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Mein Atem ging ruhig.

Ich spürte Florians Arm, der beschützend um mich gelegt war.

Gestern hatten wir uns noch lange unterhalten, und ich hatte so einiges über ihn erfahren.

In manchen Dingen ähnelte er mir sehr.

Seine Mutter war auf rätselhafte Art und Weise verschwunden.

Wie meine Mutter.

Er war mit zehn Jahren nach London gezogen und versuchte, ein normales Leben zu führen.

So wie ich.

Ich befürchtete jedoch, das es ihm besser gelang als mir.

Ich hatte unglaubliche Angst davor, dass ich entdeckt und getötet werden würde, wie meine Mutter. Alle behaupteten, sie wäre verschwunden, doch ich wusste es besser.

Sie wurde umgebracht, und zwar auf brutale Art und Weise.

Deswegen wurde auch allen weisgemacht, das ein leerer Sarg bei der Beerdigung in das Grab gelassen wurde, doch das war eine Lüge.

Sie war so verunstaltet, dass man ihre Leiche nicht zeigen wollte.

Seit diesem schrecklichen Ereignis war mein Vater mein Anker in der Welt.

Ich tauchte aus meinen düsteren Erinnerungen auf und begann, über mich und Florian nachzudenken.

Wir hatten eine seltsame Beziehung.

Ich war mir nicht sicher ob ich ihn mochte, doch es bereitete mir weder Sorgen noch Probleme, dass ich Nachts mit seinem Arm um meine Schultern schlief.

Ich nahm sehr vorsichtig seine Hand von meinem Arm und schlich ins Bad, um mich leise zu duschen.

Als ich fertig war und meine feuchten rotbraunen Haare auf meinen Rücken lagen, der immer nasser wurde, setzte ich mich in Schneidersitz neben die Tür auf den Boden und begann, mir einen Fluchtplan zu überlegen.

Man braucht ihr Blut, um die Tür zu öffnen. Wie würde ich an ihr Blut kommen?

Sie reagierten sehr empfindlich auf Metall, das hatte Florian mir gestern Abend noch erzählt.

Metall ... Metall. Wo sollte ich denn Metall herbekommen? Ich überlegte.

Und überlegte. Und überlegte.

Und dann fiel es mir ein.

Bei jedem unsere Mahlzeiten, die uns nach wie vor von der bleichen Hand durch die Klappe in der Tür geschoben wurden, lag ein Messer.

Messer waren aus Metall und scharf noch dazu.

Könnten wir nicht einfach das nächste Mal, wenn die Hand durch die Tür geschoben wurde, mit dem Messer der letzten Mahlzeit in die Hand hineinschneiden? Somit hätte man das Blut und das Metall würde unseren Essensbringer vermutlich so schwächen, dass er nicht um Hilfe schreien konnte.

Ich fand den Plan genial.

Jetzt musste ich nur noch Florian davon erzählen, und dazu musste ich ihn erstmal aufwecken. Doch er war schon wach, denn er sagte schlaftrunken: ,,Guten Morgen, Zoe."

Ich grinste ihm nur kurz zu und setzte mich neben ihn.

,,Also ... ähhhmm ... ach ja ... Ich habe mir einen Plan überlegt. Du hast mir doch gestern erklärt, dass die Leute, die ihre Kräfte von anderen abzapfen, extrem empfindlich auf Metall reagieren, und dass man ihr Blut braucht, um die Tür unseres Gefängnisses zu öffnen, richtig?"

,,Jaaa ..."

,,Eben. Da habe ich mir überlegt, wenn wir bei der nächsten Mahlzeit eins von den Messern behalten, dann können wir, wenn er die Tabletts wieder mitnimmt, das Messer in seine Hand stechen und seine Hand festhalten, dann haben wir das Blut und hoffentlich ist unser Entführer dann so geschwächt, dass er nicht mehr schreien kann. Also, das hältst du davon?"

Florian sah etwas überrumpelt aus, antwortete aber sofort: ,,Darauf bin ich noch gar nicht gekommen ... hört sich aber gut an."

Wunderbar.

Wir vertrieben und die Zeit bis zum Mittagessen mit allem möglichen.

Als endlich das Mittagessen kam, schauten

Wir schnell nach, welches Messer schärfer war und legten es vorsichtig beiseite.

Unser 'Ausbruchswerkzeug' sollte

schließlich nicht beschädigt werden.

Ich begann, mein Mittagessen zu essen und Florian guckte dumm aus der Wäsche, er hatte schließlich kein Messer.

,,Uuuups ...", sagte ich lachend.

,,Florian! Was hast du denn mit deinem Messer gemacht?"

Er kam mit bedrohlichen Blick auf mich zu und ich fragte mich schon, was ich falsch gemacht hatte, als er plötzlich begann mich zu kitzeln.

Ich war sehr kitzelig und ich musste laut loslachen.

,,Florian ... ist gut ... Ich krieg keine Luft mehr ..."

Er ließ von mir ab und ich blieb erschöpft von vielen herumgelache auf dem Bett liegen. Ich sah auf die Uhr und rief erschrocken: ,,Florian! Schnell, ab zur Tür! Die Hand holt gleich das Essen ab!"

Er brummelte irgendwas vor sich hin von wegen: ,,Schrei noch lauter!"

Ich sagte jetzt einfach mal nichts dazu und legte mich still hinter die Tür.

Die durchsichtige Hand erschien wie immer, sie griff nach dem Tablett. Wir hatten es nicht hingestellt.

Auf ein Zeichen von Jake stieß ich das Messer, was ich in der Hand hielt, mit aller Kraft in die blasse Hand.

Jake umklammerte die Hand und zog sie mit aller Kraft weiter durch die Tür, bis fast der ganze Arm in unserem Raum war.

Ich stieß noch mehrmals mit dem Messer zu, bis die Hand erschlaffte.

Ich nahm angewidert etwas von seinem Blut auf meinen Finger und presste ihn gegen die Tür.

Die begann laut zu zischen und ich wich erschrocken zurück, ließ den Finger aber an der Tür.

Die öffnete sich langsam und dahinter kam ein langer, schmaler und von Fackeln beleuchteter Gang zum Vorschein.

Aus irgendeinem seltsamen Grund wusste ich, wo es langging.

,,Hier geht's lang!", rief ich Florian zu, der zwar etwas überrascht guckte, mir aber trotzdem widerspruchslos folgte.

Ich führte ihn durch ein scheinbar unendliches Labyrinth aus schmalen und ausnahmslos von Fackeln beleuchteten Gängen.

Und dann, endlich, nach einer gefühlten Ewigkeit, standen wir draußen in London vor dem Big Ben.


Die Schattentänzerin | AbgebrochenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt