Wütend warf ich das weiß-grüne Trikot ans andere Ende des Zimmers, das ich eben noch in den Händen gehalten hatte.
Seit einer halben Stunde saß ich jetzt schon hier, nachdem ich die drei Shirts vom Postboten bekommen und Alice angerufen hatte, noch während die Dame im Zug hier her saß. Sie war diejenige, die Lias Überraschungsparty koordinierte, da sie neben dem Geburtstagskind der größte Fußballfan in unserem Freundeskreis war.
Sie war auch diejenige, die sich mit mir am besten mit Lia verstand. Würde sie nicht in Köln studieren, wäre sie sicher als dritte Mitbewohnerin zu uns gezogen, aber leider hatten sich unsere Wege nach der Schule trennen müssen, was nicht hieß, dass der Kontakt abgebrochen war.
Noch immer hatten wir mal ein Mädelswochenende oder einfach nur wild gefeierte Parties, Typen über die wir quatschten oder schlichte gemeinsam verbrachte Tage, und die Freundschaft war bestehen geblieben.
Dennoch könnte ich sie jetzt gerade echt umbringen.
Mein Blick ruhte auf den zwei KmW Trikots auf dem Küchentisch vor mir, ehe er zu der Nummer 10 mit dem Namen Leue - definitiv nicht der Name des dazugehörigen Spielers, sondern meiner - wanderte.
Das war so definitiv nicht abgesprochen gewesen. Ich würde auf keinen Fall zu irgendeinem Fußballspiel von diesem komischen Verein gehen, dabei riskieren in eine Auseinandersetzung mit irgendwelchen gegnerischen Fans zu geraten und am Ende im Krankenhaus liegend meine Ferien verbringen zu müssen.
Obwohl ich dann vielleicht mal Zeit aufbringen würde, zu lernen, denn das kam bei mir in den letzten Wochen viel zu kurz, auch wenn ich momentan nicht allzu wilde Themen hatte.
Wieso zum Henker war es nicht bei unserem Plan geblieben, dass sie mit Lia zu dem Spiel geht und ich hier in der Wohnung die eigentliche Party vorbereite und den Rest koordiniere?
Ich klopfte unruhig auf der Tischplatte herum, ehe ich mich träge erhob und genervt das Trikot aufhob. Wie viel es wohl gekostet hatte? Unnötig herausgeschmissenes Geld.
Auch wenn ich wusste, dass Lia es mir auf jeden Fall wert war, mitzukommen, und Alice konnte mich mit Sicherheit überreden, was genau der Punkt war, der mich fuchsig werden ließ.
Unruhig tapste ich in der Küche umher, betrachtete noch einige Male das T-Shirt eingehend und warf es dann zu den anderen, die ordentlich gefaltet auf der Tischplatte lagen.
Mein Blick wanderte zur tickenden Küchenuhr.
Alice würde mit Sicherheit noch einige Zeit brauchen, da sie erst vor ungefähr drei Stunden losgefahren war, wie sie mir eben berichtet hatte. Die Strecke war lang, und vom Hauptbahnhof bis zu unserer Wohnung waren es auch etwas mehr als fünfzehn Minuten. Auf gut eineinhalb Stunden warten konnte ich mich also einstellen.
Frustriert fuhr ich mir durch mein Haar - ein Glück nur, dass das meine einzigen Probleme waren, denn zumindest Lia fiel grade nicht darunter, zumal sie von heute bis übermorgen bei ihrem Freund schlief. Gefahren war sie schon vor einer Weile, vollkommen nichtsahnend. Ein Grinsen schlich sich auf mein Gesicht, als ich mich an ihre Schuld erinnerte, dass sie ihren Geburtstag ohne mich verbringen würde - aber sie wusste eben noch nichts von ihrem Glück. Ich freute mich sehr auf ihr Gesicht: Lia war der liebste Mensch der Welt und wollte es immer allen Recht machen, was ihr ausnahmslos immer gelang. Sogar Fußball schaute sie ohne all zu großes Gebrüll, obwohl ich mich manchmal auch durchrang mitzuschauen.
Ein Kribbeln durchfuhr meine Glieder. Ich freute mich auf Samstag, und auch wenn Alice vorhatte, mich hinterhältig mit zu dem Spiel zu locken, war das okay - für Lia. Wir hatten schon eine Weile nichts mehr zusammen gemacht, und ich wusste, wie sehr Fußball und der FwB Wolfsburg ihnen am Herzen lag. Oder wie auch immer die hießen! Auf jeden Fall ausgeschrieben Bomrussia, wenn ich wenigstens das richtig mitbekommen hatte.
Einige Zeit blieb ich sinnlos so stehen, ehe ich mir Musik anmachte und mich an meine Hausarbeiten setzte. Biologie... Zwar studierte ich Medizin und wollte unbedingt Chirurgin werden, aber mit den sozialwissenschaftlichen Anteilen hatte ich mich echt noch nicht anfreunden können.
Ein Seufzen entfuhr mir, als ich den großen Haufen Bücher vor mir sah - vielleicht sollte ich damit anfangen.
Und ehe ich auch nur den ersten Wälzer hinter mir hatte, klingelte es auch schon an der Tür. Erleichtert seufzte ich auf: Erlösung! Auch wenn wir uns wohl erstmal mit Organisation befassen werden müssen...
Schnell stand ich auf und schlitterte zur Tür, die ich sofort aufriss.
Noch in dieser Sekunde fiel Alice mir um den Hals. Oder eher gesagt - sie duckte sich zu mir runter.
Mit meinen 1,64 war ich nicht unzufrieden, aber es war schon eine Last, kleiner als alle anderen Anwesenden zu sein."Estheeeer", seufzte sie. "Ich freu mich, dich wiederzusehen!"
Ich erwiderte die Aussage mit einem Lächeln und zog sie dann in die Wohnung, wobei mein Blick im Esszimmer auf die drei Trikots fiel.
Schnell stemmte ich die Hände in die Hüften.
"Ich will ja ehrlich nicht meckern, aber hattest du vor, mich ins Stadion mitzuschleifen?", wollte ich leicht angesäuert wissen, den Gedanken, dass ich sowieso weich werden würde.
Alice strahlte. "Ja!", grinste sie dann. "Lia wünscht es sich so sehr..."Und Bam! Schon nach diesem Satz gab ich meine Abwehr auf - Alice hatte Recht. Und ich sollte auf keinen Fall meine Abneigungen über den schönsten Tag Lias Lebens stellen, wie ich mit einem Seufzen feststellte.
Alice freute sich nicht mal, dass sie mich überzeugt hatte. Es war ihr von vorneherein klar gewesen, weshalb ich ihr sacht gegen die Schulter boxte.
"Na los, komm! Wir haben uns einiges zu erzählen", strahlte sie dann, und nun lag es an ihr, mich mitzuschleppen, und zwar auf die Couch.
Und es ging los - ich begann, mich richtig zu freuen, dass sie da war, und zu planen.
DU LIEST GERADE
I hate you, I love you | Julian Draxler
FanfictionEsther und Lia teilen sich alles: eine Wohnung, einen Studienplatz, ihre Haarfarbe und den Kleidungsstil. Doch in einem Punkt unterscheiden sie sich gewaltig - Fußball. Während Lia nicht nur immer den Fernseher anschmeißt, sondern auch für viel Geld...