest umklammert zum Pokertisch hinüber, wo sich der Neue tummelt. Natürlich bemerkt mich sofort Joe, ein etwas dicklicher Mann, so um die dreissig mit fettigen blonden Haaren. «Hey Leo, Lust auf eine Runde?» Mit einem Kopfnicken zeigt er zum Pokertisch. Grinsend nickt ich. Eigentlich heisse ich Leonie, aber hier werde ich Leo genannt, Königin des Pokers. Jeder weiss das ich unschlagbar bin, aber trotzdem fordert mich Joe immer wieder auf. So habe ich gerade noch Zeit, den Neuen unter die Lupe zu nehmen und etwas Kohle einzusammeln. Also setze ich mich auf den Stuhl neben Joe und dem Neuen gegenüber. Der Leiter des Spiels erhebt das Wort: «Vorstellrunde wie üblich, dann lasset das Gold rollen.» Nacheinander nennen wir unsere Namen, ausser mir und Joe spielen noch Jenna, Simon, Zack und Nick, der Neue mit. Die anderen der Runde sind mir bereits vertraute Gegner, deshalb bin ich auf die Spielweise des Neuen gespannt. Die Karten werden verteilt und einige Runden spielen wir recht ausgeglichen. Um uns herum hat sich die gesamte Bar aufgestellt und verfolgen gespannt unsere Züge. Ausser dem rollen der Goldstücke und dem geraschel der Karten ist es mucksmäuschenstill. Schliesslich, und meiner Meinung nach viel zu schnell, kommen wir zum Schluss und ich grinse. Nur noch Nick und ich sind im Spiel, man hört die Spannung deutlich knistern. Schnell blicke ich zu Nick, welcher ein ziemlich siegessicheres Lächeln hat, während mein Pokerface nichts verrät. Er lässt seine Karten zuerst auf den Tisch fallen. «Flush.» Sagt er mit seiner rauen Stimme. Ich tue nichts, kontrolliere mit den Augen seine Karten. Er ist gut. Sehr gut. Aber er weiss scheinbar nicht, dass ich die Königin des Pokers war. Wie ich diesen Ausdruck liebte. Da ich nichts dergleichen tue, schiebt er die gesamten Goldstücke zu sich und grinst frech. Der Leiter schaut unsicher zwischen uns hin und her. Noch halte mein Pokerface, doch lange kann ich es nicht mehr. «Nun, das erste mal das...» Jetzt lasse ich meine Karten auf den Tisch fallen. «Full House.» Sage ich mit lauter Stimme. Nick scheinen fast die Augen auszufallen. Es sieht lustig aus, da der freche Ausdruck aus seinen grünen Augen verschwunden ist und enttäuscht fährt er sich durch seine dunkelblonden Haare. Ich beuge mich über den Tisch und nehme die Goldstücke zu mir. «Die gehören dann wohl mir.» Flüstere ich ihm zu und lächle ihn aus einer Mischung von frech und verführerisch an. Dann fülle ich alles in ein Säckchen und hebe es in die Luft. «Und wieder hat unsere Königin gewonnen.» Ertönt jetzt die Stimme des Leiters und alle jubeln. Sie mochten mich als Königin. Und ich mochte es, wenn sie mich Königin nennen. So musst ich mich nicht immer achten, was ich sagte. Dann schreie ich: «Lass uns feiern!» Alle stimmen ein und stürmen zur Bar, wo der Keeper schon Bier bereitgestellt hat. Auch ich nehme mir einen Krug und stosse mit den anderen an. Mit vielen rede ich ausgelassen und wir werden alle immer fröhlicher. Auch mit Nick komme ich ins Gespräch und erfahre, das er ein Landstreicher ist, auf der Suche nach Arbeit. Irgendwann spät in der Nacht picke ich zehn Goldstücke aus meinem Beutel heraus und werfe den Rest in die Luft, wo sie auch schnell wieder von den anderen gefangen werden. Das ist unser Ritual wenn ich gewonnen habe, und da ich immer viele zahlende Gäste in die Bar bringe bekomme ich meine ersten zwei Biere immer gratis, dann jedoch muss auch ich zahlen. «Hey Leo, wir schliessen bald.» James, der Keeper, rief mir von der Bar aus zu. «Alles klar.» Entgegne ich und werfe einen Blick auf die Wanduhr. 1:12 Uhr. Ich sollte wohl auch mal schlafen gehen. «Willst du heute bei mir übernachten?» Nick schaut mich fragen an. Er und ich sind nicht sehr betrunken, aber genug, so dass ich ohne zu zögern zustimme. «Gut, dann gehen wir.» Mit leicht schwankenden Beinen erhebe ich mich und folge Nick nach draussen. Einer schmalen Gasse entlang laufen wir zu einem etwas heruntergekommenen Hotel, wo sich Nick ein Zimmer gemietet hat. Sobald er die Türe hinter sich zumacht, werfe ich mich auf das Bett und schliesse müde meine Augen. Ein weiches Bett hatte ich schon seit meinem 24. Geburtstag nicht mehr gehabt. Schon seit fünf Monaten. Resigniert seufze ich und lasse meine Hand in die Taschen meines neuen Mantels verschwinden. Auch Nick lege sich jetzt auf das Bett, hat sich jedoch seiner Jacke und Schuhen entledigt. Etwas knistert. Ein zerknittertes Blatt Papier? Das ist am Morgen noch nicht in meiner Tasche gewesen. Langsam ziehe ich es heraus. Nick kuschelt sich in die Decke. «Ich will nichts von dir. Ich dacht, vielleicht kannst du ein warmes Bett gebrauchen.» Sagt er leise. Nur mit halbem Ohr höre ich ihn und nicke Abwesend. Fasziniert betrachte ich das Papier, bis ich sah, das es zusammengefaltet ist und etwas drinsteht. Aufgeregt faltee ich den Brief auseinander und lese begierig den Inhalt: Leonie, wir brauchen dich. Lilith ist ermordet worden. Ohne dich wird alles aus dem Gleichgewicht gebracht. Bitte komme so schnell wie es möglich ist zum Eispalast. –Lia.

Geschockt starre ich auf die Buchstaben auf dem Papier. Lia. Lilith. Sie hatten mich im Stich gelassen. Ich musste gehen. Und jetzt soll ich ihnen helfen! «Was ist los?» Ich schreie erschrocken auf. Nick habe ich vollkommen vergessen. «Entschuldigung.» Er schaut mich schuldbewusst an. «Ich wollte dich nicht erschrecken.» «Schon gut.» Flüstere ich. Noch immer kann ich die Wörter aus dem Brief nicht glauben. «Was ist das für ein Brief?» «Nichts.» Schnell knittere ich den Brief wieder zusammen und stopfe ihn in meine Tasche. Ich habe gar nicht gemerkt, dass ich nicht mehr liege. Jetzt kuschle ich mich samt Jacke und Schuhe in die zweite Decke und Nick legt sich wieder neben mich. Müde schliesse ich die Augen. Spüre jedoch Nicks besorgten Blick auf mir brennen. Ohne meine Augen zu öffnen sage ich: «Ich erzähle es dir Morgen.» «Okay.» Ein einziger Satz. Ein einziges Wort. Das dieser Satz und die Antwort mein Leben verändern würde, das weiss ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht.

--> Dieses Kapitel ist überarbeitet!

Waldläuferin -Vorläufig abgebrochen-Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt